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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Weshalb ich diese Dinge aus der Vergangenheit der Universitäten hier
zur Sprache bringe? Nicht um der philosophischen Fakultät willen. Wohl aber
mochte ich daran anknüpfend im Hinblick auf das, was ehemals studiren hies;
und wie ehemals studirt wurde, auch da, wo es sich um ein Fachstudium
handelte, das zur Erlangung eines nährenden Amtes befähigen sollte, die Frage
aufwerfen, wie es heute damit steht, ob wir damit vorwärts oder rückwärts
gegangen sind, d. h. ob der jetzt im allgemeinen herrschende Studieubetrieb
gegen die Vergangenheit einen Fortschritt bedeutet, ob er berechtigt und bei¬
zubehalten oder ob er verbesserungsbedürftig sei, und wenn das, in welcher
Richtung die Reform etwa gesucht werden müsse.

Und da muß ich denn, auf die Gefahr hiu, als altmodischer llmclator
tsinxoris avei zu erscheinen, meine Ansicht gleich dahin aussprechen, das; viele
von den Mängeln, die dem akademischen Studium heute anhaften, leicht ab¬
zustellen wären durch eine -- natürlich den veränderten Verhältnissen ange¬
paßte -- Rückkehr zu dem einst bewährten Brauche, nämlich durch die stärkere
Betonung der allgemeinen Bildung, die dem Fachstudium zur Grundlage dienen,
aber auch ergänzend und belebend zur Seite gehen soll.

Wie oft wird heute geklagt, die angehenden Diener des Staates und der
Kirche brächten von der Universität häufig uicht die genügende Vorbildung für
ihren Beruf mit! Wir hören das nicht bloß in Betreff der Juristen; auch
von feiten der Kirchenbehörde und der Unterrichtsverwaltung sind solche Klagen
laut geworden, und wer an den betreffenden Prüfungen beteiligt war, wird
sie aus eigner, oft recht drastischer Erfahrung bestätigen können. Nicht freilich
als ob nicht die unerläßlichen positiven .Kenntnisse erworben würden; wo diese
fehlen, kann ja von einer Zulassung zu amtlicher Berufsthätigkeit überhaupt
uicht die Rede sein. Aber wie selten sind sie ein so sicherer Besitz geworden,
daß mit Freiheit darüber verfügt würde! Nur allzu oft entbehre" sie der be¬
lebenden Verbindung mit dem Allgemeinen, und doch sollten sie in dieser Hin¬
sicht einem Stamme vergleichbar sein, der durch ein in feinen Fasern weithin
verzweigtes Wnrzelgewebe nicht bloß Nahrung sangt, sondern auch im Boden
festgehalten wird. Dieser Mangel ist aber die natürliche Folge davon, daß
auf den Universitäten im allgemeinen von Anfang um nur das eine Fach des
künftigen Berufs getrieben wird, und zwar oft nicht nach wissenschaftlichen
Gesichtspunkten, sondern im Hinblick ans die schließlich zu bestehende Staats¬
prüfung, alles andre aber als mehr oder minder "uuötig abseits liegen bleibt.

Daß die Bildung für den künftigen Beruf im Mittelpunkte des akademischen
Studiums stehen soll, ist selbstverständlich. Aber es handelt sich dabei nicht
um die Aneignung einer bestimmten Menge von positivem Wissen zu späterer
praktischer Anwendung, sondern um die Gewinnung einer tiefern Einsicht in
den innern Zusanuuenhang und namentlich in das Wie und Warum der Me¬
thode der betreffenden Wissenschaft. Diese aber ist nnr zu gewinnen, wenn der


Weshalb ich diese Dinge aus der Vergangenheit der Universitäten hier
zur Sprache bringe? Nicht um der philosophischen Fakultät willen. Wohl aber
mochte ich daran anknüpfend im Hinblick auf das, was ehemals studiren hies;
und wie ehemals studirt wurde, auch da, wo es sich um ein Fachstudium
handelte, das zur Erlangung eines nährenden Amtes befähigen sollte, die Frage
aufwerfen, wie es heute damit steht, ob wir damit vorwärts oder rückwärts
gegangen sind, d. h. ob der jetzt im allgemeinen herrschende Studieubetrieb
gegen die Vergangenheit einen Fortschritt bedeutet, ob er berechtigt und bei¬
zubehalten oder ob er verbesserungsbedürftig sei, und wenn das, in welcher
Richtung die Reform etwa gesucht werden müsse.

Und da muß ich denn, auf die Gefahr hiu, als altmodischer llmclator
tsinxoris avei zu erscheinen, meine Ansicht gleich dahin aussprechen, das; viele
von den Mängeln, die dem akademischen Studium heute anhaften, leicht ab¬
zustellen wären durch eine — natürlich den veränderten Verhältnissen ange¬
paßte — Rückkehr zu dem einst bewährten Brauche, nämlich durch die stärkere
Betonung der allgemeinen Bildung, die dem Fachstudium zur Grundlage dienen,
aber auch ergänzend und belebend zur Seite gehen soll.

