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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

ganz Deutschlands zu einem von Rußland mit Krieg bedrohten Österreich-Ungarn
ist, wie bereits bemerkt wurde, für den russischen Operativnsplan auch die Haltung
Rumäniens und der Balkanstaaten während eines Krieges der Russen mit ihren
westlichen Nachbarn von einiger Wichtigkeit. Namentlich gilt dies von dem
Königreiche Rumänien, dessen sehr tüchtige Feldarmee auf Kriegsfuß 130 Bataillone
Infanterie, 68 Schwadronen Reiterei und 408 Geschütze zählt und in dem
stark befestigten Bukarest leinen mächtigen Stützpunkt besitzt. Träte Serbien
diesem zur Seite, so würden noch 140 Bataillone, 30 Schwadronen und
344 Geschütze hinzukommen, während Bulgarien mit Ostrumelien 104 Bataillone,
14 Schwadronen und 160 Geschütze stellen könnte, wenn man die Reserve und
den Landsturm einrechnen dürfte. Auch an eine Beteiligung der Pforte wäre
zu denken, doch würde sich diese sehr wahrscheinlich auf Asien beschränken.
Möglich ist es, daß Abmachungen in allen diesen Beziehungen bestehen, da
aber darüber nichts bekannt geworden ist, so lassen sich nur Vermutungen nach
der Natur der Verhältnisse ausstellen, und diese weisen nicht ans Parteinahme
der genannten Staaten sür Nußland hin, vielmehr scheinen ihre Interessen
den Anschluß an die verbündeten Zentralinächte dringend zu empfehlen,
da diese das Bestehende verteidigen, Nußland dagegen Rumänien und die
Balkanländer mindestens mit Beschränkung ihrer Selbständigkeit und bei gün¬
stigem Ausfall des Kampfes für seine Waffen mit Einverleibung in seine
Besitzungen bedroht. Auf die Möglichkeit einer Gruppirung, wie die geschilderte,
muß der oberste Leiter der russischen Operationen gegen Österreich-Ungarn
jedenfalls Rücksicht nehmen, wenn er heilten Plan entwirft. Wenigstens wird
dadurch die Aufstellung eines Beobachtungskorps gegen Rumänien erfordert,
das der Stärke der Streitkräfte entspricht, die das Königreich bei Ausbruch
des Krieges mit Österreich sofort und in den nächsten Wochen marschiren zu
lassen im Stande ist. Vielleicht genügt diese Maßregel, um die Balkanstaaten
zu veranlassen, sich bis ans weiteres einer Teilnahme am Kampfe zu enthalten,
und gelänge es dann den Russen, gleich im Anfange des Krieges einige nam¬
hafte Erfolge zu erringen, so würden Rumänien, Serbien und Bulgarien ver¬
mutlich überhaupt abgeschreckt werden, sich dem Bunde Deutschlands und
Österreich-Ungarns anzuschließen.

Doch ist es wenig wahrscheinlich, daß Rußland sich bald nach Eröffnung
der Feindseligkeiten schon größerer militärischer Erfolge zu rühmen haben wird,
und zwar spricht namentlich dagegen ein Vergleich der hier in Betracht kommen¬
den russischen Eisenbahnen mit denen die der österreichischen Armee bei einem
Kriege innerhalb des österreichischen Grenzgebietes zur Verfügung stehen. Der
russische Eisenbahnbetrieb läßt, soweit er Kriegszwecken zu dienen bestimmt
ist, obgleich man in den letzten Jahren mit Eifer und Umsicht bemüht gewesen
ist, zu bessern, zu beseitigen und zu ergänzen, sichern Nachrichten zufolge noch
viel zu wünschen übrig. Mau hat zwar in den westlichen Gouvernements


Militärisch-politische Blicke nach Osten

ganz Deutschlands zu einem von Rußland mit Krieg bedrohten Österreich-Ungarn
ist, wie bereits bemerkt wurde, für den russischen Operativnsplan auch die Haltung
Rumäniens und der Balkanstaaten während eines Krieges der Russen mit ihren
westlichen Nachbarn von einiger Wichtigkeit. Namentlich gilt dies von dem
Königreiche Rumänien, dessen sehr tüchtige Feldarmee auf Kriegsfuß 130 Bataillone
Infanterie, 68 Schwadronen Reiterei und 408 Geschütze zählt und in dem
stark befestigten Bukarest leinen mächtigen Stützpunkt besitzt. Träte Serbien
diesem zur Seite, so würden noch 140 Bataillone, 30 Schwadronen und
344 Geschütze hinzukommen, während Bulgarien mit Ostrumelien 104 Bataillone,
14 Schwadronen und 160 Geschütze stellen könnte, wenn man die Reserve und
den Landsturm einrechnen dürfte. Auch an eine Beteiligung der Pforte wäre
zu denken, doch würde sich diese sehr wahrscheinlich auf Asien beschränken.
Möglich ist es, daß Abmachungen in allen diesen Beziehungen bestehen, da
aber darüber nichts bekannt geworden ist, so lassen sich nur Vermutungen nach
der Natur der Verhältnisse ausstellen, und diese weisen nicht ans Parteinahme
der genannten Staaten sür Nußland hin, vielmehr scheinen ihre Interessen
den Anschluß an die verbündeten Zentralinächte dringend zu empfehlen,
da diese das Bestehende verteidigen, Nußland dagegen Rumänien und die
Balkanländer mindestens mit Beschränkung ihrer Selbständigkeit und bei gün¬
stigem Ausfall des Kampfes für seine Waffen mit Einverleibung in seine
Besitzungen bedroht. Auf die Möglichkeit einer Gruppirung, wie die geschilderte,
muß der oberste Leiter der russischen Operationen gegen Österreich-Ungarn
jedenfalls Rücksicht nehmen, wenn er heilten Plan entwirft. Wenigstens wird
dadurch die Aufstellung eines Beobachtungskorps gegen Rumänien erfordert,
das der Stärke der Streitkräfte entspricht, die das Königreich bei Ausbruch
des Krieges mit Österreich sofort und in den nächsten Wochen marschiren zu
lassen im Stande ist. Vielleicht genügt diese Maßregel, um die Balkanstaaten
zu veranlassen, sich bis ans weiteres einer Teilnahme am Kampfe zu enthalten,
und gelänge es dann den Russen, gleich im Anfange des Krieges einige nam¬
hafte Erfolge zu erringen, so würden Rumänien, Serbien und Bulgarien ver¬
mutlich überhaupt abgeschreckt werden, sich dem Bunde Deutschlands und
Österreich-Ungarns anzuschließen.

