Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Manzoni und Goethe andern Vorwurf erhaben. Der Roman ist keine Tendenzschrist, wenn man co Als die "Verlobten" erschienen, stand Manzoni, damals zweiundvierzig- Die prosaischen Schriften Manzvnis, deren Wert und Bedeutung nicht ^) Fr. Lang, >i, .1. O. S. N0.
Manzoni und Goethe andern Vorwurf erhaben. Der Roman ist keine Tendenzschrist, wenn man co Als die „Verlobten" erschienen, stand Manzoni, damals zweiundvierzig- Die prosaischen Schriften Manzvnis, deren Wert und Bedeutung nicht ^) Fr. Lang, >i, .1. O. S. N0.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204862"/> <fw type="header" place="top"> Manzoni und Goethe</fw><lb/> <p xml:id="ID_322" prev="#ID_321"> andern Vorwurf erhaben. Der Roman ist keine Tendenzschrist, wenn man co<lb/> nicht eine Tendenz nennen will, in einem vollendeten Kunstwerk, um dem sich<lb/> noch die Söhne und Enkel der Zeitgenossen des Dichters erfreuen und erheben<lb/> werden, der Nation einen Spiegel ihrer Vergangenheit vorzuhalten, sie die<lb/> treibenden Machte derselben in ihrer wahren Gestalt erkennen und dadurch den<lb/> Volksgeist sich gleichsam auf sich selbst besinnen zu lassen, zugleich aber die<lb/> ewige Wahrheit des endlichen geistigen Sieges des Guten über das Böse zu<lb/> veranschaulichen und zu zeigen, daß festes gläubiges Gottvertrauen durch die<lb/> schwersten Prüfungen und Irrungen hindurch schliesslich zum Siege führe.</p><lb/> <p xml:id="ID_323"> Als die „Verlobten" erschienen, stand Manzoni, damals zweiundvierzig-<lb/> jnhrig, auf der Höhe des Lebens. Sechsundvierzig Jahre hat er seitdem noch<lb/> nnter den Lebenden geweilt, ohne anch nur das kleinste poetische Erzeugnis<lb/> wieder zu veröffentlichen; auch aus seinem Nachlaß ist nichts von irgendwelcher<lb/> Bedeutung zu Tage gekommen. War die dichterische Ader in ihm schon aus¬<lb/> getrocknet? oder schwieg er, was uns wahrscheinlicher dünkt, weil er glaubte,<lb/> den Ideen, die ihn erfüllten und die seine Dichtwerke beseelen, hinlänglichen<lb/> Ausdruck gegeben und damit seine poetische Sendung erfüllt zu haben? oder<lb/> weil er sich nicht im Stande fühlte, größeres zu schaffei,, als er bereits her¬<lb/> vorgebracht hatte, und vielleicht fürchtete, nnter sich selbst herabzusinken?<lb/> Sein Freund, der florentinische Dichter Ginsti, meint, er habe geschwiegen,<lb/> weil er, je weiter er in der Erkenntnis seiner Kunst fortschritt, um so zaghafter<lb/> geworden sei. „Die Natur hat den Geistern, denen sie sich sonderlich gnädig<lb/> erwiesen hat, zugleich ein lästiges Ungeziefer mitgeben wollen, nämlich die<lb/> Krankheit, nichts anf sich selbst zu halten, während sie den vielen, die sie<lb/> weniger mütterlich ausgestattet hat, gleichsam als reichen Entgelt ein glückliches<lb/> Selbstvertrauen spendete und die fröhliche Lust, beständig vor dem Publikum<lb/> die eigne Ohnmacht glänzen zu lassen."</p><lb/> <p xml:id="ID_324" next="#ID_325"> Die prosaischen Schriften Manzvnis, deren Wert und Bedeutung nicht<lb/> entfernt an die seiner Dichterwerke hinanreichi, können wir hier nur kurz<lb/> berühren. Der Tragödie „Adelchi" hatte er, gleichsam zu seiner eignen und<lb/> seines Helden Rechtfertigung, eine Abhandlung angehängt „Über einige Punkte<lb/> der langobardischen Geschichte," worin er, freilich nicht sehr glücklich und<lb/> erfolgreich, nachzuweisen versuchte, daß das Papsttum dadurch, daß es im<lb/> Bunde mit den Fremden die Macht der Langobarden brach, Italien vor dem<lb/> vollständigen Zurücksinken in die Barbarei gerettet habe, wie denn im Mittelalter<lb/> überhaupt das Papsttum der einzige Halt- und Stützpunkt für die nationale Sache<lb/> gewesen sei. Die Abhandlung entflammte den alten Streit über die Bedeutung<lb/> der Langvbardenherrschaft für Italien aufs neue, der nun aber von dem wissen¬<lb/> schaftlichen anch auf das politische Gebiet hinübergetragen wurde. Die Gegner</p><lb/> <note xml:id="FID_14" place="foot"> ^) Fr. Lang, >i, .1. O. S. N0.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