Wie oft wird heute geklagt, die angehenden Diener des Staates und der
Kirche brächten von der Universität häufig uicht die genügende Vorbildung für
ihren Beruf mit! Wir hören das nicht bloß in Betreff der Juristen; auch
von feiten der Kirchenbehörde und der Unterrichtsverwaltung sind solche Klagen
laut geworden, und wer an den betreffenden Prüfungen beteiligt war, wird
sie aus eigner, oft recht drastischer Erfahrung bestätigen können. Nicht freilich
als ob nicht die unerläßlichen positiven .Kenntnisse erworben würden; wo diese
fehlen, kann ja von einer Zulassung zu amtlicher Berufsthätigkeit überhaupt
uicht die Rede sein. Aber wie selten sind sie ein so sicherer Besitz geworden,
daß mit Freiheit darüber verfügt würde! Nur allzu oft entbehre» sie der be¬
lebenden Verbindung mit dem Allgemeinen, und doch sollten sie in dieser Hin¬
sicht einem Stamme vergleichbar sein, der durch ein in feinen Fasern weithin
verzweigtes Wnrzelgewebe nicht bloß Nahrung sangt, sondern auch im Boden
festgehalten wird. Dieser Mangel ist aber die natürliche Folge davon, daß
auf den Universitäten im allgemeinen von Anfang um nur das eine Fach des
künftigen Berufs getrieben wird, und zwar oft nicht nach wissenschaftlichen
Gesichtspunkten, sondern im Hinblick ans die schließlich zu bestehende Staats¬
prüfung, alles andre aber als mehr oder minder »uuötig abseits liegen bleibt.

Daß die Bildung für den künftigen Beruf im Mittelpunkte des akademischen
Studiums stehen soll, ist selbstverständlich. Aber es handelt sich dabei nicht
um die Aneignung einer bestimmten Menge von positivem Wissen zu späterer
praktischer Anwendung, sondern um die Gewinnung einer tiefern Einsicht in
den innern Zusanuuenhang und namentlich in das Wie und Warum der Me¬
thode der betreffenden Wissenschaft. Diese aber ist nnr zu gewinnen, wenn der


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[0224] Weshalb ich diese Dinge aus der Vergangenheit der Universitäten hier zur Sprache bringe? Nicht um der philosophischen Fakultät willen. Wohl aber mochte ich daran anknüpfend im Hinblick auf das, was ehemals studiren hies; und wie ehemals studirt wurde, auch da, wo es sich um ein Fachstudium handelte, das zur Erlangung eines nährenden Amtes befähigen sollte, die Frage aufwerfen, wie es heute damit steht, ob wir damit vorwärts oder rückwärts gegangen sind, d. h. ob der jetzt im allgemeinen herrschende Studieubetrieb gegen die Vergangenheit einen Fortschritt bedeutet, ob er berechtigt und bei¬ zubehalten oder ob er verbesserungsbedürftig sei, und wenn das, in welcher Richtung die Reform etwa gesucht werden müsse. Und da muß ich denn, auf die Gefahr hiu, als altmodischer llmclator tsinxoris avei zu erscheinen, meine Ansicht gleich dahin aussprechen, das; viele von den Mängeln, die dem akademischen Studium heute anhaften, leicht ab¬ zustellen wären durch eine — natürlich den veränderten Verhältnissen ange¬ paßte — Rückkehr zu dem einst bewährten Brauche, nämlich durch die stärkere Betonung der allgemeinen Bildung, die dem Fachstudium zur Grundlage dienen, aber auch ergänzend und belebend zur Seite gehen soll. Wie oft wird heute geklagt, die angehenden Diener des Staates und der Kirche brächten von der Universität häufig uicht die genügende Vorbildung für ihren Beruf mit! Wir hören das nicht bloß in Betreff der Juristen; auch von feiten der Kirchenbehörde und der Unterrichtsverwaltung sind solche Klagen laut geworden, und wer an den betreffenden Prüfungen beteiligt war, wird sie aus eigner, oft recht drastischer Erfahrung bestätigen können. Nicht freilich als ob nicht die unerläßlichen positiven .Kenntnisse erworben würden; wo diese fehlen, kann ja von einer Zulassung zu amtlicher Berufsthätigkeit überhaupt uicht die Rede sein. Aber wie selten sind sie ein so sicherer Besitz geworden, daß mit Freiheit darüber verfügt würde! Nur allzu oft entbehre» sie der be¬ lebenden Verbindung mit dem Allgemeinen, und doch sollten sie in dieser Hin¬ sicht einem Stamme vergleichbar sein, der durch ein in feinen Fasern weithin verzweigtes Wnrzelgewebe nicht bloß Nahrung sangt, sondern auch im Boden festgehalten wird. Dieser Mangel ist aber die natürliche Folge davon, daß auf den Universitäten im allgemeinen von Anfang um nur das eine Fach des künftigen Berufs getrieben wird, und zwar oft nicht nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern im Hinblick ans die schließlich zu bestehende Staats¬ prüfung, alles andre aber als mehr oder minder »uuötig abseits liegen bleibt. Daß die Bildung für den künftigen Beruf im Mittelpunkte des akademischen Studiums stehen soll, ist selbstverständlich. Aber es handelt sich dabei nicht um die Aneignung einer bestimmten Menge von positivem Wissen zu späterer praktischer Anwendung, sondern um die Gewinnung einer tiefern Einsicht in den innern Zusanuuenhang und namentlich in das Wie und Warum der Me¬ thode der betreffenden Wissenschaft. Diese aber ist nnr zu gewinnen, wenn der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/224>, abgerufen am 05.02.2025.