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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Wiener Litteratur

Lorenzo buchstäblich kreuzigen, nachdem sie das künstliche Heilandbild von Holz
abgeschlagen haben. Sie hundelt ihn so fest, daß sich der arme Neger nicht
selbst befreien kann und am kreuze verschmachten muß. Seitdem besteht in
Massnuah ein Christus um Kreuze, der nicht nach arischen, sondern nach dein
Negertypus gebildet ist: der einzige "schwarze Heiland" der Missionen.

Diese Beispiele mögen genügen, die Phantasie Fuchs-Talabs zu kenn¬
zeichnen. Die erfinderischen Erzähler sind heutzutage zu selten, als daß man
sie uicht fördern sollte. Wen" Fuchs seiue Form mehr veredelt, so kann man
Mohl noch wertvolleres von ihm erwarten.

Und nnn geraten wir an zwei Sammlungen kurzer Geschichten, soge¬
nannter Feuilletonnovelleu, wie sie seit einigen Jahre" von den Wiener Zei-
tungen mit Vorliebe gedruckt werde". Sie haben sogar den Charakter des
Wiener Feuilletons, worauf die Einheimischen so stolz waren, verändert. Wenn
der Teil "unter dem Strich" in den großen Zeitungen früher dazu diente,
die neuen Ereignisse auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiete der Nation
mit demselben Ernste zu verfolgen und zu beurteilen, wie der Leitartikel die
Politischen Vorgänge beleuchten will, so hat dieser schöne Ernst jetzt dem Be¬
dürfnis zu unterhalten weichen müssen. Er wird auf das notwendigste Maß
eingeschränkt. Die Zeitung soll jetzt, nach der herrschenden Ansicht, das Pu¬
blikum in jedem Falle unterhalten, und bekanntlich ist das "Publikum" un¬
ersättlich, wenn ihm einmal solche Kost vorgesetzt worden ist. Am Ende wäre
uns dieser Umwandlungsprozeß des Wiener Feuilletons gleichgiltig, wenn es
eben nicht Wien wäre, die Stadt, in der keine Wochenschriften gedeihen können,
in der das Publikum in seiner Masse noch immer alle Belehrung bloß aus
der Zeitung zu schöpfen gewohnt ist, und die Jahre lang eine litterarische
oder wissenschaftliche Erscheinung von Bedeutung nicht kennen lernt, weil sie
im "Feuilleton" nicht behandelt worden ist. Indem die Zeitungen dein nie¬
dern Bedürfnis nach Unterhaltung entgegenkommen, setzen sie selbst die Bil¬
dungsstufe ihres Leserkreises herab und verändert! das geistige Gesicht der
ganzen Stadt. Das edlere Interesse schrumpft immer mehr auf jene engen
Fachkreise zusammen, die sich mit den Künsten und Wissenschaften berufsmäßig
beschäftigen, und das ist der Anfang vom Ende für alles litterarische Lebe".
Denn die Feuilletounovelle kaun nur von sehr spärlich gesäten Talenten zu
eiuer wirklichen Kunst erhoben werden, gewöhnlich ist sie nur die Dnseins¬
spanne wert, die den Leitartikeln zugemessen ist. Je kürzer der Raum
ist, der dem Dichter zur Verfügung steht, umso schwieriger wird ihm die
Behandlung des Gegenstandes. Ein bedeutendes Talent kann sich diese
äußerliche Fessel nicht auferlegen lassen; wenn es etwas zu sagen hat, so
wird es sich nicht dnrch den wöttour 011 bei einem bestimmten Absatz
den Mund sperren lassen; wird es aber notwendigerweise breiter, so kann
die Geschichte nicht gedruckt werden. Dann verlegt sich der Novellist auf die


Wiener Litteratur

Lorenzo buchstäblich kreuzigen, nachdem sie das künstliche Heilandbild von Holz
abgeschlagen haben. Sie hundelt ihn so fest, daß sich der arme Neger nicht
selbst befreien kann und am kreuze verschmachten muß. Seitdem besteht in
Massnuah ein Christus um Kreuze, der nicht nach arischen, sondern nach dein
Negertypus gebildet ist: der einzige „schwarze Heiland" der Missionen.

Diese Beispiele mögen genügen, die Phantasie Fuchs-Talabs zu kenn¬
zeichnen. Die erfinderischen Erzähler sind heutzutage zu selten, als daß man
sie uicht fördern sollte. Wen» Fuchs seiue Form mehr veredelt, so kann man
Mohl noch wertvolleres von ihm erwarten.

