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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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menschlichen Dinge gestellt ist. So scharf und streng der Philosoph die
Grenzen zu ziehen sucht, innerhalb deren sich die obrigkeitliche Gewalt,
gegenüber dem Recht und der Freiheit des Einzelnen, zu halten hat, so ist
ihm doch jede Aufwiegelung und jeder Aufstand, auch wenn die Obrig¬
keit diese Grenzen überschritten und den ursprünglichen Vertrag verletzt hat,
das Unberechtigtste von allem und das strafbarste Verbrechen in dem ge¬
meinen Wesen.

Was uns aber ferner als ein charakteristischer Zug an vielen unsrer
damaligen Dichter und Denker und derer, die in ihrer Sphäre lebten, entgegen¬
tritt, das ist "jene hohe Achtung vor jedem Keime des Lebens im Kopfe und
Herzen, die ihnen zum menschlichen Ideale gehörte," jenes "Bedürfnis einer
weisen Schonung gegen Meinungen, Empfindungen und Einrichtungen, die
einen Keim von Menschenwert enthielten, der der Entwickelung würdig wäre."
(Chr. G. Körner.) Was daraus hervorging, war einesteils, daß man in nichts
so einmütig zusammenstimmte als in dem Verlangen nach einer weitreichenden
Freiheit für deu Ausdruck jeder Meinung, sodann aber auch, daß viele aus einer
Art unparteiischer Beobachterrolle herauszutreten sich scheuten. Man sah, nach
einem Ausdruck Wielands, die französischen Verfassungskämpfe wie ein höchst
interessantes Drama an sich vorübergehn, das die französische Nation auf ihre
Kosten der Welt zum Besten gebe; indem man mit Spannung der Entwickelung
entgegenharrte, hielt man mit dem Urteil über die grellen Erscheinungen zurück
in einer Weise, die von Fernerstehenden leicht als eine schüchterne Billigung
aufgefaßt werden konnte. Noch im Jahre 1793 führt eine Flugschrift diesen
Gesichtspunkt den Anklägern der blutigen französischen Auftritte zu Gemüte.
"Selbst der größte Künstler," sagt sie, "wird sein Kunstwerk nicht gerne
eher beurteilen lassen, bis es vollendet ist, ja er kann dieses Zurückhalten
des Urteils mit vollem Rechte von Jedem fordern, der die Miene eines
billigen Beurteilers annimmt. Sollte nicht die französische Nation bei der
Beurteilung eines so großen Kunstwerkes, wie die Begründung eiuer neuen
Staatsverfassung ist, gleiche Billigkeit von uns Deutschen zu fordern be¬
rechtigt sein?"

Einer verwandten Sinnesweise begegnen wir bei einem Blick in den Brief¬
wechsel zwischen Schiller und Körner. Körner empfand sichtlich einen sehr
lebhaften Drang, sich in den politischen Meinungsstreit schriftstellerisch einzu¬
mischen. Dann aber glaubte er doch, "das Feuer, welches jetzt brenne, als
das Werk einer höheren Hand ehren und weder Öl noch Wasser hineingießen
zu sollen." Nicht minder bezeichnend sind die Veratungen der beiden Freunde
über den Gedanken Schillers, in dem Prozeß Ludwigs XVI. eine öffentliche
Verteidigungsschrift an den französischen Konvent zu richten. Für Schiller
liegt ein Hauptreiz der Aufgabe in der Hoffnung einer guten Wirkung nach
beiden Seiten, da mau, als Verteidiger eines Königs, auch dem Monarchen


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menschlichen Dinge gestellt ist. So scharf und streng der Philosoph die
Grenzen zu ziehen sucht, innerhalb deren sich die obrigkeitliche Gewalt,
gegenüber dem Recht und der Freiheit des Einzelnen, zu halten hat, so ist
ihm doch jede Aufwiegelung und jeder Aufstand, auch wenn die Obrig¬
keit diese Grenzen überschritten und den ursprünglichen Vertrag verletzt hat,
das Unberechtigtste von allem und das strafbarste Verbrechen in dem ge¬
meinen Wesen.

Was uns aber ferner als ein charakteristischer Zug an vielen unsrer
damaligen Dichter und Denker und derer, die in ihrer Sphäre lebten, entgegen¬
tritt, das ist „jene hohe Achtung vor jedem Keime des Lebens im Kopfe und
Herzen, die ihnen zum menschlichen Ideale gehörte," jenes „Bedürfnis einer
weisen Schonung gegen Meinungen, Empfindungen und Einrichtungen, die
einen Keim von Menschenwert enthielten, der der Entwickelung würdig wäre."
(Chr. G. Körner.) Was daraus hervorging, war einesteils, daß man in nichts
so einmütig zusammenstimmte als in dem Verlangen nach einer weitreichenden
Freiheit für deu Ausdruck jeder Meinung, sodann aber auch, daß viele aus einer
Art unparteiischer Beobachterrolle herauszutreten sich scheuten. Man sah, nach
einem Ausdruck Wielands, die französischen Verfassungskämpfe wie ein höchst
interessantes Drama an sich vorübergehn, das die französische Nation auf ihre
Kosten der Welt zum Besten gebe; indem man mit Spannung der Entwickelung
entgegenharrte, hielt man mit dem Urteil über die grellen Erscheinungen zurück
in einer Weise, die von Fernerstehenden leicht als eine schüchterne Billigung
aufgefaßt werden konnte. Noch im Jahre 1793 führt eine Flugschrift diesen
Gesichtspunkt den Anklägern der blutigen französischen Auftritte zu Gemüte.
„Selbst der größte Künstler," sagt sie, „wird sein Kunstwerk nicht gerne
eher beurteilen lassen, bis es vollendet ist, ja er kann dieses Zurückhalten
des Urteils mit vollem Rechte von Jedem fordern, der die Miene eines
billigen Beurteilers annimmt. Sollte nicht die französische Nation bei der
Beurteilung eines so großen Kunstwerkes, wie die Begründung eiuer neuen
Staatsverfassung ist, gleiche Billigkeit von uns Deutschen zu fordern be¬
rechtigt sein?"