Manzoni und Goethe
andern Vorwurf erhaben. Der Roman ist keine Tendenzschrist, wenn man co
nicht eine Tendenz nennen will, in einem vollendeten Kunstwerk, um dem sich
noch die Söhne und Enkel der Zeitgenossen des Dichters erfreuen und erheben
werden, der Nation einen Spiegel ihrer Vergangenheit vorzuhalten, sie die
treibenden Machte derselben in ihrer wahren Gestalt erkennen und dadurch den
Volksgeist sich gleichsam auf sich selbst besinnen zu lassen, zugleich aber die
ewige Wahrheit des endlichen geistigen Sieges des Guten über das Böse zu
veranschaulichen und zu zeigen, daß festes gläubiges Gottvertrauen durch die
schwersten Prüfungen und Irrungen hindurch schliesslich zum Siege führe.
Als die „Verlobten" erschienen, stand Manzoni, damals zweiundvierzig-
jnhrig, auf der Höhe des Lebens. Sechsundvierzig Jahre hat er seitdem noch
nnter den Lebenden geweilt, ohne anch nur das kleinste poetische Erzeugnis
wieder zu veröffentlichen; auch aus seinem Nachlaß ist nichts von irgendwelcher
Bedeutung zu Tage gekommen. War die dichterische Ader in ihm schon aus¬
getrocknet? oder schwieg er, was uns wahrscheinlicher dünkt, weil er glaubte,
den Ideen, die ihn erfüllten und die seine Dichtwerke beseelen, hinlänglichen
Ausdruck gegeben und damit seine poetische Sendung erfüllt zu haben? oder
weil er sich nicht im Stande fühlte, größeres zu schaffei,, als er bereits her¬
vorgebracht hatte, und vielleicht fürchtete, nnter sich selbst herabzusinken?
Sein Freund, der florentinische Dichter Ginsti, meint, er habe geschwiegen,
weil er, je weiter er in der Erkenntnis seiner Kunst fortschritt, um so zaghafter
geworden sei. „Die Natur hat den Geistern, denen sie sich sonderlich gnädig
erwiesen hat, zugleich ein lästiges Ungeziefer mitgeben wollen, nämlich die
Krankheit, nichts anf sich selbst zu halten, während sie den vielen, die sie
weniger mütterlich ausgestattet hat, gleichsam als reichen Entgelt ein glückliches
Selbstvertrauen spendete und die fröhliche Lust, beständig vor dem Publikum
die eigne Ohnmacht glänzen zu lassen."
Die prosaischen Schriften Manzvnis, deren Wert und Bedeutung nicht
entfernt an die seiner Dichterwerke hinanreichi, können wir hier nur kurz
berühren. Der Tragödie „Adelchi" hatte er, gleichsam zu seiner eignen und
seines Helden Rechtfertigung, eine Abhandlung angehängt „Über einige Punkte
der langobardischen Geschichte," worin er, freilich nicht sehr glücklich und
erfolgreich, nachzuweisen versuchte, daß das Papsttum dadurch, daß es im
Bunde mit den Fremden die Macht der Langobarden brach, Italien vor dem
vollständigen Zurücksinken in die Barbarei gerettet habe, wie denn im Mittelalter
überhaupt das Papsttum der einzige Halt- und Stützpunkt für die nationale Sache
gewesen sei. Die Abhandlung entflammte den alten Streit über die Bedeutung
der Langvbardenherrschaft für Italien aufs neue, der nun aber von dem wissen¬
schaftlichen anch auf das politische Gebiet hinübergetragen wurde. Die Gegner
^) Fr. Lang, >i, .1. O. S. N0.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |