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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Zur Erklärung deutscher Revolutionssympathieu ^?9O^^?92

die Verbreiter von Unzufriedenheit und gelegentliche Anstifter von Unruhe. Ein
Magister spielt in Ifflands "Kokarden." ein Magister in Goethes "Auf¬
geregten," ein Barbier in des gleichen Dichters "Bürgergeneral" die Wühler¬
rolle. Einen sehr ansehnlichen Beitrag stellten begreiflicherweise die Advokaten;
von ihren Spekulationen, ihren Hetzereien n. f. w. ist oft die Rede. "Deutsche
Advokaten" (Bauernsachwalter ohne Universitätsbildung) figuriren in dein, viel¬
verbreiteten "Freiheits- und Gleichheitsbüchlein" des "Kalendermannes" (Stein-
beck) als die AufHetzer und Verbittrer des Landvolkes. Einem Advokaten
schrieb man es zu, daß er hauptsächlich -- und zwar um sich den Weg zu
der damals so wichtigen Stellung eines Stadtshndikus zu bahnen -- die
Unruhen in der Stadt Hildeshenn angestiftet habe, demselben Advokaten Horst¬
mann, der dann auch am Neichskammcrgerichte den Aufsehen erregenden Riesen¬
prozeß der Bauern des Landes gegen die fürstbischöfliche Negierung führte.
Nichts Ware leichter als die Zahl dieser Beispiele zu vermehren.

Häufiger als alles kam aber an den Gelehrten begreiflicherweise ihre schrift¬
stellerische Thätigkeit zur Sprache, eine Thätigkeit, in der erst neuerdings neben
ihnen auch Uustudirte sowie Frauen in etwas größerer Anzahl eine Bedeutung
gewannen. Vorzüglich in dieser Thätigkeit äußerte sich auch der oft beklagte
revolutionäre Sinu der sogenannten Schöngeister -- in jenen Tagen eine Be¬
zeichnung ziemlich für alle mit Litteratur beschäftigten, die in keinem bestimmten
praktischen oder Lehrberuf standen. Man lernte die Menge von "privatisirender
Gelehrten" als ein Element der Beunruhigung mit Sorge betrachten; man klagte,
daß eine immer mehr zunehmende Anzahl von Studirenden aus Uuabhängigkeits-
trieb, aus Geniesucht, aus Unfügsamkeit, aus Scheu vor den Anstrengungen
des Staatsdieustes, dessen Besoldungen neuerdings bei dem gesunkenen Geldwert
oft nur knappen Unterhalt gewährten, außerhalb aller festen Stellungen blieben.
Auf die "Freiheit der Gelehrten," namentlich die schriftstellerische, war schon
von früher her mancher ernste oder unwillige Blick gefallen. Lotte cnimillo
as MA'im1i8t,Ls war ein Wort, das man schon um die Mitte der achtziger Jahre
aus dem Munde eines Ministers gehört haben wollte. Anderseits hatte der
bedachtsam freisinnige Joh. Georg Schlosser (Goethes Schwager, in badischen
Diensten) den Schriftstellern zu bedenken gegeben, ob nicht die Freiheit, die
ihnen mancher Mächtige einräume, mehr einer Geringschätzung ihres Einflusses,
als einer Hochschätzung ihres Nutzens zu verdanken sei. Auch Brandes äußert
sich rücksichtlich der frühern Zeit in ähnlichem Sinne; jetzt dagegen, nachdem
an dem Ausbruche der Revolution die Macht des Schriftstellertums so furchtbar
zu Tage getreten war, glaubt er an mancher Negierung eine Art von Er¬
starrung zu bemerken, in der sie dem Kampfe der Meinungen eingeschüchtert
gegenüberstehe und auf jedes Eingreifen verzichte.

