Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.!viener Litteratur Weder zu dieser Höhe der Weltanschauung uoch zu dieser gelänterien !viener Litteratur Weder zu dieser Höhe der Weltanschauung uoch zu dieser gelänterien <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204918"/> <fw type="header" place="top"> !viener Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_452" next="#ID_453"> Weder zu dieser Höhe der Weltanschauung uoch zu dieser gelänterien<lb/> Kunst der Ebner hat sich die um eine Generation jüngre „Emil" Marrivt in<lb/> ihrem „Roman ans den bürgerlichen Kreisen": Die Unznfriednen (Berlin,<lb/> Freund und Jeckel, 1889) erhoben. Mitleid mit der armen und leidenden<lb/> Menschheit ist die Seele des Pessimismus der Ebner, ihr Ich hat sich erweitert<lb/> zum Ich der Gesamtheit, der allgemeinen menschlichen Natur, und weil sie<lb/> voll von Nächstenliebe ist, dient sie auch der Schönheit, denn nicht verletze»,<lb/> nicht peinigen, sondern erheben und trösten will sie den Leser, und weil ihre<lb/> Seele so klar und so groß ist, darum hat sie anch den Humor gefunden, jenen<lb/> Triumph des freie», kraftvolle« Genius, der das Kleine klein, das Große groß<lb/> zu schauen weiß. Enül Marrivt findet sich noch im Gegensatz zu einem großen<lb/> Teil der Menschheit, Haß und Entrüstung und Verachtung haben ihr die<lb/> Feder in die Hand gedrückt, schonungslos geht sie den Meuscheu zu Leibe.<lb/> Darum kennt sie auch die Schönheit nicht, darin» denkt sie beim Schreiben<lb/> nicht an den Leser, dem sie kein Leid erspart, das sie selbst erlitten hat, darin»<lb/> hat sie auch keine» Humor, denn sie ist selbst noch vielfach befangen in den<lb/> Leidenschaften, die sie geißelt, darum peinigt und quält sie uns, aiistatt uns<lb/> zu führen und zu erheben. Ihr ist es nnr um die Satire zu thun, »in die<lb/> ethisch-kritische Wirkung. Sie steht in den Dingen, nicht frei darüber. Auch<lb/> sie führt Schopenhauer im Munde, aber wie so viele, hat sie sich wohl seine<lb/> weltschmerzlichcu, nicht aber seine ästhetischen Lehren zu eigen gemacht. Mau<lb/> muß aber auch billig sein und bei dem Vergleiche der zwei so ungleichen<lb/> Wienerinnen die Herkunft bedenken. Die Ebner ist eine geborne Gräfin; ihr<lb/> dichterischer Geist konnte sich in einer zwar nichts weniger als holden, aber<lb/> doch vor dein gemeinen Jammer des Lebens geschützten Umgebung entwickeln.<lb/> Die Marrivt, überdies noch das Kind der weit unruhigeren Zeit der sozialen<lb/> Frage, stumme ans einer bescheidnen Beamtenfamilie. Beide^ Frauen sind<lb/> Autodidakten. In einem Bruchstück ihrer Jugendgeschichte verrät die Freifrau,<lb/> daß es mit der wissenschaftlichen Erziehung in den adelichen Häusern Öster¬<lb/> reichs in den dreißiger Jahren nicht eben glänzend bestellt war. Noch in der<lb/> letzten Novelle „Wieder die Alte" kämpft die Ebner gegen das Vorurteil der<lb/> alten Adelichen, daß viel Wissen praktisch untauglich mache, sie kämpft mit den<lb/> Waffen des Humors. Die Marrivt hat sich von unten heraufarbeite» müssen;<lb/> nicht einmal die Wohlthat einer guten Gesellschaft ist ihr in der Jugend zu<lb/> teil geworden. Und wie da unten die Menschen derber sind, als in den<lb/> üblichen Schlössern und Palästen, so ist anch die Tonart der Dichterin heftiger,<lb/> leidenschaftlicher, grimi»iger geworden als oben. Der Humor ist ihr ver¬<lb/> gangen, wo sie tief hassen gelernt hat. Und ans diesen Erfahrungen hat sie<lb/> eben ihre Schilderungen der bürgerlichen Kreise entworfen: der Aufschrei einer<lb/> gemarterten Frauenseele über die Verkommenheit der Umgeb»»g, i» die sie<lb/> das Schicksal gestellt hat. Und wie sehr mau sich auch sträuben mag zum-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0187]
