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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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(örillparzer und seine IugenddrämSn

sich in eine Jüdin. Seine Große", die ein ihm zugestvßnes Kriegsunglück
dieser verdammlicher Liebe zllschreiben, lassen das Mädchen ermorden. Alphons
ward darüber wahnsinnig. Im Jahr 1194." So weit also in Grillparzers
Leben reicht die "Jüdin von Toledo," das letzte seiner Meisterwerke, zurück.

Eine prächtige Prinz Heinz-Komödie hätte sein "König Heinrich der
Vierte" werden können, den er am 3. September 1813 zu schreiben begann
und in der Mitte des ersten Aktes liegen ließ. König Heinrich ist auf dem
Wege zu seiner schönen Geliebten Gabriele d'Estrelles in der Verkleidung eines
Pilgers, denn er muß sich vor den Spaniern in der Nähe, mit denen er
Krieg führt, hüten. Er kennt die Gefahr, wagt sie aber doch und fällt richtig
einer spanischen Wache in die Hände, denn Gabrielens Schloß ist in den Besitz
des Feindes übergegangen. Und nun "mag der muntre Bearner. dem schwer¬
fälligen König von Frankreich aus der Klemme helfen." Das Bruchstück endet
mitten in der überaus drolligen Szene mit dem dummen spanischen Komman¬
danten, den Heinrich nasführt.

Eine großartige Charaktertragödie hätten die "Pazzi" werden müssen,
wenn Grillparzer den erhaltnen Plan ausgeführt hätte. Francesco Pazzi
und der von ihm viclbeneidete Lorenzo de Medici werden als die typischen
Gegensätze geschildert. Lorenzo der politische Künstler von NatUr; ohne zu
heucheln, schmeichelt er dein Volke, bezaubert es durch seine freigebige, frische,
ruhige Persönlichkeit. Pazzi ist leidenschaftlich ehrgeizig, aber ein Grübler,
mit nach innen gewendetem Blick, darum mißtrauisch, neidisch, ohne politische
Kunst, ohnmächtig. Die einzige ausgeführte Szene ist ein Volksbild Von der
Art der Eröffnungsszene im "Egmont," farbig bewegt, und hier schon offenbart
Grillparzer die echt dramatische Kunst, mit wenig Handlungen Charaktere er¬
kennbar zu machen.

Die wertvollsten Bruchstücke, die mehr als alle andern das Bedauern
über ihre NichtVollendung erregen, sind die ziemlich weit gediehenen Expositions¬
szenen zu den Dramen: "Alfred der Große" und "Spartakus." Hier lernen
wir den jungen Grillparzer von einer neuen Seite kennen, wir sehen ihn wie
etwa Heinrich von .Kleist ergriffen von dem Pathos der Befreiungskriege.
"Alfred der Große" sollte die Befreiung Britanniens von dem Joche der
Dänen darstellen; "Spartakus" den Kampf der Sklaven gegen die verderbten
Herren. Im "Alfred" stellt Grillparzer zwei verschiedne Kulturstufen einander
gegenüber, die Dänen sind Heiden, die Britanncn Christen; nur läßt er hier
seinem Humor die Zügel schießen. Er stellt den König als einen Feigling dar,
der sich hinter das evangelische Gebot "Du sollst nicht töten!" verschanzt und,
aller Männlichkeit dur, elend untergeht. Wie der König, so die Soldaten.
In abenteuerlichster Weise vergrößern sie die Wildheit der Dänen, sie machen
sie zu Menschenfressern. Eine Figur, dem Falstaff nachgeahmt, ist der salbungs¬
volle Bischof, der im Angesicht des auf ihn eindringenden Dänen zu plärren beginnt:


(örillparzer und seine IugenddrämSn

sich in eine Jüdin. Seine Große», die ein ihm zugestvßnes Kriegsunglück
dieser verdammlicher Liebe zllschreiben, lassen das Mädchen ermorden. Alphons
ward darüber wahnsinnig. Im Jahr 1194." So weit also in Grillparzers
Leben reicht die „Jüdin von Toledo," das letzte seiner Meisterwerke, zurück.

Eine prächtige Prinz Heinz-Komödie hätte sein „König Heinrich der
Vierte" werden können, den er am 3. September 1813 zu schreiben begann
und in der Mitte des ersten Aktes liegen ließ. König Heinrich ist auf dem
Wege zu seiner schönen Geliebten Gabriele d'Estrelles in der Verkleidung eines
Pilgers, denn er muß sich vor den Spaniern in der Nähe, mit denen er
Krieg führt, hüten. Er kennt die Gefahr, wagt sie aber doch und fällt richtig
einer spanischen Wache in die Hände, denn Gabrielens Schloß ist in den Besitz
des Feindes übergegangen. Und nun „mag der muntre Bearner. dem schwer¬
fälligen König von Frankreich aus der Klemme helfen." Das Bruchstück endet
mitten in der überaus drolligen Szene mit dem dummen spanischen Komman¬
danten, den Heinrich nasführt.

Eine großartige Charaktertragödie hätten die „Pazzi" werden müssen,
wenn Grillparzer den erhaltnen Plan ausgeführt hätte. Francesco Pazzi
und der von ihm viclbeneidete Lorenzo de Medici werden als die typischen
Gegensätze geschildert. Lorenzo der politische Künstler von NatUr; ohne zu
heucheln, schmeichelt er dein Volke, bezaubert es durch seine freigebige, frische,
ruhige Persönlichkeit. Pazzi ist leidenschaftlich ehrgeizig, aber ein Grübler,
mit nach innen gewendetem Blick, darum mißtrauisch, neidisch, ohne politische
Kunst, ohnmächtig. Die einzige ausgeführte Szene ist ein Volksbild Von der
Art der Eröffnungsszene im „Egmont," farbig bewegt, und hier schon offenbart
Grillparzer die echt dramatische Kunst, mit wenig Handlungen Charaktere er¬
kennbar zu machen.

Die wertvollsten Bruchstücke, die mehr als alle andern das Bedauern
über ihre NichtVollendung erregen, sind die ziemlich weit gediehenen Expositions¬
szenen zu den Dramen: „Alfred der Große" und „Spartakus." Hier lernen
wir den jungen Grillparzer von einer neuen Seite kennen, wir sehen ihn wie
etwa Heinrich von .Kleist ergriffen von dem Pathos der Befreiungskriege.
„Alfred der Große" sollte die Befreiung Britanniens von dem Joche der
Dänen darstellen; „Spartakus" den Kampf der Sklaven gegen die verderbten
Herren. Im „Alfred" stellt Grillparzer zwei verschiedne Kulturstufen einander
gegenüber, die Dänen sind Heiden, die Britanncn Christen; nur läßt er hier
seinem Humor die Zügel schießen. Er stellt den König als einen Feigling dar,
der sich hinter das evangelische Gebot „Du sollst nicht töten!" verschanzt und,
aller Männlichkeit dur, elend untergeht. Wie der König, so die Soldaten.
In abenteuerlichster Weise vergrößern sie die Wildheit der Dänen, sie machen
sie zu Menschenfressern. Eine Figur, dem Falstaff nachgeahmt, ist der salbungs¬
volle Bischof, der im Angesicht des auf ihn eindringenden Dänen zu plärren beginnt:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/618>, abgerufen am 23.07.2024.