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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der eilte Visinarck

heraus alles bekämpft, was vom Regierungstische kommt. "Weil sie kein Teil
dran hat, so will sie nur zerstören!"

Aber immer und immer wieder prallen ihre Angriffe ohnmächtig an der
einen Gestalt des eisernen Mannes ab. Nun schon länger als ein ganzes
Vierteljahrhundert dauert der Kampf gegen diesen einen Mann! Ein Jahr
nach dem andern ist dahingegangen, und die ehrgeizigen Kämpfer werden alt
und grau -- wie viele von ihren Mitstreitern sind schon dahingesunteu, und
anch ihnen droht das dunkle Los, in die Vergessenheit zurückzusiukeu! Wenn
es ihnen nur ein einziges Mal gelänge, das Steuer des Staates zu erfassen!
Aber breit und unbeweglich steht dort immer und immer noch der eine Mann,
wo Platz geschaffen werden konnte für hundert andre, die auch einmal ihre
Kunst erproben möchten! Und so flüstert sie denn erst leise in den Spalten
der Zeitungen, und dann wird es zum Schrecken des deutschen Volkes laut
in den Versammlungen gerufein "Nehmt euch in Acht, Bismarck wird alt, das
Ruder zittert in seinen Händen, und niemand ist da, wenn er zusammensinkt,
der gelernt hätte, es an seiner Statt zu sühren!"

So rufen sie, um sich dnrch die erschreckte Menge einen Weg für ihren
eignen Ehrgeiz zu bahnen. Haben sie jemals in so verletzender Weise das
nahende Ende des greisen Moltke ausgeschrieen, der um volle fünfzehn Jahre
älter ist als Bismarck, und dessen "elastische Jugendfrische" sie nie genug
rühmen konnten? Ja freilich, in Svldatendingen wächst kein Lorbeer für
ihren Ehrgeiz: denn gerade die Haupthelden des "deutschen Freisinns" sind
dank dein orientalisch geschweiften Rundbau ihres Unterkörpers nicht einmal
ans die Dauer eines einjährigen Dienstjahres in der Entwicklung ihrer "fein-
geistiger Natur" durch strammen Vaterlandsdienst unterbrochen worden. Moltke
mag ruhig so ,,alt" werden, wie er will: aber dort wo Bismarck steht, dort¬
hin fühlen sie die Schwingen ihres Geistes wehen!

Ihr ganzer Trost ist nun, das; er "kein dauerndes System" hinterläßt,
ans dem Ehavs, daß sein Tod heraufbeschwören wird, glauben sie auf den
ewigen Aliigeln der Freiheit triumphirend emporzusteigen.

Schöpferische Genies vom Schlage Bismarcks Pflegen allerdings kein,
schemaartig gedrucktes Programm zu Hinterlassen, aber er wird dafür ein
lebendiges System erschaffen, das dauernder ist. Seit seinem ersten Auftreten
im Parlament in den vierziger Jahren bis zu dein letzten Atemzuge des
jüngsten Geschlechts, das ihn mit leiblichen Angen gesehen hat, also bis über die
Mitte des nächsten Jahrhunderts hinaus, wird ein lebendig befruchtender Hauch
von seiner Persönlichkeit ausgehen. "Das ist Bismarckisch gedacht, gesprochen
oder gehandelt" -- dies Wort wird man bis ans Ende des deutschen Geistes
als ein kritisches Maß an alles politische Treiben anlegen, als ein Maß, das
niemals trügen wird. Und wenn die Zeit kommen wird, wo er nicht mehr
unter uns weilt, dann wird es einen Punkt geben, aus welchem immer wieder


Grnizbvten II 1889 26
Der eilte Visinarck

heraus alles bekämpft, was vom Regierungstische kommt. „Weil sie kein Teil
dran hat, so will sie nur zerstören!"

Aber immer und immer wieder prallen ihre Angriffe ohnmächtig an der
einen Gestalt des eisernen Mannes ab. Nun schon länger als ein ganzes
Vierteljahrhundert dauert der Kampf gegen diesen einen Mann! Ein Jahr
nach dem andern ist dahingegangen, und die ehrgeizigen Kämpfer werden alt
und grau — wie viele von ihren Mitstreitern sind schon dahingesunteu, und
anch ihnen droht das dunkle Los, in die Vergessenheit zurückzusiukeu! Wenn
es ihnen nur ein einziges Mal gelänge, das Steuer des Staates zu erfassen!
Aber breit und unbeweglich steht dort immer und immer noch der eine Mann,
wo Platz geschaffen werden konnte für hundert andre, die auch einmal ihre
Kunst erproben möchten! Und so flüstert sie denn erst leise in den Spalten
der Zeitungen, und dann wird es zum Schrecken des deutschen Volkes laut
in den Versammlungen gerufein „Nehmt euch in Acht, Bismarck wird alt, das
Ruder zittert in seinen Händen, und niemand ist da, wenn er zusammensinkt,
der gelernt hätte, es an seiner Statt zu sühren!"