!viener Litteratur
Weder zu dieser Höhe der Weltanschauung uoch zu dieser gelänterien
Kunst der Ebner hat sich die um eine Generation jüngre „Emil" Marrivt in
ihrem „Roman ans den bürgerlichen Kreisen": Die Unznfriednen (Berlin,
Freund und Jeckel, 1889) erhoben. Mitleid mit der armen und leidenden
Menschheit ist die Seele des Pessimismus der Ebner, ihr Ich hat sich erweitert
zum Ich der Gesamtheit, der allgemeinen menschlichen Natur, und weil sie
voll von Nächstenliebe ist, dient sie auch der Schönheit, denn nicht verletze»,
nicht peinigen, sondern erheben und trösten will sie den Leser, und weil ihre
Seele so klar und so groß ist, darum hat sie anch den Humor gefunden, jenen
Triumph des freie», kraftvolle« Genius, der das Kleine klein, das Große groß
zu schauen weiß. Enül Marrivt findet sich noch im Gegensatz zu einem großen
Teil der Menschheit, Haß und Entrüstung und Verachtung haben ihr die
Feder in die Hand gedrückt, schonungslos geht sie den Meuscheu zu Leibe.
Darum kennt sie auch die Schönheit nicht, darin» denkt sie beim Schreiben
nicht an den Leser, dem sie kein Leid erspart, das sie selbst erlitten hat, darin»
hat sie auch keine» Humor, denn sie ist selbst noch vielfach befangen in den
Leidenschaften, die sie geißelt, darum peinigt und quält sie uns, aiistatt uns
zu führen und zu erheben. Ihr ist es nnr um die Satire zu thun, »in die
ethisch-kritische Wirkung. Sie steht in den Dingen, nicht frei darüber. Auch
sie führt Schopenhauer im Munde, aber wie so viele, hat sie sich wohl seine
weltschmerzlichcu, nicht aber seine ästhetischen Lehren zu eigen gemacht. Mau
muß aber auch billig sein und bei dem Vergleiche der zwei so ungleichen
Wienerinnen die Herkunft bedenken. Die Ebner ist eine geborne Gräfin; ihr
dichterischer Geist konnte sich in einer zwar nichts weniger als holden, aber
doch vor dein gemeinen Jammer des Lebens geschützten Umgebung entwickeln.
Die Marrivt, überdies noch das Kind der weit unruhigeren Zeit der sozialen
Frage, stumme ans einer bescheidnen Beamtenfamilie. Beide^ Frauen sind
Autodidakten. In einem Bruchstück ihrer Jugendgeschichte verrät die Freifrau,
daß es mit der wissenschaftlichen Erziehung in den adelichen Häusern Öster¬
reichs in den dreißiger Jahren nicht eben glänzend bestellt war. Noch in der
letzten Novelle „Wieder die Alte" kämpft die Ebner gegen das Vorurteil der
alten Adelichen, daß viel Wissen praktisch untauglich mache, sie kämpft mit den
Waffen des Humors. Die Marrivt hat sich von unten heraufarbeite» müssen;
nicht einmal die Wohlthat einer guten Gesellschaft ist ihr in der Jugend zu
teil geworden. Und wie da unten die Menschen derber sind, als in den
üblichen Schlössern und Palästen, so ist anch die Tonart der Dichterin heftiger,
leidenschaftlicher, grimi»iger geworden als oben. Der Humor ist ihr ver¬
gangen, wo sie tief hassen gelernt hat. Und ans diesen Erfahrungen hat sie
eben ihre Schilderungen der bürgerlichen Kreise entworfen: der Aufschrei einer
gemarterten Frauenseele über die Verkommenheit der Umgeb»»g, i» die sie
das Schicksal gestellt hat. Und wie sehr mau sich auch sträuben mag zum-
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