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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Amalie von Helwig

Wahrheit geworden ist. Wenige Wochen vor den letztbesprochenen Vorgängen
hatte Amalie, deren tiefes Heimweh nach Deutschland in eine verzehrende
Krankheit überzugehen drohte, Stockholm zu Schiff verlassen und war mit
ihren Kindern und ihren Schwestern nach Deutschland gereist. Sie sollte
Heilung und Erholung in der Heimat suchen, sie konnte beim Abschied von
ihrem Manne nicht ahnen, das; es sich um eine Trennung auf eine Reihe von
Jahren handeln würde.

Am 18. Juni 1810 meldete Schillers Wittwe an Goethe, der in .Karlsbad
verweilte, unter andern Weimarischen Neuigkeiten: "Vorgestern ist die Amalie
Helwig mit zwei Schwestern und drei Kindern angekommen, sie ist sehr mager
geworden, weil sie immer krank war, und ihr Äußeres ist sehr verändert, auch
giebt ihr die Prinzeß Schuld, sie habe am meisten ihre Muttersprache verlernt;
die Kinder sind allerliebst." Mit dem ersten Schritt auf deutschem Boden
waren bei Amalie alle Empfindungen ihrer Jugend wieder aufgewacht, schon
in Berlin lebt sie Weimarischen Erinnerungen, sucht Charlotte von Kalb,
ihre Tochter Edda und Fichte auf, lernt daneben Achin von Arnim und
Clemens Brentano (den also die Weimarische Hofdame während seiner Jenischen
Genieperiode nicht zu Gesicht bekommen hatte), auch Karl Maria von Weber
kennen, es drängt sie nach Weimar zurück, und sie ist glücklich, daß sie "in
dem Goullvnschen Hause an der Ackerwand" Zimmer ermieten kann. "Ich
schreibe dir in dem Zimmer," heißt es in einem Briefe um ihren Gatten,
"wo die gute Mutter starb, wo unsre Lotte geboren ist, wo ich den herbsten
Schmerz einer Tochter und die höchste Freude einer Mutter empfunden habe."
Einige Wochen an der Ilm setzten die Heimgekehrt": völlig in die alten Zeiten
und Zustünde zurück, zur Vermählung der Prinzessin Karoline mit dem Erb¬
prinzen von Mecklenburg-Schwerin dichtete sie ein kleines Festspiel, das im
Stern des Weimarischen Parkes, dein vielbcliebten Schauplatz solcher Festlich¬
keiten, dargestellt ward. Doch war ihres Bleibens in Weimar nicht, ihre
Gesundheit erforderte den Besuch des Bades Schwalbach und die Niederlassung
in milderer Luft, im Herbst 1810 ging sie mit ihren Kindern nach Heidelberg.
Hier hatte sie das Unglück und den Schmerz, im folgenden Jahre ihr
ältestes .Kind, Lottchen, an der Halsbräune zu verlieren, und hierher erhielt
sie auch immer trübere und besorgniserweckendere Nachrichten von ihrem Gemahl
aus Schweden. Die zahlreichen Feinde, die sich Helwig durch seine Gerad¬
heit und wirkliche Überlegenheit, aber anch durch eine gewisse Schroffheit und
die Besserwisserei des Autodidakten zugezogen hatte, waren nur allzu geschäftig/
ihn aus seiner Stellung zu verdrängen. Der kluge Gascogner, der jetzt Kron¬
prinz von Schweden hieß, fand an Helwigs selbstherrlichen Wesen keinen
Gefallen, und obwohl der Artilleriechef noch zu Anfang des Jahres 1812 zum
Ritter des Schwertordeus erster Klasse ernannt ward, so sah er sich doch täglich
mehr in den Hintergrund gedrängt und vernachlässigt. Als Schweden 1813


Amalie von Helwig

Wahrheit geworden ist. Wenige Wochen vor den letztbesprochenen Vorgängen
hatte Amalie, deren tiefes Heimweh nach Deutschland in eine verzehrende
Krankheit überzugehen drohte, Stockholm zu Schiff verlassen und war mit
ihren Kindern und ihren Schwestern nach Deutschland gereist. Sie sollte
Heilung und Erholung in der Heimat suchen, sie konnte beim Abschied von
ihrem Manne nicht ahnen, das; es sich um eine Trennung auf eine Reihe von
Jahren handeln würde.