Brandes für seine Person gehörte nicht zu deu Feinden eines freien Ge-
daukenaustausches und anch nicht zu den eigentlichen Schwarzschern. Im


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die Verbreiter von Unzufriedenheit und gelegentliche Anstifter von Unruhe. Ein
Magister spielt in Ifflands „Kokarden." ein Magister in Goethes „Auf¬
geregten," ein Barbier in des gleichen Dichters „Bürgergeneral" die Wühler¬
rolle. Einen sehr ansehnlichen Beitrag stellten begreiflicherweise die Advokaten;
von ihren Spekulationen, ihren Hetzereien n. f. w. ist oft die Rede. „Deutsche
Advokaten" (Bauernsachwalter ohne Universitätsbildung) figuriren in dein, viel¬
verbreiteten „Freiheits- und Gleichheitsbüchlein" des „Kalendermannes" (Stein-
beck) als die AufHetzer und Verbittrer des Landvolkes. Einem Advokaten
schrieb man es zu, daß er hauptsächlich — und zwar um sich den Weg zu
der damals so wichtigen Stellung eines Stadtshndikus zu bahnen — die
Unruhen in der Stadt Hildeshenn angestiftet habe, demselben Advokaten Horst¬
mann, der dann auch am Neichskammcrgerichte den Aufsehen erregenden Riesen¬
prozeß der Bauern des Landes gegen die fürstbischöfliche Negierung führte.
Nichts Ware leichter als die Zahl dieser Beispiele zu vermehren.

Häufiger als alles kam aber an den Gelehrten begreiflicherweise ihre schrift¬
stellerische Thätigkeit zur Sprache, eine Thätigkeit, in der erst neuerdings neben
ihnen auch Uustudirte sowie Frauen in etwas größerer Anzahl eine Bedeutung
gewannen. Vorzüglich in dieser Thätigkeit äußerte sich auch der oft beklagte
revolutionäre Sinu der sogenannten Schöngeister — in jenen Tagen eine Be¬
zeichnung ziemlich für alle mit Litteratur beschäftigten, die in keinem bestimmten
praktischen oder Lehrberuf standen. Man lernte die Menge von „privatisirender
Gelehrten" als ein Element der Beunruhigung mit Sorge betrachten; man klagte,
daß eine immer mehr zunehmende Anzahl von Studirenden aus Uuabhängigkeits-
trieb, aus Geniesucht, aus Unfügsamkeit, aus Scheu vor den Anstrengungen
des Staatsdieustes, dessen Besoldungen neuerdings bei dem gesunkenen Geldwert
oft nur knappen Unterhalt gewährten, außerhalb aller festen Stellungen blieben.
Auf die „Freiheit der Gelehrten," namentlich die schriftstellerische, war schon
von früher her mancher ernste oder unwillige Blick gefallen. Lotte cnimillo
as MA'im1i8t,Ls war ein Wort, das man schon um die Mitte der achtziger Jahre
aus dem Munde eines Ministers gehört haben wollte. Anderseits hatte der
bedachtsam freisinnige Joh. Georg Schlosser (Goethes Schwager, in badischen
Diensten) den Schriftstellern zu bedenken gegeben, ob nicht die Freiheit, die
ihnen mancher Mächtige einräume, mehr einer Geringschätzung ihres Einflusses,
als einer Hochschätzung ihres Nutzens zu verdanken sei. Auch Brandes äußert
sich rücksichtlich der frühern Zeit in ähnlichem Sinne; jetzt dagegen, nachdem
an dem Ausbruche der Revolution die Macht des Schriftstellertums so furchtbar
zu Tage getreten war, glaubt er an mancher Negierung eine Art von Er¬
starrung zu bemerken, in der sie dem Kampfe der Meinungen eingeschüchtert
gegenüberstehe und auf jedes Eingreifen verzichte.

Brandes für seine Person gehörte nicht zu deu Feinden eines freien Ge-
daukenaustausches und anch nicht zu den eigentlichen Schwarzschern. Im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/174>, abgerufen am 05.02.2025.