Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zur Erklärung deutscher Revolntionssyinpatlnen Ü.?9O^^792 Meist aber zeigte sich denn doch in dieser Klasse von Geistern eine andere 5) Allerdings rühren mehrere aus einer Zeit her, wo infolge der Schreckensherrschaft und der unerquicklichen weiteren Entwickelung der französischen Ereignisse die Teilnahme der Deutschen an diesen Ereignissen manches von ihrem frühere" Charakter verloren hatte. Da aber der Inhalt der Abhandlungen in der Hauptsache sicherlich kein andrer sein würde, auch wenn sich Kant schon in den Jahren, mit denen wir uus hier beschäftigen, ausführlicher über die betreffenden Fragen ausgesprochen hätte, so glaube ich wohl auf sie für meinen Zweck Bezug nehmen zu dürfen. Grenzboten II 1389 22
Zur Erklärung deutscher Revolntionssyinpatlnen Ü.?9O^^792 Meist aber zeigte sich denn doch in dieser Klasse von Geistern eine andere 5) Allerdings rühren mehrere aus einer Zeit her, wo infolge der Schreckensherrschaft und der unerquicklichen weiteren Entwickelung der französischen Ereignisse die Teilnahme der Deutschen an diesen Ereignissen manches von ihrem frühere» Charakter verloren hatte. Da aber der Inhalt der Abhandlungen in der Hauptsache sicherlich kein andrer sein würde, auch wenn sich Kant schon in den Jahren, mit denen wir uus hier beschäftigen, ausführlicher über die betreffenden Fragen ausgesprochen hätte, so glaube ich wohl auf sie für meinen Zweck Bezug nehmen zu dürfen. Grenzboten II 1389 22
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Zur Erklärung deutscher Revolntionssyinpatlnen Ü.?9O^^792
Meist aber zeigte sich denn doch in dieser Klasse von Geistern eine andere
Art, sich zu der französischen Revolution zu verhalten, als die vorherrschende.
Indem sie jetzt, von dem Zuge der Zeit ergriffen, sich mit erhöhter Teil¬
nahme auf Politisches einließen, traten für sie begreiflicherweise auch hier
Ideale und allgemeine Prinzipien leicht in den Vordergrund. Mehr in diesen
lebend, als mit politischer Fachbildung und Erfahrung ausgerüstet und be¬
schäftigt, fanden sie in dem Unternehmen der Franzosen, ans der reinen
Durchführung der obersten, durch die Weisheit der Zeit gegebenen Sätze ein
Verfassungswerk für eine Nation von fünfundzwanzig Millionen hervorgehen
zu lassen, an und für sich außerordentlich viel des Anziehenden und Impo¬
santen. Gegen die Frevel und Übel der Revolution sich zu verblenden, waren
sie weit entfernt; vor allem waren sie aber doch erfüllt von der Größe der
hier zu lösenden Probleme. Blicken wir in die berühmten politischen Abhand¬
lungen Kants, die von allem, was unsre großen Philosophen ans Veran¬
lassung der französischen Revolution ans Licht gegeben, immer das stärkste
Interesse erregt haben"). Sie bewegen sich, ohne irgend auf das Einzelne
in den Vorgängen näheren Bezug zu nehmen, ganz in dem Gebiete allgemeiner
Spekulation. Hier stellen sie nun über uimutastbare Menschenrechte, über die
Beziehungen, in denen eine Ungleichheit unter den'Menschen unzulässig sei, über
Selbstbestimmung des Volkes, über die Notwendigkeit einer Trennung zwischen
ausführender und gesetzgebender Gewalt, Sätze auf von sehr weitreichender
Art und sehr ähnlich gewissen obersten Sätzen, die in der französischen Revo¬
lution eine beträchtliche Rolle gespielt haben. In dieser Revolution selbst
erblickt Kant eine Bürgschaft für den beständigen Fortschritt der Menschheit und
drückt die Überzeugung aus, daß das Bestreben nach Herstellung einer den
Vernunftprinzipien entsprechenden Verfassung, auch wenn es jetzt scheitere, doch
nie ruhen und, auf Grund wiederholter Erfahrungen, zu irgend einer Zeit zu
einem Ergebnis führen müsse, das die Bemühungen belohne. Wie aber doch
Kant sich auf einem andern Boden bewegt als Viele, die ihn nach derartigen
Aufstellungen für den Ihren hätten ansetzn können, beweist vor Allem seine
mit äußerster Schroffheit ausgesprochene Verwerfung jedes Jnsnrrektionsrechtes.
Diese Verwerfung ist für ihn die notwendige Konsequenz der selbständigen
Macht und Gewalt, womit der Staat, sein Gesetz und sein Oberhaupt, zur
Durchführung der ihnen und nur ihnen eigenen Bestimmung, in und über die
5) Allerdings rühren mehrere aus einer Zeit her, wo infolge der Schreckensherrschaft
und der unerquicklichen weiteren Entwickelung der französischen Ereignisse die Teilnahme der
Deutschen an diesen Ereignissen manches von ihrem frühere» Charakter verloren hatte. Da
aber der Inhalt der Abhandlungen in der Hauptsache sicherlich kein andrer sein würde, auch
wenn sich Kant schon in den Jahren, mit denen wir uus hier beschäftigen, ausführlicher über
die betreffenden Fragen ausgesprochen hätte, so glaube ich wohl auf sie für meinen Zweck
Bezug nehmen zu dürfen.
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