So rufen sie, um sich dnrch die erschreckte Menge einen Weg für ihren
eignen Ehrgeiz zu bahnen. Haben sie jemals in so verletzender Weise das
nahende Ende des greisen Moltke ausgeschrieen, der um volle fünfzehn Jahre
älter ist als Bismarck, und dessen „elastische Jugendfrische" sie nie genug
rühmen konnten? Ja freilich, in Svldatendingen wächst kein Lorbeer für
ihren Ehrgeiz: denn gerade die Haupthelden des „deutschen Freisinns" sind
dank dein orientalisch geschweiften Rundbau ihres Unterkörpers nicht einmal
ans die Dauer eines einjährigen Dienstjahres in der Entwicklung ihrer „fein-
geistiger Natur" durch strammen Vaterlandsdienst unterbrochen worden. Moltke
mag ruhig so ,,alt" werden, wie er will: aber dort wo Bismarck steht, dort¬
hin fühlen sie die Schwingen ihres Geistes wehen!

Ihr ganzer Trost ist nun, das; er „kein dauerndes System" hinterläßt,
ans dem Ehavs, daß sein Tod heraufbeschwören wird, glauben sie auf den
ewigen Aliigeln der Freiheit triumphirend emporzusteigen.

Schöpferische Genies vom Schlage Bismarcks Pflegen allerdings kein,
schemaartig gedrucktes Programm zu Hinterlassen, aber er wird dafür ein
lebendiges System erschaffen, das dauernder ist. Seit seinem ersten Auftreten
im Parlament in den vierziger Jahren bis zu dein letzten Atemzuge des
jüngsten Geschlechts, das ihn mit leiblichen Angen gesehen hat, also bis über die
Mitte des nächsten Jahrhunderts hinaus, wird ein lebendig befruchtender Hauch
von seiner Persönlichkeit ausgehen. „Das ist Bismarckisch gedacht, gesprochen
oder gehandelt" — dies Wort wird man bis ans Ende des deutschen Geistes
als ein kritisches Maß an alles politische Treiben anlegen, als ein Maß, das
niemals trügen wird. Und wenn die Zeit kommen wird, wo er nicht mehr
unter uns weilt, dann wird es einen Punkt geben, aus welchem immer wieder


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[0209] Der eilte Visinarck heraus alles bekämpft, was vom Regierungstische kommt. „Weil sie kein Teil dran hat, so will sie nur zerstören!" Aber immer und immer wieder prallen ihre Angriffe ohnmächtig an der einen Gestalt des eisernen Mannes ab. Nun schon länger als ein ganzes Vierteljahrhundert dauert der Kampf gegen diesen einen Mann! Ein Jahr nach dem andern ist dahingegangen, und die ehrgeizigen Kämpfer werden alt und grau — wie viele von ihren Mitstreitern sind schon dahingesunteu, und anch ihnen droht das dunkle Los, in die Vergessenheit zurückzusiukeu! Wenn es ihnen nur ein einziges Mal gelänge, das Steuer des Staates zu erfassen! Aber breit und unbeweglich steht dort immer und immer noch der eine Mann, wo Platz geschaffen werden konnte für hundert andre, die auch einmal ihre Kunst erproben möchten! Und so flüstert sie denn erst leise in den Spalten der Zeitungen, und dann wird es zum Schrecken des deutschen Volkes laut in den Versammlungen gerufein „Nehmt euch in Acht, Bismarck wird alt, das Ruder zittert in seinen Händen, und niemand ist da, wenn er zusammensinkt, der gelernt hätte, es an seiner Statt zu sühren!" So rufen sie, um sich dnrch die erschreckte Menge einen Weg für ihren eignen Ehrgeiz zu bahnen. Haben sie jemals in so verletzender Weise das nahende Ende des greisen Moltke ausgeschrieen, der um volle fünfzehn Jahre älter ist als Bismarck, und dessen „elastische Jugendfrische" sie nie genug rühmen konnten? Ja freilich, in Svldatendingen wächst kein Lorbeer für ihren Ehrgeiz: denn gerade die Haupthelden des „deutschen Freisinns" sind dank dein orientalisch geschweiften Rundbau ihres Unterkörpers nicht einmal ans die Dauer eines einjährigen Dienstjahres in der Entwicklung ihrer „fein- geistiger Natur" durch strammen Vaterlandsdienst unterbrochen worden. Moltke mag ruhig so ,,alt" werden, wie er will: aber dort wo Bismarck steht, dort¬ hin fühlen sie die Schwingen ihres Geistes wehen! Ihr ganzer Trost ist nun, das; er „kein dauerndes System" hinterläßt, ans dem Ehavs, daß sein Tod heraufbeschwören wird, glauben sie auf den ewigen Aliigeln der Freiheit triumphirend emporzusteigen. Schöpferische Genies vom Schlage Bismarcks Pflegen allerdings kein, schemaartig gedrucktes Programm zu Hinterlassen, aber er wird dafür ein lebendiges System erschaffen, das dauernder ist. Seit seinem ersten Auftreten im Parlament in den vierziger Jahren bis zu dein letzten Atemzuge des jüngsten Geschlechts, das ihn mit leiblichen Angen gesehen hat, also bis über die Mitte des nächsten Jahrhunderts hinaus, wird ein lebendig befruchtender Hauch von seiner Persönlichkeit ausgehen. „Das ist Bismarckisch gedacht, gesprochen oder gehandelt" — dies Wort wird man bis ans Ende des deutschen Geistes als ein kritisches Maß an alles politische Treiben anlegen, als ein Maß, das niemals trügen wird. Und wenn die Zeit kommen wird, wo er nicht mehr unter uns weilt, dann wird es einen Punkt geben, aus welchem immer wieder Grnizbvten II 1889 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/209>, abgerufen am 05.02.2025.