Einer verwandten Sinnesweise begegnen wir bei einem Blick in den Brief¬
wechsel zwischen Schiller und Körner. Körner empfand sichtlich einen sehr
lebhaften Drang, sich in den politischen Meinungsstreit schriftstellerisch einzu¬
mischen. Dann aber glaubte er doch, „das Feuer, welches jetzt brenne, als
das Werk einer höheren Hand ehren und weder Öl noch Wasser hineingießen
zu sollen." Nicht minder bezeichnend sind die Veratungen der beiden Freunde
über den Gedanken Schillers, in dem Prozeß Ludwigs XVI. eine öffentliche
Verteidigungsschrift an den französischen Konvent zu richten. Für Schiller
liegt ein Hauptreiz der Aufgabe in der Hoffnung einer guten Wirkung nach
beiden Seiten, da mau, als Verteidiger eines Königs, auch dem Monarchen


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[0178] Aur Erklärung deutscher Revolutionssympathien ^?9^^^?92 menschlichen Dinge gestellt ist. So scharf und streng der Philosoph die Grenzen zu ziehen sucht, innerhalb deren sich die obrigkeitliche Gewalt, gegenüber dem Recht und der Freiheit des Einzelnen, zu halten hat, so ist ihm doch jede Aufwiegelung und jeder Aufstand, auch wenn die Obrig¬ keit diese Grenzen überschritten und den ursprünglichen Vertrag verletzt hat, das Unberechtigtste von allem und das strafbarste Verbrechen in dem ge¬ meinen Wesen. Was uns aber ferner als ein charakteristischer Zug an vielen unsrer damaligen Dichter und Denker und derer, die in ihrer Sphäre lebten, entgegen¬ tritt, das ist „jene hohe Achtung vor jedem Keime des Lebens im Kopfe und Herzen, die ihnen zum menschlichen Ideale gehörte," jenes „Bedürfnis einer weisen Schonung gegen Meinungen, Empfindungen und Einrichtungen, die einen Keim von Menschenwert enthielten, der der Entwickelung würdig wäre." (Chr. G. Körner.) Was daraus hervorging, war einesteils, daß man in nichts so einmütig zusammenstimmte als in dem Verlangen nach einer weitreichenden Freiheit für deu Ausdruck jeder Meinung, sodann aber auch, daß viele aus einer Art unparteiischer Beobachterrolle herauszutreten sich scheuten. Man sah, nach einem Ausdruck Wielands, die französischen Verfassungskämpfe wie ein höchst interessantes Drama an sich vorübergehn, das die französische Nation auf ihre Kosten der Welt zum Besten gebe; indem man mit Spannung der Entwickelung entgegenharrte, hielt man mit dem Urteil über die grellen Erscheinungen zurück in einer Weise, die von Fernerstehenden leicht als eine schüchterne Billigung aufgefaßt werden konnte. Noch im Jahre 1793 führt eine Flugschrift diesen Gesichtspunkt den Anklägern der blutigen französischen Auftritte zu Gemüte. „Selbst der größte Künstler," sagt sie, „wird sein Kunstwerk nicht gerne eher beurteilen lassen, bis es vollendet ist, ja er kann dieses Zurückhalten des Urteils mit vollem Rechte von Jedem fordern, der die Miene eines billigen Beurteilers annimmt. Sollte nicht die französische Nation bei der Beurteilung eines so großen Kunstwerkes, wie die Begründung eiuer neuen Staatsverfassung ist, gleiche Billigkeit von uns Deutschen zu fordern be¬ rechtigt sein?" Einer verwandten Sinnesweise begegnen wir bei einem Blick in den Brief¬ wechsel zwischen Schiller und Körner. Körner empfand sichtlich einen sehr lebhaften Drang, sich in den politischen Meinungsstreit schriftstellerisch einzu¬ mischen. Dann aber glaubte er doch, „das Feuer, welches jetzt brenne, als das Werk einer höheren Hand ehren und weder Öl noch Wasser hineingießen zu sollen." Nicht minder bezeichnend sind die Veratungen der beiden Freunde über den Gedanken Schillers, in dem Prozeß Ludwigs XVI. eine öffentliche Verteidigungsschrift an den französischen Konvent zu richten. Für Schiller liegt ein Hauptreiz der Aufgabe in der Hoffnung einer guten Wirkung nach beiden Seiten, da mau, als Verteidiger eines Königs, auch dem Monarchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/178>, abgerufen am 05.02.2025.