Und nnn geraten wir an zwei Sammlungen kurzer Geschichten, soge¬
nannter Feuilletonnovelleu, wie sie seit einigen Jahre» von den Wiener Zei-
tungen mit Vorliebe gedruckt werde». Sie haben sogar den Charakter des
Wiener Feuilletons, worauf die Einheimischen so stolz waren, verändert. Wenn
der Teil „unter dem Strich" in den großen Zeitungen früher dazu diente,
die neuen Ereignisse auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiete der Nation
mit demselben Ernste zu verfolgen und zu beurteilen, wie der Leitartikel die
Politischen Vorgänge beleuchten will, so hat dieser schöne Ernst jetzt dem Be¬
dürfnis zu unterhalten weichen müssen. Er wird auf das notwendigste Maß
eingeschränkt. Die Zeitung soll jetzt, nach der herrschenden Ansicht, das Pu¬
blikum in jedem Falle unterhalten, und bekanntlich ist das „Publikum" un¬
ersättlich, wenn ihm einmal solche Kost vorgesetzt worden ist. Am Ende wäre
uns dieser Umwandlungsprozeß des Wiener Feuilletons gleichgiltig, wenn es
eben nicht Wien wäre, die Stadt, in der keine Wochenschriften gedeihen können,
in der das Publikum in seiner Masse noch immer alle Belehrung bloß aus
der Zeitung zu schöpfen gewohnt ist, und die Jahre lang eine litterarische
oder wissenschaftliche Erscheinung von Bedeutung nicht kennen lernt, weil sie
im „Feuilleton" nicht behandelt worden ist. Indem die Zeitungen dein nie¬
dern Bedürfnis nach Unterhaltung entgegenkommen, setzen sie selbst die Bil¬
dungsstufe ihres Leserkreises herab und verändert! das geistige Gesicht der
ganzen Stadt. Das edlere Interesse schrumpft immer mehr auf jene engen
Fachkreise zusammen, die sich mit den Künsten und Wissenschaften berufsmäßig
beschäftigen, und das ist der Anfang vom Ende für alles litterarische Lebe».
Denn die Feuilletounovelle kaun nur von sehr spärlich gesäten Talenten zu
eiuer wirklichen Kunst erhoben werden, gewöhnlich ist sie nur die Dnseins¬
spanne wert, die den Leitartikeln zugemessen ist. Je kürzer der Raum
ist, der dem Dichter zur Verfügung steht, umso schwieriger wird ihm die
Behandlung des Gegenstandes. Ein bedeutendes Talent kann sich diese
äußerliche Fessel nicht auferlegen lassen; wenn es etwas zu sagen hat, so
wird es sich nicht dnrch den wöttour 011 bei einem bestimmten Absatz
den Mund sperren lassen; wird es aber notwendigerweise breiter, so kann
die Geschichte nicht gedruckt werden. Dann verlegt sich der Novellist auf die


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[0237] Wiener Litteratur Lorenzo buchstäblich kreuzigen, nachdem sie das künstliche Heilandbild von Holz abgeschlagen haben. Sie hundelt ihn so fest, daß sich der arme Neger nicht selbst befreien kann und am kreuze verschmachten muß. Seitdem besteht in Massnuah ein Christus um Kreuze, der nicht nach arischen, sondern nach dein Negertypus gebildet ist: der einzige „schwarze Heiland" der Missionen. Diese Beispiele mögen genügen, die Phantasie Fuchs-Talabs zu kenn¬ zeichnen. Die erfinderischen Erzähler sind heutzutage zu selten, als daß man sie uicht fördern sollte. Wen» Fuchs seiue Form mehr veredelt, so kann man Mohl noch wertvolleres von ihm erwarten. Und nnn geraten wir an zwei Sammlungen kurzer Geschichten, soge¬ nannter Feuilletonnovelleu, wie sie seit einigen Jahre» von den Wiener Zei- tungen mit Vorliebe gedruckt werde». Sie haben sogar den Charakter des Wiener Feuilletons, worauf die Einheimischen so stolz waren, verändert. Wenn der Teil „unter dem Strich" in den großen Zeitungen früher dazu diente, die neuen Ereignisse auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiete der Nation mit demselben Ernste zu verfolgen und zu beurteilen, wie der Leitartikel die Politischen Vorgänge beleuchten will, so hat dieser schöne Ernst jetzt dem Be¬ dürfnis zu unterhalten weichen müssen. Er wird auf das notwendigste Maß eingeschränkt. Die Zeitung soll jetzt, nach der herrschenden Ansicht, das Pu¬ blikum in jedem Falle unterhalten, und bekanntlich ist das „Publikum" un¬ ersättlich, wenn ihm einmal solche Kost vorgesetzt worden ist. Am Ende wäre uns dieser Umwandlungsprozeß des Wiener Feuilletons gleichgiltig, wenn es eben nicht Wien wäre, die Stadt, in der keine Wochenschriften gedeihen können, in der das Publikum in seiner Masse noch immer alle Belehrung bloß aus der Zeitung zu schöpfen gewohnt ist, und die Jahre lang eine litterarische oder wissenschaftliche Erscheinung von Bedeutung nicht kennen lernt, weil sie im „Feuilleton" nicht behandelt worden ist. Indem die Zeitungen dein nie¬ dern Bedürfnis nach Unterhaltung entgegenkommen, setzen sie selbst die Bil¬ dungsstufe ihres Leserkreises herab und verändert! das geistige Gesicht der ganzen Stadt. Das edlere Interesse schrumpft immer mehr auf jene engen Fachkreise zusammen, die sich mit den Künsten und Wissenschaften berufsmäßig beschäftigen, und das ist der Anfang vom Ende für alles litterarische Lebe». Denn die Feuilletounovelle kaun nur von sehr spärlich gesäten Talenten zu eiuer wirklichen Kunst erhoben werden, gewöhnlich ist sie nur die Dnseins¬ spanne wert, die den Leitartikeln zugemessen ist. Je kürzer der Raum ist, der dem Dichter zur Verfügung steht, umso schwieriger wird ihm die Behandlung des Gegenstandes. Ein bedeutendes Talent kann sich diese äußerliche Fessel nicht auferlegen lassen; wenn es etwas zu sagen hat, so wird es sich nicht dnrch den wöttour 011 bei einem bestimmten Absatz den Mund sperren lassen; wird es aber notwendigerweise breiter, so kann die Geschichte nicht gedruckt werden. Dann verlegt sich der Novellist auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/237>, abgerufen am 05.02.2025.