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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Leibniz als Volkswirt

Ein Umstand füllt besonders in die Angen: daß Leibniz fast alles durch
den Staat, mit Hilfe der Fürsten, denen er allerdings für gewisse Zweige der
Staatswissenschaft beratende Kollegien zur Seite stellen will, durchzuführen
sucht. Zu verwundern ist dies nicht. Die Zeit erheischte eine solche Bevor¬
mundung durch die Regierung, weil das Volk nicht reif war zur Selbst-
bestimmung und eigner freier Bewegung. Dazu hatte der dreißigjährige Krieg
den Leuten jedes Selbstvertrauen genommen. Aus dem eignen Antriebe der
Menschen heraus waren Unternehmungen zur Besserung des Menschenloses
nicht zu erwarten, das mußte von oben herab geschehen. Hatte der Absolu¬
tismus damals seine Berechtigung, so war auch der Weg, den Leibniz betrat,
gewiß der richtige.

Was von Leibnizens Vorschlägen ist nun seiner Zeit verwirklicht worden?
So gut wie nichts. Nur eines setzte er dnrch, die Gründung einer Sozietät
in Berlin; in Dresden, in Wien unterblieb sie. Alle seine Gutachten und
Denkschriften ließ man unbeachtet in den Archive" liegen. Nur ein Herrscher,
der größte unter den absoluten Monarchen, hat ein halbes Jahrhundert nach
Leibnizens Tode ähnliche Pläne zur Ausführung gebracht: Friedrich der
Große, der selbst Leibniz einen Platz ueben sich gab und meinte, daß Leibniz
für sich allein eine Akademie vorstelle. Unentschieden ist, ob Friedrich unmittel¬
bar durch Leibnizens Schriften Anregung zu seinen Friedenswerken empfing,
oder ob es eine zufällige Übereinstimmung dieser zwei geistesverwandten Naturen
war, die ihnen bei denselben Zielen auch dieselben Mittel in die Hand legte.
Das Manufakturwesen wurde zwar auch in Österreich durch Maria Theresia
und Joseph II, großgezogen, wenn auch nicht zu derselbe,! Höhe wie in Preußen.
Aber in andern Dingen steht Friedrich einzig da, und erst sein Beispiel spornte
andre Regenten zu ähnlicher Thätigkeit an. Er hat das Land entsumpft und
urbar gemacht, er hat deu Seidenbau, der in Preußen niedergegangen war, wieder
gehoben, er hat Kornmagazine angelegt, um Teuerungen vorzubeugen, er hat
der Landwirtschaft aus Staatsmitteln das Geld vorgeschossen, um die Spuren des
siebenjährigen Krieges zu verwischen. Zum hohen Verdienste ist es Friedrich
anzurechnen, daß er zuerst in Dentschland eine durchgängige Statistik in gro߬
artigem Maßstabe einrichtete, auf die er seine Verbessernngsplütte zu stützen suchte.

Andres ist noch später zur That geworden, zum Teil auch in andrer
Form, als es sich Leibniz vorstellte. Jetzt haben wir ein Neichsgesundheitsamt
und Beamte zur Untersuchung der Lebensmittel, woran Leibniz schon vor
200 Jahren gedacht hatte. Das Versicheruugsweseu wird seit der Mitte oder
dem Ende des vorigen Jahrhunderts allgemeiner, es geht aber in die freie
Genossenschaft über. Erst unsre Zeit hat die Verpflichtung des Staates, für
die Unterthanen in bestimmten Füllen zu sorgen, wie Leibniz es wollte, an¬
erkannt und eine wichtige Aufgabe dem Staate in der Unfallversicherung und
Altersversorgung zugewiesen.


Leibniz als Volkswirt

Ein Umstand füllt besonders in die Angen: daß Leibniz fast alles durch
den Staat, mit Hilfe der Fürsten, denen er allerdings für gewisse Zweige der
Staatswissenschaft beratende Kollegien zur Seite stellen will, durchzuführen
sucht. Zu verwundern ist dies nicht. Die Zeit erheischte eine solche Bevor¬
mundung durch die Regierung, weil das Volk nicht reif war zur Selbst-
bestimmung und eigner freier Bewegung. Dazu hatte der dreißigjährige Krieg
den Leuten jedes Selbstvertrauen genommen. Aus dem eignen Antriebe der
Menschen heraus waren Unternehmungen zur Besserung des Menschenloses
nicht zu erwarten, das mußte von oben herab geschehen. Hatte der Absolu¬
tismus damals seine Berechtigung, so war auch der Weg, den Leibniz betrat,
gewiß der richtige.

Was von Leibnizens Vorschlägen ist nun seiner Zeit verwirklicht worden?
So gut wie nichts. Nur eines setzte er dnrch, die Gründung einer Sozietät
in Berlin; in Dresden, in Wien unterblieb sie. Alle seine Gutachten und
Denkschriften ließ man unbeachtet in den Archive» liegen. Nur ein Herrscher,
der größte unter den absoluten Monarchen, hat ein halbes Jahrhundert nach
Leibnizens Tode ähnliche Pläne zur Ausführung gebracht: Friedrich der
Große, der selbst Leibniz einen Platz ueben sich gab und meinte, daß Leibniz
für sich allein eine Akademie vorstelle. Unentschieden ist, ob Friedrich unmittel¬
bar durch Leibnizens Schriften Anregung zu seinen Friedenswerken empfing,
oder ob es eine zufällige Übereinstimmung dieser zwei geistesverwandten Naturen
war, die ihnen bei denselben Zielen auch dieselben Mittel in die Hand legte.
Das Manufakturwesen wurde zwar auch in Österreich durch Maria Theresia
und Joseph II, großgezogen, wenn auch nicht zu derselbe,! Höhe wie in Preußen.
Aber in andern Dingen steht Friedrich einzig da, und erst sein Beispiel spornte
andre Regenten zu ähnlicher Thätigkeit an. Er hat das Land entsumpft und
urbar gemacht, er hat deu Seidenbau, der in Preußen niedergegangen war, wieder
gehoben, er hat Kornmagazine angelegt, um Teuerungen vorzubeugen, er hat
der Landwirtschaft aus Staatsmitteln das Geld vorgeschossen, um die Spuren des
siebenjährigen Krieges zu verwischen. Zum hohen Verdienste ist es Friedrich
anzurechnen, daß er zuerst in Dentschland eine durchgängige Statistik in gro߬
artigem Maßstabe einrichtete, auf die er seine Verbessernngsplütte zu stützen suchte.

Andres ist noch später zur That geworden, zum Teil auch in andrer
Form, als es sich Leibniz vorstellte. Jetzt haben wir ein Neichsgesundheitsamt
und Beamte zur Untersuchung der Lebensmittel, woran Leibniz schon vor
200 Jahren gedacht hatte. Das Versicheruugsweseu wird seit der Mitte oder
dem Ende des vorigen Jahrhunderts allgemeiner, es geht aber in die freie
Genossenschaft über. Erst unsre Zeit hat die Verpflichtung des Staates, für
die Unterthanen in bestimmten Füllen zu sorgen, wie Leibniz es wollte, an¬
erkannt und eine wichtige Aufgabe dem Staate in der Unfallversicherung und
Altersversorgung zugewiesen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/80>, abgerufen am 28.09.2024.