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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Bismarck

genommen und nunmehr auch durch Rudolf von Bennigsen in die Adern der
Negierung überzuführen begonnen. Was von diesen: 1848 zum vulkanischen
Ausbruch gelangten Liberalismus dem "Freisinn" zurückbleibt, ist Schlacken¬
werk. In dem ausgebrannten Krater werden sie vergeblich das Feuer aus
den beruhigten Volkstiefen wieder von neuem zu entfachen suchen, das Einzige,
was sie in ihrer politischen Pyrvmanie zu Stande bringen werden, ist prasselndes
Parlamentsfeuerwerk. Aber Twestens und Waldecks Ruhm läßt sie nun ein¬
mal nicht schlafen, lind doch, wenn man die Helden des alten Fortschritts-
tmns jetzt mit verbundenen Augen in den Reichstag führen und sie zu Ohren¬
zeugen der edelgesinnten Rede hätte machen können, die kürzlich mit den
volksfreundlichen Worten schloß: "Liebet die Brüder" -- glauben die Richter
und Rickert wirklich, daß ihre Helden dem wohlvertrauten Klang dieser vvlks-
liebenden Stimme nicht willig gefolgt wären? Sie Hütten in dem Redner
einen echten Jünger ihrer alten Ideen zu umarmen geglaubt und wären --
v, welche Kautschukmänner! -- in den Schoß der Negierung gesunken. Und
gewiß, sie wären dort geblieben! Denn sie hätten sehr bald erkannt, daß die
wahre soziale Beglückung des Volkes nicht mehr von der Regierung in
feurig aufregenden Volksreden ertrotzt zu werden braucht, sondern un¬
mittelbar unter ihrer Mitwirkung in anregender Arbeit sehr bequem gefördert
werden kann.

Die Opposition, wie sie heute von den politischen Erben des "großen
Wnldeck" betrieben wird, ist nicht mehr Vvlkssnche, ja nicht einmal Sache einer
programmreichen, ernstdenkenden Partei, sondern lediglich Sache des persön¬
lichen Temperaments. Was ihnen an großen politischen Programmgedanken
abgeht -- eigentlich steht außer liberale,: Phrasen nnr die zweijährige Dienst¬
zeit auf ihrer Fahne! --, das wird ersetzt durch rechthaberischen Eigensinn,
persönliche Unzufriedenheit, politische Hypochondrie, krankhaft nervöse Unab¬
hängigkeitssucht, das sittliche Bewußtsein, mit 60 Jahren immer noch mann¬
haft dasselbe sagen zu dürfen, was man mit 25 Jahren gesagt hat, endlich
durch verletzte Eitelkeit und unbefriedigten Ehrgeiz. In diese "freisinnige"
Opposition kann man wahrlich nicht durch ein ernstes, politisches Studium,
sondern mir durch persönliche Wünsche und Enttäuschungen gedrängt werden;
mit den: echten Mnsterfortschrittler aber ist es wie mit dem Dichter: nein M,
8"zü uÄLvitur; er kommt gleich mit einem unseligen Oppositions-Temperament
als Deutschfreisinniger auf die Welt, vielleicht weniger ein gesund-vergnügter,
rassenreiner Germanensprvß, als ein verirrter Sprenkling aus den: Kelten- und
Huuneumischblut, das seit der Völkerwanderung in unsern deutschen Geschlechtern
heute noch hie und da wirksam sein mag.

Nie hat sich diese deutsche Opposition reiner in der Urform ihrer eigent¬
lichen Natur dargestellt, als jetzt, wo sie ohne greifbares politisches Programm
nur aus ihrem widerhaarigen, selbstsüchtigen und ehrgeizigen Temperament


Der alte Bismarck

genommen und nunmehr auch durch Rudolf von Bennigsen in die Adern der
Negierung überzuführen begonnen. Was von diesen: 1848 zum vulkanischen
Ausbruch gelangten Liberalismus dem „Freisinn" zurückbleibt, ist Schlacken¬
werk. In dem ausgebrannten Krater werden sie vergeblich das Feuer aus
den beruhigten Volkstiefen wieder von neuem zu entfachen suchen, das Einzige,
was sie in ihrer politischen Pyrvmanie zu Stande bringen werden, ist prasselndes
Parlamentsfeuerwerk. Aber Twestens und Waldecks Ruhm läßt sie nun ein¬
mal nicht schlafen, lind doch, wenn man die Helden des alten Fortschritts-
tmns jetzt mit verbundenen Augen in den Reichstag führen und sie zu Ohren¬
zeugen der edelgesinnten Rede hätte machen können, die kürzlich mit den
volksfreundlichen Worten schloß: „Liebet die Brüder" — glauben die Richter
und Rickert wirklich, daß ihre Helden dem wohlvertrauten Klang dieser vvlks-
liebenden Stimme nicht willig gefolgt wären? Sie Hütten in dem Redner
einen echten Jünger ihrer alten Ideen zu umarmen geglaubt und wären —
v, welche Kautschukmänner! — in den Schoß der Negierung gesunken. Und
gewiß, sie wären dort geblieben! Denn sie hätten sehr bald erkannt, daß die
wahre soziale Beglückung des Volkes nicht mehr von der Regierung in
feurig aufregenden Volksreden ertrotzt zu werden braucht, sondern un¬
mittelbar unter ihrer Mitwirkung in anregender Arbeit sehr bequem gefördert
werden kann.

