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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und das Slawentum

daß es ihm Ernst und Überzeugung sei, wenn er jene Erklärung damit erhärtet,
daß er auf eine tausendjährige Kultur der Westslaweu, auf ihren kirchlichen
Gegensatz zum Russentum, auf ihre Sprache hinweist. Aber wie standen denn
seine Parteigenossen vor der heutigen slawisch-österreichischen Ära zu der Sache?
Haben wir sie denn nicht ans dein Sklawenkongreß in Moskau gesehen? Und
wird Herr Rieger widerstehen können, wenn eine andre Zeit andre Lebens¬
bedingungen für die Tschechen bringen sollte, wenn die russischen Verlockungen
w greifbarer Form an sie in einem Augenblick der Bedrängnis herantreten
sollten? Solange die Westslawen nicht am eignen Leibe die russische Herr¬
schaft erfahren haben, wird der Panslawismus seinen Reiz für sie nie ganz
einbüßen gegenüber den Ansprüchen, die das österreichische Deutschtum an sie,
an alle Länder Österreichs stellen muß. Im Augenblick des Kampfes und der
Gefahr wird ihnen die nationale Verwandtschaft mit den Verheißungen der
Macht näher stehen als die deutsche Kulturverwaudtschaft mit ihrem Anspruch
auf Führung. In solcher Zeit siegt die Leidenschaft über die Weisheit, der
Jungtscheche Gregr über den Alttschechen Rieger, und der alte Zusammenhang
des böhmischen Volkes mit der abendländischen Zivilisation wird dem Götzen
der rohen Gewalt geopfert werden. Schreiten die österreichischen Slawen ans
dem heutigen Wege weiter, so muß der Augenblick kommeu, wo die slawische"
Ansprüche über die Fragen des innern Staatslebens hinausgreifen in das Gebiet
der äußern Herrschaft und der internationalen Beziehungen. Und dieser Weg
ist augenscheinlich: in den einzelnen Kronländern die deutsche Minderheit durch
die slawische Kopfzahl niederzuwerfen und zu knebeln; das Ziel wäre dann: in
Wien die Herrschaft an sich zu reißen und eben so in slawischen Geiste zu
üben, wie sie in magyarischem drüben in Pest geübt wird. Die Summe
wäre eine Erdrosselung des Deutschtums in beiden Neichshälften. Ein böser
Ausblick, der indessen noch nicht so schlimm Ware, wenn die Deutschen Öster¬
reichs selbst weniger kraftlos wären, als sie sich leider bisher gezeigt haben.
Nachdem sie ihre Kraft vergeudet haben in leerem Pnrteihader, nachdem sie
mehr libemlisirende Doktrinen verfochten haben, als daß sie ihre Macht ge¬
mehrt hätten, nachdem sie der slawischen Mehrheit in liberalen Verfassungen
den Weg geebnet und die Waffen ausgeliefert, nachdem sie Adel, Kirche und
Krone, sei es mit oder ohne eignes Verschulden, sich zu Feindell oder zu
Kleichgiltigeu Zuschmiern gemacht haben: nach all diesen schweren Fehlern
"ut widrigen Geschicken werden sie alle Kräfte spannen und manches Opfer
it)rer politischen Vergangenheit bringen müssen, wenn sie die Stellung zurück¬
gewinnen wollen, die dem Deutschtum in Österreich nach Geschichte und Kultur
gebührt.

Die Stellung, die das Deutschtum in Österreich einnahm, hat es in Ru߬
land nie errungen. So groß zu Zeiten der Einfluß war, den Deutsche in
Rußland ausübten, so bildeten sie doch stets eine zu verschwindende Minder-


Deutschland und das Slawentum

daß es ihm Ernst und Überzeugung sei, wenn er jene Erklärung damit erhärtet,
daß er auf eine tausendjährige Kultur der Westslaweu, auf ihren kirchlichen
Gegensatz zum Russentum, auf ihre Sprache hinweist. Aber wie standen denn
seine Parteigenossen vor der heutigen slawisch-österreichischen Ära zu der Sache?
Haben wir sie denn nicht ans dein Sklawenkongreß in Moskau gesehen? Und
wird Herr Rieger widerstehen können, wenn eine andre Zeit andre Lebens¬
bedingungen für die Tschechen bringen sollte, wenn die russischen Verlockungen
w greifbarer Form an sie in einem Augenblick der Bedrängnis herantreten
sollten? Solange die Westslawen nicht am eignen Leibe die russische Herr¬
schaft erfahren haben, wird der Panslawismus seinen Reiz für sie nie ganz
einbüßen gegenüber den Ansprüchen, die das österreichische Deutschtum an sie,
an alle Länder Österreichs stellen muß. Im Augenblick des Kampfes und der
Gefahr wird ihnen die nationale Verwandtschaft mit den Verheißungen der
Macht näher stehen als die deutsche Kulturverwaudtschaft mit ihrem Anspruch
auf Führung. In solcher Zeit siegt die Leidenschaft über die Weisheit, der
Jungtscheche Gregr über den Alttschechen Rieger, und der alte Zusammenhang
des böhmischen Volkes mit der abendländischen Zivilisation wird dem Götzen
der rohen Gewalt geopfert werden. Schreiten die österreichischen Slawen ans
dem heutigen Wege weiter, so muß der Augenblick kommeu, wo die slawische«
Ansprüche über die Fragen des innern Staatslebens hinausgreifen in das Gebiet
der äußern Herrschaft und der internationalen Beziehungen. Und dieser Weg
ist augenscheinlich: in den einzelnen Kronländern die deutsche Minderheit durch
die slawische Kopfzahl niederzuwerfen und zu knebeln; das Ziel wäre dann: in
Wien die Herrschaft an sich zu reißen und eben so in slawischen Geiste zu
üben, wie sie in magyarischem drüben in Pest geübt wird. Die Summe
wäre eine Erdrosselung des Deutschtums in beiden Neichshälften. Ein böser
Ausblick, der indessen noch nicht so schlimm Ware, wenn die Deutschen Öster¬
reichs selbst weniger kraftlos wären, als sie sich leider bisher gezeigt haben.
Nachdem sie ihre Kraft vergeudet haben in leerem Pnrteihader, nachdem sie
mehr libemlisirende Doktrinen verfochten haben, als daß sie ihre Macht ge¬
mehrt hätten, nachdem sie der slawischen Mehrheit in liberalen Verfassungen
den Weg geebnet und die Waffen ausgeliefert, nachdem sie Adel, Kirche und
Krone, sei es mit oder ohne eignes Verschulden, sich zu Feindell oder zu
Kleichgiltigeu Zuschmiern gemacht haben: nach all diesen schweren Fehlern
"ut widrigen Geschicken werden sie alle Kräfte spannen und manches Opfer
it)rer politischen Vergangenheit bringen müssen, wenn sie die Stellung zurück¬
gewinnen wollen, die dem Deutschtum in Österreich nach Geschichte und Kultur
gebührt.

Die Stellung, die das Deutschtum in Österreich einnahm, hat es in Ru߬
land nie errungen. So groß zu Zeiten der Einfluß war, den Deutsche in
Rußland ausübten, so bildeten sie doch stets eine zu verschwindende Minder-


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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/67>, abgerufen am 28.09.2024.