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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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zehnfache sich; auf feinem sagenhaften Schimmel ist er fortwährend unter der
Menge der Arbeiter, die das ganze Dorf samt allen nötigen Hilfsmitteln mit
oder ohne guten: Willen hat stellen müssen. Bei Sonnenschein und Regen,
bei Sturm und Wetter wird der Bau aufgeführt, denn man hat immer mit
dem furchtbaren Element zu kämpfen, das der halben Arbeit gefährlicher werden
kann, als der fertigen. Einige Jahre dauert dieser riesige Bau, der Haukes
Geist ganz beschäftigt. Inzwischen wird ihm nach neunjähriger Ehe ein Töch¬
terchen geboren, aber o Schmerz! Das ersehnte Kind, das Kind des genialen
Menschen, in dem aber neben seiner herrschenden Leidenschaft keine andre, anch
nicht die elementarische Sinnlichkeit, Raum fand, dieses Kind ist stumpfinnig.
Ist da kein ursächlicher Zusammenhang? Die späte Mutter Elke gerät infolge
der Entbindung in eine hitzige Krankheit. Sie schwebt tagelang zwischen Tod
und Leben, und in dieser höchsten Not, wo selbst der Arzt verzweifelt, kniet
Hänke zu dein merkwürdigen Gebete, das ihn so sehr charakterisirt, nieder:
"Herr, mein Gott," schrie er, "nimm sie mir nicht! Du weißt, ich kann sie
nicht entbehren!" Dann wurf, als ob er sich besinne, und leiser setzte er hinzu :
"Ich weiß ja wohl, du kannst nicht allezeit, wie du willst, auch du nicht; du
bist allweise; du mußt nach deiner Weisheit thun -- v Herr, sprich nur durch
einen Hauch zu mir!" Elke genest aber, und Hänke kann seine gewaltige Arbeit
zu Ende führen. Er ist ein rauher Bauherr, streng im Dienst, kurz angebunden
im Verkehr; wie sich selbst, mutet er auch den andern die höchste Anspannung
aller Kräfte zu; er verachtet das abergläubische Volk, daA ihn seines Rosses
wegen im Bunde mit dein Teufel glaubt, das ihn vollends für einen Gottes¬
lästerer hält, seitdem sein Gebet, das die Allmacht Gottes bezweifelt, von
geschwätzigen Weibern verbreitet worden ist. Die Wahrheit aber ist, daß die
Menge ungewöhnliche Menschen nicht begreift, nicht erträgt und sich durch
Verleumdung an der überragenden Geistesgröße rächt. So steht denn auch
Hänke nach Vollendung seines Werkes, das allen kommenden Geschlechtern und
anch schon seinen Genossen zum Heile und Vorteile gedeihen sollte, allein da,
ohne Freunde, geliebt nur vou seinem Weibe. Wieder lebt er einige Jahre im
Frieden des Hauses mit der geliebten Elke und dein armen stumpfsinnigen
Kinde. Er freut sich seines vergrößerten Grundbesitzes und hütet seinen Deich
und den dadurch gewonnenen Koog mit der zärtlichen Sorgfalt dessen, der
sie selbst geschaffen hat. Eine schwere Krankheit hat er mit Glück überstanden,
ist aber doch einigermaßen geschwächt davongekommen.

Und nun, nachdem Hänke sein Lebensziel nach so vieler Arbeit erreicht
hat, nimmt sein Schicksal eine überraschende Wendung. Wie überhaupt Storm
in diesem seinem Meisterwerke seine ganze künstlerische Individualität schärfer
als je ausgeprägt, niemals klarer die Mischling von Romantik und Realismus
geboten hat, so hat er auch seinen hinter der "Resignationspvesie" stehenden
Pessimismus niemals erschütternder ausgesprochen, als in dieser Geschichte des


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zehnfache sich; auf feinem sagenhaften Schimmel ist er fortwährend unter der
Menge der Arbeiter, die das ganze Dorf samt allen nötigen Hilfsmitteln mit
oder ohne guten: Willen hat stellen müssen. Bei Sonnenschein und Regen,
bei Sturm und Wetter wird der Bau aufgeführt, denn man hat immer mit
dem furchtbaren Element zu kämpfen, das der halben Arbeit gefährlicher werden
kann, als der fertigen. Einige Jahre dauert dieser riesige Bau, der Haukes
Geist ganz beschäftigt. Inzwischen wird ihm nach neunjähriger Ehe ein Töch¬
terchen geboren, aber o Schmerz! Das ersehnte Kind, das Kind des genialen
Menschen, in dem aber neben seiner herrschenden Leidenschaft keine andre, anch
nicht die elementarische Sinnlichkeit, Raum fand, dieses Kind ist stumpfinnig.
Ist da kein ursächlicher Zusammenhang? Die späte Mutter Elke gerät infolge
der Entbindung in eine hitzige Krankheit. Sie schwebt tagelang zwischen Tod
und Leben, und in dieser höchsten Not, wo selbst der Arzt verzweifelt, kniet
Hänke zu dein merkwürdigen Gebete, das ihn so sehr charakterisirt, nieder:
„Herr, mein Gott," schrie er, „nimm sie mir nicht! Du weißt, ich kann sie
nicht entbehren!" Dann wurf, als ob er sich besinne, und leiser setzte er hinzu :
„Ich weiß ja wohl, du kannst nicht allezeit, wie du willst, auch du nicht; du
bist allweise; du mußt nach deiner Weisheit thun — v Herr, sprich nur durch
einen Hauch zu mir!" Elke genest aber, und Hänke kann seine gewaltige Arbeit
zu Ende führen. Er ist ein rauher Bauherr, streng im Dienst, kurz angebunden
im Verkehr; wie sich selbst, mutet er auch den andern die höchste Anspannung
aller Kräfte zu; er verachtet das abergläubische Volk, daA ihn seines Rosses
wegen im Bunde mit dein Teufel glaubt, das ihn vollends für einen Gottes¬
lästerer hält, seitdem sein Gebet, das die Allmacht Gottes bezweifelt, von
geschwätzigen Weibern verbreitet worden ist. Die Wahrheit aber ist, daß die
Menge ungewöhnliche Menschen nicht begreift, nicht erträgt und sich durch
Verleumdung an der überragenden Geistesgröße rächt. So steht denn auch
Hänke nach Vollendung seines Werkes, das allen kommenden Geschlechtern und
anch schon seinen Genossen zum Heile und Vorteile gedeihen sollte, allein da,
ohne Freunde, geliebt nur vou seinem Weibe. Wieder lebt er einige Jahre im
Frieden des Hauses mit der geliebten Elke und dein armen stumpfsinnigen
Kinde. Er freut sich seines vergrößerten Grundbesitzes und hütet seinen Deich
und den dadurch gewonnenen Koog mit der zärtlichen Sorgfalt dessen, der
sie selbst geschaffen hat. Eine schwere Krankheit hat er mit Glück überstanden,
ist aber doch einigermaßen geschwächt davongekommen.

Und nun, nachdem Hänke sein Lebensziel nach so vieler Arbeit erreicht
hat, nimmt sein Schicksal eine überraschende Wendung. Wie überhaupt Storm
in diesem seinem Meisterwerke seine ganze künstlerische Individualität schärfer
als je ausgeprägt, niemals klarer die Mischling von Romantik und Realismus
geboten hat, so hat er auch seinen hinter der „Resignationspvesie" stehenden
Pessimismus niemals erschütternder ausgesprochen, als in dieser Geschichte des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/94>, abgerufen am 29.06.2024.