Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Erklärung deutscher Revolutioussympathien ^7Z0-^?92

Jahre 1790 stellte er das Vorhandensein einer republikanischen Schwärmerei
unter den deutschen Schriftstellern in Abrede; noch zwei Jahre später bezeichnet
er die ersten politischen Schriftsteller Deutschlands als frei von dem Vorwurfe,
mit einer blinden Bewundrung für die französische Revolution behaftet zu sein.
Aber freilich, wie wenige von den 7000 Schriftstellern, die mau damals in
Deutschland zu zählen glaubte, konnten denn überhaupt, zumal wenn man
von einigen Staatsdienern oder einigen Universitätsprofessoren absah, als Männer
von eigentlich politischen Studien und Erfahrungen in Betracht kommen! Wie
groß war dagegen die Anzahl derer, die unter den jetzt gegebenen Anregungen
ihre Thätigkeit auch politischen Dingen zuwendeten! Wie leicht mochten dann
diese von der Zeitströmung sich fortreißen lassen und sie nun ihrerseits ver¬
stärken helfen! Schon das Bedürfnis des Erwerbs mußte begreiflicherweise
bei vielen von jenen 7000 dringend genug sein, um sie dem Geschmack
dienen zu lassen, der im lesenden Publikum die Mehrzahl für sich hatte. Da¬
bei kam dann, wie schon vor der Revolutionszeit, die Zerstückelung des deut¬
schen Bodens in eine Menge kleiner und kleinster Herrschaftsgebiete trefflich zu
statten. "Wahrhafte Scharteken, die das Volk zum lauten Aufruhr auffordern
-- so wehklagt eil? antirevolutionärer Eifrer --, finden wohl in manchem Lande
keine Presse; aber in dem Lande des Nachbars dürfen sie gedruckt, rühmlich
rezensiert, verkauft und ungehindert in alle deutschen Provinzen vertrödelt
werden." Schlözer, der alte Freund der Preßfreiheit, ist doch entrüstet über
die Pasquille, die von den verworfensten Menschen, ohne Nennung des Drnck-
ortes aus den infamsten Winkel- und Mencheldruckereien kleiner Herren aus¬
gestreut wurden. Die Zensur selbst, so hören wir klagen, sei in mehreren
deutschen Provinzen in den gefährlichsten Händen. Brnunschweig und, Dank
der Verbindung mit dem dänischen Staate, Holstein und Schleswig kannten
gar keine Zensur; an andern Orten war sie wenigstens thatsächlich kaum
zu spüren. So fanden sich denn scharfe Kritik der deutschen Zustände und
überschlvängliche Anpreisung der französischen Revolution doch keineswegs
bloß auf Scharteken und Wiukeldruckereieu angewiesen, um zu Worte zu kommen.
Nur daß etwa der Fürst, aus dessen Land oder Ländchen das kecke Wort in
die Welt ausging, für die gewährte Freiheit von Zeit zu, Zeit einen Tribut
empfing in einem starken, ihm persönlich gewidmeten Weihrauch; höhnisch wiesen
wohl die Gegner darauf hin, wie in so mancher beredten Schilderung ganz
Deutschland und seine Regierungen als Sitze des Ärgernisses, immer aber ein
Land als Stätte des Heils, ein Fürst und seine Regierung als Muster der
Tugend gepriesen würden -- Fürst und Regierung des Landes, wo Schrift¬
steller und Drucker ihre Thätigkeit ausübten. Wie viel des Süßen und
schmeichelhaften bekam nicht von Joachim Campe und dessen Mitarbeitern
Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig zu hören, allerdings ein
aufklärnngsfreuudlicher Herr, aber auch derselbe, den? es durch eine seltsame


Zur Erklärung deutscher Revolutioussympathien ^7Z0-^?92

Jahre 1790 stellte er das Vorhandensein einer republikanischen Schwärmerei
unter den deutschen Schriftstellern in Abrede; noch zwei Jahre später bezeichnet
er die ersten politischen Schriftsteller Deutschlands als frei von dem Vorwurfe,
mit einer blinden Bewundrung für die französische Revolution behaftet zu sein.
Aber freilich, wie wenige von den 7000 Schriftstellern, die mau damals in
Deutschland zu zählen glaubte, konnten denn überhaupt, zumal wenn man
von einigen Staatsdienern oder einigen Universitätsprofessoren absah, als Männer
von eigentlich politischen Studien und Erfahrungen in Betracht kommen! Wie
groß war dagegen die Anzahl derer, die unter den jetzt gegebenen Anregungen
ihre Thätigkeit auch politischen Dingen zuwendeten! Wie leicht mochten dann
diese von der Zeitströmung sich fortreißen lassen und sie nun ihrerseits ver¬
stärken helfen! Schon das Bedürfnis des Erwerbs mußte begreiflicherweise
bei vielen von jenen 7000 dringend genug sein, um sie dem Geschmack
dienen zu lassen, der im lesenden Publikum die Mehrzahl für sich hatte. Da¬
bei kam dann, wie schon vor der Revolutionszeit, die Zerstückelung des deut¬
schen Bodens in eine Menge kleiner und kleinster Herrschaftsgebiete trefflich zu
statten. „Wahrhafte Scharteken, die das Volk zum lauten Aufruhr auffordern
— so wehklagt eil? antirevolutionärer Eifrer —, finden wohl in manchem Lande
keine Presse; aber in dem Lande des Nachbars dürfen sie gedruckt, rühmlich
rezensiert, verkauft und ungehindert in alle deutschen Provinzen vertrödelt
werden." Schlözer, der alte Freund der Preßfreiheit, ist doch entrüstet über
die Pasquille, die von den verworfensten Menschen, ohne Nennung des Drnck-
ortes aus den infamsten Winkel- und Mencheldruckereien kleiner Herren aus¬
gestreut wurden. Die Zensur selbst, so hören wir klagen, sei in mehreren
deutschen Provinzen in den gefährlichsten Händen. Brnunschweig und, Dank
der Verbindung mit dem dänischen Staate, Holstein und Schleswig kannten
gar keine Zensur; an andern Orten war sie wenigstens thatsächlich kaum
zu spüren. So fanden sich denn scharfe Kritik der deutschen Zustände und
überschlvängliche Anpreisung der französischen Revolution doch keineswegs
bloß auf Scharteken und Wiukeldruckereieu angewiesen, um zu Worte zu kommen.
Nur daß etwa der Fürst, aus dessen Land oder Ländchen das kecke Wort in
die Welt ausging, für die gewährte Freiheit von Zeit zu, Zeit einen Tribut
empfing in einem starken, ihm persönlich gewidmeten Weihrauch; höhnisch wiesen
wohl die Gegner darauf hin, wie in so mancher beredten Schilderung ganz
Deutschland und seine Regierungen als Sitze des Ärgernisses, immer aber ein
Land als Stätte des Heils, ein Fürst und seine Regierung als Muster der
Tugend gepriesen würden — Fürst und Regierung des Landes, wo Schrift¬
steller und Drucker ihre Thätigkeit ausübten. Wie viel des Süßen und
schmeichelhaften bekam nicht von Joachim Campe und dessen Mitarbeitern
Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig zu hören, allerdings ein
aufklärnngsfreuudlicher Herr, aber auch derselbe, den? es durch eine seltsame


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204906"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Erklärung deutscher Revolutioussympathien ^7Z0-^?92</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_428" prev="#ID_427" next="#ID_429"> Jahre 1790 stellte er das Vorhandensein einer republikanischen Schwärmerei<lb/>
unter den deutschen Schriftstellern in Abrede; noch zwei Jahre später bezeichnet<lb/>
er die ersten politischen Schriftsteller Deutschlands als frei von dem Vorwurfe,<lb/>
mit einer blinden Bewundrung für die französische Revolution behaftet zu sein.<lb/>
Aber freilich, wie wenige von den 7000 Schriftstellern, die mau damals in<lb/>
Deutschland zu zählen glaubte, konnten denn überhaupt, zumal wenn man<lb/>
von einigen Staatsdienern oder einigen Universitätsprofessoren absah, als Männer<lb/>
von eigentlich politischen Studien und Erfahrungen in Betracht kommen! Wie<lb/>
groß war dagegen die Anzahl derer, die unter den jetzt gegebenen Anregungen<lb/>
ihre Thätigkeit auch politischen Dingen zuwendeten! Wie leicht mochten dann<lb/>
diese von der Zeitströmung sich fortreißen lassen und sie nun ihrerseits ver¬<lb/>
stärken helfen! Schon das Bedürfnis des Erwerbs mußte begreiflicherweise<lb/>
bei vielen von jenen 7000 dringend genug sein, um sie dem Geschmack<lb/>
dienen zu lassen, der im lesenden Publikum die Mehrzahl für sich hatte. Da¬<lb/>
bei kam dann, wie schon vor der Revolutionszeit, die Zerstückelung des deut¬<lb/>
schen Bodens in eine Menge kleiner und kleinster Herrschaftsgebiete trefflich zu<lb/>
statten. &#x201E;Wahrhafte Scharteken, die das Volk zum lauten Aufruhr auffordern<lb/>
&#x2014; so wehklagt eil? antirevolutionärer Eifrer &#x2014;, finden wohl in manchem Lande<lb/>
keine Presse; aber in dem Lande des Nachbars dürfen sie gedruckt, rühmlich<lb/>
rezensiert, verkauft und ungehindert in alle deutschen Provinzen vertrödelt<lb/>
werden." Schlözer, der alte Freund der Preßfreiheit, ist doch entrüstet über<lb/>
die Pasquille, die von den verworfensten Menschen, ohne Nennung des Drnck-<lb/>
ortes aus den infamsten Winkel- und Mencheldruckereien kleiner Herren aus¬<lb/>
gestreut wurden. Die Zensur selbst, so hören wir klagen, sei in mehreren<lb/>
deutschen Provinzen in den gefährlichsten Händen. Brnunschweig und, Dank<lb/>
der Verbindung mit dem dänischen Staate, Holstein und Schleswig kannten<lb/>
gar keine Zensur; an andern Orten war sie wenigstens thatsächlich kaum<lb/>
zu spüren. So fanden sich denn scharfe Kritik der deutschen Zustände und<lb/>
überschlvängliche Anpreisung der französischen Revolution doch keineswegs<lb/>
bloß auf Scharteken und Wiukeldruckereieu angewiesen, um zu Worte zu kommen.<lb/>
Nur daß etwa der Fürst, aus dessen Land oder Ländchen das kecke Wort in<lb/>
die Welt ausging, für die gewährte Freiheit von Zeit zu, Zeit einen Tribut<lb/>
empfing in einem starken, ihm persönlich gewidmeten Weihrauch; höhnisch wiesen<lb/>
wohl die Gegner darauf hin, wie in so mancher beredten Schilderung ganz<lb/>
Deutschland und seine Regierungen als Sitze des Ärgernisses, immer aber ein<lb/>
Land als Stätte des Heils, ein Fürst und seine Regierung als Muster der<lb/>
Tugend gepriesen würden &#x2014; Fürst und Regierung des Landes, wo Schrift¬<lb/>
steller und Drucker ihre Thätigkeit ausübten. Wie viel des Süßen und<lb/>
schmeichelhaften bekam nicht von Joachim Campe und dessen Mitarbeitern<lb/>
Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig zu hören, allerdings ein<lb/>
aufklärnngsfreuudlicher Herr, aber auch derselbe, den? es durch eine seltsame</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] Zur Erklärung deutscher Revolutioussympathien ^7Z0-^?92 Jahre 1790 stellte er das Vorhandensein einer republikanischen Schwärmerei unter den deutschen Schriftstellern in Abrede; noch zwei Jahre später bezeichnet er die ersten politischen Schriftsteller Deutschlands als frei von dem Vorwurfe, mit einer blinden Bewundrung für die französische Revolution behaftet zu sein. Aber freilich, wie wenige von den 7000 Schriftstellern, die mau damals in Deutschland zu zählen glaubte, konnten denn überhaupt, zumal wenn man von einigen Staatsdienern oder einigen Universitätsprofessoren absah, als Männer von eigentlich politischen Studien und Erfahrungen in Betracht kommen! Wie groß war dagegen die Anzahl derer, die unter den jetzt gegebenen Anregungen ihre Thätigkeit auch politischen Dingen zuwendeten! Wie leicht mochten dann diese von der Zeitströmung sich fortreißen lassen und sie nun ihrerseits ver¬ stärken helfen! Schon das Bedürfnis des Erwerbs mußte begreiflicherweise bei vielen von jenen 7000 dringend genug sein, um sie dem Geschmack dienen zu lassen, der im lesenden Publikum die Mehrzahl für sich hatte. Da¬ bei kam dann, wie schon vor der Revolutionszeit, die Zerstückelung des deut¬ schen Bodens in eine Menge kleiner und kleinster Herrschaftsgebiete trefflich zu statten. „Wahrhafte Scharteken, die das Volk zum lauten Aufruhr auffordern — so wehklagt eil? antirevolutionärer Eifrer —, finden wohl in manchem Lande keine Presse; aber in dem Lande des Nachbars dürfen sie gedruckt, rühmlich rezensiert, verkauft und ungehindert in alle deutschen Provinzen vertrödelt werden." Schlözer, der alte Freund der Preßfreiheit, ist doch entrüstet über die Pasquille, die von den verworfensten Menschen, ohne Nennung des Drnck- ortes aus den infamsten Winkel- und Mencheldruckereien kleiner Herren aus¬ gestreut wurden. Die Zensur selbst, so hören wir klagen, sei in mehreren deutschen Provinzen in den gefährlichsten Händen. Brnunschweig und, Dank der Verbindung mit dem dänischen Staate, Holstein und Schleswig kannten gar keine Zensur; an andern Orten war sie wenigstens thatsächlich kaum zu spüren. So fanden sich denn scharfe Kritik der deutschen Zustände und überschlvängliche Anpreisung der französischen Revolution doch keineswegs bloß auf Scharteken und Wiukeldruckereieu angewiesen, um zu Worte zu kommen. Nur daß etwa der Fürst, aus dessen Land oder Ländchen das kecke Wort in die Welt ausging, für die gewährte Freiheit von Zeit zu, Zeit einen Tribut empfing in einem starken, ihm persönlich gewidmeten Weihrauch; höhnisch wiesen wohl die Gegner darauf hin, wie in so mancher beredten Schilderung ganz Deutschland und seine Regierungen als Sitze des Ärgernisses, immer aber ein Land als Stätte des Heils, ein Fürst und seine Regierung als Muster der Tugend gepriesen würden — Fürst und Regierung des Landes, wo Schrift¬ steller und Drucker ihre Thätigkeit ausübten. Wie viel des Süßen und schmeichelhaften bekam nicht von Joachim Campe und dessen Mitarbeitern Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig zu hören, allerdings ein aufklärnngsfreuudlicher Herr, aber auch derselbe, den? es durch eine seltsame

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/175>, abgerufen am 10.02.2025.