Doch ist es wenig wahrscheinlich, daß Rußland sich bald nach Eröffnung
der Feindseligkeiten schon größerer militärischer Erfolge zu rühmen haben wird,
und zwar spricht namentlich dagegen ein Vergleich der hier in Betracht kommen¬
den russischen Eisenbahnen mit denen die der österreichischen Armee bei einem
Kriege innerhalb des österreichischen Grenzgebietes zur Verfügung stehen. Der
russische Eisenbahnbetrieb läßt, soweit er Kriegszwecken zu dienen bestimmt
ist, obgleich man in den letzten Jahren mit Eifer und Umsicht bemüht gewesen
ist, zu bessern, zu beseitigen und zu ergänzen, sichern Nachrichten zufolge noch
viel zu wünschen übrig. Mau hat zwar in den westlichen Gouvernements


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[0598] Militärisch-politische Blicke nach Osten ganz Deutschlands zu einem von Rußland mit Krieg bedrohten Österreich-Ungarn ist, wie bereits bemerkt wurde, für den russischen Operativnsplan auch die Haltung Rumäniens und der Balkanstaaten während eines Krieges der Russen mit ihren westlichen Nachbarn von einiger Wichtigkeit. Namentlich gilt dies von dem Königreiche Rumänien, dessen sehr tüchtige Feldarmee auf Kriegsfuß 130 Bataillone Infanterie, 68 Schwadronen Reiterei und 408 Geschütze zählt und in dem stark befestigten Bukarest leinen mächtigen Stützpunkt besitzt. Träte Serbien diesem zur Seite, so würden noch 140 Bataillone, 30 Schwadronen und 344 Geschütze hinzukommen, während Bulgarien mit Ostrumelien 104 Bataillone, 14 Schwadronen und 160 Geschütze stellen könnte, wenn man die Reserve und den Landsturm einrechnen dürfte. Auch an eine Beteiligung der Pforte wäre zu denken, doch würde sich diese sehr wahrscheinlich auf Asien beschränken. Möglich ist es, daß Abmachungen in allen diesen Beziehungen bestehen, da aber darüber nichts bekannt geworden ist, so lassen sich nur Vermutungen nach der Natur der Verhältnisse ausstellen, und diese weisen nicht ans Parteinahme der genannten Staaten sür Nußland hin, vielmehr scheinen ihre Interessen den Anschluß an die verbündeten Zentralinächte dringend zu empfehlen, da diese das Bestehende verteidigen, Nußland dagegen Rumänien und die Balkanländer mindestens mit Beschränkung ihrer Selbständigkeit und bei gün¬ stigem Ausfall des Kampfes für seine Waffen mit Einverleibung in seine Besitzungen bedroht. Auf die Möglichkeit einer Gruppirung, wie die geschilderte, muß der oberste Leiter der russischen Operationen gegen Österreich-Ungarn jedenfalls Rücksicht nehmen, wenn er heilten Plan entwirft. Wenigstens wird dadurch die Aufstellung eines Beobachtungskorps gegen Rumänien erfordert, das der Stärke der Streitkräfte entspricht, die das Königreich bei Ausbruch des Krieges mit Österreich sofort und in den nächsten Wochen marschiren zu lassen im Stande ist. Vielleicht genügt diese Maßregel, um die Balkanstaaten zu veranlassen, sich bis ans weiteres einer Teilnahme am Kampfe zu enthalten, und gelänge es dann den Russen, gleich im Anfange des Krieges einige nam¬ hafte Erfolge zu erringen, so würden Rumänien, Serbien und Bulgarien ver¬ mutlich überhaupt abgeschreckt werden, sich dem Bunde Deutschlands und Österreich-Ungarns anzuschließen. Doch ist es wenig wahrscheinlich, daß Rußland sich bald nach Eröffnung der Feindseligkeiten schon größerer militärischer Erfolge zu rühmen haben wird, und zwar spricht namentlich dagegen ein Vergleich der hier in Betracht kommen¬ den russischen Eisenbahnen mit denen die der österreichischen Armee bei einem Kriege innerhalb des österreichischen Grenzgebietes zur Verfügung stehen. Der russische Eisenbahnbetrieb läßt, soweit er Kriegszwecken zu dienen bestimmt ist, obgleich man in den letzten Jahren mit Eifer und Umsicht bemüht gewesen ist, zu bessern, zu beseitigen und zu ergänzen, sichern Nachrichten zufolge noch viel zu wünschen übrig. Mau hat zwar in den westlichen Gouvernements

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/598>, abgerufen am 29.06.2024.