Die Opposition, wie sie heute von den politischen Erben des „großen
Wnldeck" betrieben wird, ist nicht mehr Vvlkssnche, ja nicht einmal Sache einer
programmreichen, ernstdenkenden Partei, sondern lediglich Sache des persön¬
lichen Temperaments. Was ihnen an großen politischen Programmgedanken
abgeht — eigentlich steht außer liberale,: Phrasen nnr die zweijährige Dienst¬
zeit auf ihrer Fahne! —, das wird ersetzt durch rechthaberischen Eigensinn,
persönliche Unzufriedenheit, politische Hypochondrie, krankhaft nervöse Unab¬
hängigkeitssucht, das sittliche Bewußtsein, mit 60 Jahren immer noch mann¬
haft dasselbe sagen zu dürfen, was man mit 25 Jahren gesagt hat, endlich
durch verletzte Eitelkeit und unbefriedigten Ehrgeiz. In diese „freisinnige"
Opposition kann man wahrlich nicht durch ein ernstes, politisches Studium,
sondern mir durch persönliche Wünsche und Enttäuschungen gedrängt werden;
mit den: echten Mnsterfortschrittler aber ist es wie mit dem Dichter: nein M,
8«zü uÄLvitur; er kommt gleich mit einem unseligen Oppositions-Temperament
als Deutschfreisinniger auf die Welt, vielleicht weniger ein gesund-vergnügter,
rassenreiner Germanensprvß, als ein verirrter Sprenkling aus den: Kelten- und
Huuneumischblut, das seit der Völkerwanderung in unsern deutschen Geschlechtern
heute noch hie und da wirksam sein mag.

Nie hat sich diese deutsche Opposition reiner in der Urform ihrer eigent¬
lichen Natur dargestellt, als jetzt, wo sie ohne greifbares politisches Programm
nur aus ihrem widerhaarigen, selbstsüchtigen und ehrgeizigen Temperament


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[0208] Der alte Bismarck genommen und nunmehr auch durch Rudolf von Bennigsen in die Adern der Negierung überzuführen begonnen. Was von diesen: 1848 zum vulkanischen Ausbruch gelangten Liberalismus dem „Freisinn" zurückbleibt, ist Schlacken¬ werk. In dem ausgebrannten Krater werden sie vergeblich das Feuer aus den beruhigten Volkstiefen wieder von neuem zu entfachen suchen, das Einzige, was sie in ihrer politischen Pyrvmanie zu Stande bringen werden, ist prasselndes Parlamentsfeuerwerk. Aber Twestens und Waldecks Ruhm läßt sie nun ein¬ mal nicht schlafen, lind doch, wenn man die Helden des alten Fortschritts- tmns jetzt mit verbundenen Augen in den Reichstag führen und sie zu Ohren¬ zeugen der edelgesinnten Rede hätte machen können, die kürzlich mit den volksfreundlichen Worten schloß: „Liebet die Brüder" — glauben die Richter und Rickert wirklich, daß ihre Helden dem wohlvertrauten Klang dieser vvlks- liebenden Stimme nicht willig gefolgt wären? Sie Hütten in dem Redner einen echten Jünger ihrer alten Ideen zu umarmen geglaubt und wären — v, welche Kautschukmänner! — in den Schoß der Negierung gesunken. Und gewiß, sie wären dort geblieben! Denn sie hätten sehr bald erkannt, daß die wahre soziale Beglückung des Volkes nicht mehr von der Regierung in feurig aufregenden Volksreden ertrotzt zu werden braucht, sondern un¬ mittelbar unter ihrer Mitwirkung in anregender Arbeit sehr bequem gefördert werden kann. Die Opposition, wie sie heute von den politischen Erben des „großen Wnldeck" betrieben wird, ist nicht mehr Vvlkssnche, ja nicht einmal Sache einer programmreichen, ernstdenkenden Partei, sondern lediglich Sache des persön¬ lichen Temperaments. Was ihnen an großen politischen Programmgedanken abgeht — eigentlich steht außer liberale,: Phrasen nnr die zweijährige Dienst¬ zeit auf ihrer Fahne! —, das wird ersetzt durch rechthaberischen Eigensinn, persönliche Unzufriedenheit, politische Hypochondrie, krankhaft nervöse Unab¬ hängigkeitssucht, das sittliche Bewußtsein, mit 60 Jahren immer noch mann¬ haft dasselbe sagen zu dürfen, was man mit 25 Jahren gesagt hat, endlich durch verletzte Eitelkeit und unbefriedigten Ehrgeiz. In diese „freisinnige" Opposition kann man wahrlich nicht durch ein ernstes, politisches Studium, sondern mir durch persönliche Wünsche und Enttäuschungen gedrängt werden; mit den: echten Mnsterfortschrittler aber ist es wie mit dem Dichter: nein M, 8«zü uÄLvitur; er kommt gleich mit einem unseligen Oppositions-Temperament als Deutschfreisinniger auf die Welt, vielleicht weniger ein gesund-vergnügter, rassenreiner Germanensprvß, als ein verirrter Sprenkling aus den: Kelten- und Huuneumischblut, das seit der Völkerwanderung in unsern deutschen Geschlechtern heute noch hie und da wirksam sein mag. Nie hat sich diese deutsche Opposition reiner in der Urform ihrer eigent¬ lichen Natur dargestellt, als jetzt, wo sie ohne greifbares politisches Programm nur aus ihrem widerhaarigen, selbstsüchtigen und ehrgeizigen Temperament

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/208>, abgerufen am 10.02.2025.