Am 18. Juni 1810 meldete Schillers Wittwe an Goethe, der in .Karlsbad
verweilte, unter andern Weimarischen Neuigkeiten: „Vorgestern ist die Amalie
Helwig mit zwei Schwestern und drei Kindern angekommen, sie ist sehr mager
geworden, weil sie immer krank war, und ihr Äußeres ist sehr verändert, auch
giebt ihr die Prinzeß Schuld, sie habe am meisten ihre Muttersprache verlernt;
die Kinder sind allerliebst." Mit dem ersten Schritt auf deutschem Boden
waren bei Amalie alle Empfindungen ihrer Jugend wieder aufgewacht, schon
in Berlin lebt sie Weimarischen Erinnerungen, sucht Charlotte von Kalb,
ihre Tochter Edda und Fichte auf, lernt daneben Achin von Arnim und
Clemens Brentano (den also die Weimarische Hofdame während seiner Jenischen
Genieperiode nicht zu Gesicht bekommen hatte), auch Karl Maria von Weber
kennen, es drängt sie nach Weimar zurück, und sie ist glücklich, daß sie „in
dem Goullvnschen Hause an der Ackerwand" Zimmer ermieten kann. „Ich
schreibe dir in dem Zimmer," heißt es in einem Briefe um ihren Gatten,
„wo die gute Mutter starb, wo unsre Lotte geboren ist, wo ich den herbsten
Schmerz einer Tochter und die höchste Freude einer Mutter empfunden habe."
Einige Wochen an der Ilm setzten die Heimgekehrt«: völlig in die alten Zeiten
und Zustünde zurück, zur Vermählung der Prinzessin Karoline mit dem Erb¬
prinzen von Mecklenburg-Schwerin dichtete sie ein kleines Festspiel, das im
Stern des Weimarischen Parkes, dein vielbcliebten Schauplatz solcher Festlich¬
keiten, dargestellt ward. Doch war ihres Bleibens in Weimar nicht, ihre
Gesundheit erforderte den Besuch des Bades Schwalbach und die Niederlassung
in milderer Luft, im Herbst 1810 ging sie mit ihren Kindern nach Heidelberg.
Hier hatte sie das Unglück und den Schmerz, im folgenden Jahre ihr
ältestes .Kind, Lottchen, an der Halsbräune zu verlieren, und hierher erhielt
sie auch immer trübere und besorgniserweckendere Nachrichten von ihrem Gemahl
aus Schweden. Die zahlreichen Feinde, die sich Helwig durch seine Gerad¬
heit und wirkliche Überlegenheit, aber anch durch eine gewisse Schroffheit und
die Besserwisserei des Autodidakten zugezogen hatte, waren nur allzu geschäftig/
ihn aus seiner Stellung zu verdrängen. Der kluge Gascogner, der jetzt Kron¬
prinz von Schweden hieß, fand an Helwigs selbstherrlichen Wesen keinen
Gefallen, und obwohl der Artilleriechef noch zu Anfang des Jahres 1812 zum
Ritter des Schwertordeus erster Klasse ernannt ward, so sah er sich doch täglich
mehr in den Hintergrund gedrängt und vernachlässigt. Als Schweden 1813


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[0144] Amalie von Helwig Wahrheit geworden ist. Wenige Wochen vor den letztbesprochenen Vorgängen hatte Amalie, deren tiefes Heimweh nach Deutschland in eine verzehrende Krankheit überzugehen drohte, Stockholm zu Schiff verlassen und war mit ihren Kindern und ihren Schwestern nach Deutschland gereist. Sie sollte Heilung und Erholung in der Heimat suchen, sie konnte beim Abschied von ihrem Manne nicht ahnen, das; es sich um eine Trennung auf eine Reihe von Jahren handeln würde. Am 18. Juni 1810 meldete Schillers Wittwe an Goethe, der in .Karlsbad verweilte, unter andern Weimarischen Neuigkeiten: „Vorgestern ist die Amalie Helwig mit zwei Schwestern und drei Kindern angekommen, sie ist sehr mager geworden, weil sie immer krank war, und ihr Äußeres ist sehr verändert, auch giebt ihr die Prinzeß Schuld, sie habe am meisten ihre Muttersprache verlernt; die Kinder sind allerliebst." Mit dem ersten Schritt auf deutschem Boden waren bei Amalie alle Empfindungen ihrer Jugend wieder aufgewacht, schon in Berlin lebt sie Weimarischen Erinnerungen, sucht Charlotte von Kalb, ihre Tochter Edda und Fichte auf, lernt daneben Achin von Arnim und Clemens Brentano (den also die Weimarische Hofdame während seiner Jenischen Genieperiode nicht zu Gesicht bekommen hatte), auch Karl Maria von Weber kennen, es drängt sie nach Weimar zurück, und sie ist glücklich, daß sie „in dem Goullvnschen Hause an der Ackerwand" Zimmer ermieten kann. „Ich schreibe dir in dem Zimmer," heißt es in einem Briefe um ihren Gatten, „wo die gute Mutter starb, wo unsre Lotte geboren ist, wo ich den herbsten Schmerz einer Tochter und die höchste Freude einer Mutter empfunden habe." Einige Wochen an der Ilm setzten die Heimgekehrt«: völlig in die alten Zeiten und Zustünde zurück, zur Vermählung der Prinzessin Karoline mit dem Erb¬ prinzen von Mecklenburg-Schwerin dichtete sie ein kleines Festspiel, das im Stern des Weimarischen Parkes, dein vielbcliebten Schauplatz solcher Festlich¬ keiten, dargestellt ward. Doch war ihres Bleibens in Weimar nicht, ihre Gesundheit erforderte den Besuch des Bades Schwalbach und die Niederlassung in milderer Luft, im Herbst 1810 ging sie mit ihren Kindern nach Heidelberg. Hier hatte sie das Unglück und den Schmerz, im folgenden Jahre ihr ältestes .Kind, Lottchen, an der Halsbräune zu verlieren, und hierher erhielt sie auch immer trübere und besorgniserweckendere Nachrichten von ihrem Gemahl aus Schweden. Die zahlreichen Feinde, die sich Helwig durch seine Gerad¬ heit und wirkliche Überlegenheit, aber anch durch eine gewisse Schroffheit und die Besserwisserei des Autodidakten zugezogen hatte, waren nur allzu geschäftig/ ihn aus seiner Stellung zu verdrängen. Der kluge Gascogner, der jetzt Kron¬ prinz von Schweden hieß, fand an Helwigs selbstherrlichen Wesen keinen Gefallen, und obwohl der Artilleriechef noch zu Anfang des Jahres 1812 zum Ritter des Schwertordeus erster Klasse ernannt ward, so sah er sich doch täglich mehr in den Hintergrund gedrängt und vernachlässigt. Als Schweden 1813

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/144>, abgerufen am 05.02.2025.