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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

hatte, der macht es wie ein Dichter, der sich auf die alten unreinen Reime
versteifen wollte, weil sie durch Schiller und Goethe (die doch auch darin
vorwärts strebte") als "klassisch" festgestellt wären.

Um aber wieder auf den Anfang und damit zum Schluß zu kommen:
was wohl die Geschichte der deutscheu Sprache und des deutschen Lebens etwa
um 1950 zu dem Streit um die Häutung sagen wird? Der Sprachverein wird
gewiß zusammen genannt werden mit der Fruchtbringenden Gesellschaft des
siebzehnten Jahrhunderts, aber mit einem Unterschiede: damals waren es die
besten Schriftsteller der Zeit, die ein edler Fürst versammelte, um die Häutung
zum Heil des Ganzen zu bewirken oder zu befördern, denn der Drang dazu
war auch schon vorhanden und Fürsten und Herren und Dichter nahmen nur
die Bewegung hochherzig in die Hand! Und jetzt? versagen sich ihr die "füh¬
renden Schriftsteller" -- das thut weh. Aber die Bewegung ist im Gange,
ja sie hat schon, um einen Kriegsausdruck des sechzehnten Jahrhunderts zu
brauchen, "den Druck gewonnen," das ist nicht zu verkennen und -- hat eben
die Erklärung mit hervorgerufen. Und Fürsten fehlen ihr mit ihrer Gunst
doch auch nicht, unser jugendlicher Kaiser, der "deutschgesinnt" ist wie einer,
voran, im Hintergrund aber die nachwachsende Jugend als Trägerin der Zu¬
kunft. Da unsre heutige Geistesbewegung auch sehr nachdrücklich (eigentlich
durch Goethe und Schiller begonnen) auf unsre ältere Zeit, die vorfranzösische
gerichtet ist, um allerhand dann abgerissene schöne Fäden von dort wieder an¬
zuknüpfen zum Gcsamtgewebe, auch in Bezug auf die kernige, einfach viel¬
sagende Sprache von damals (wie trefflich versteht das z. B. G. Freytag und
mancher noch von den Unterzeichnern), fo wäre es schon möglich, daß um
1950 auch ein Ausdruck wieder aufgenommen wäre, mit dem man damals
bei einer Häutung des Zeitgeistes, z. B. in der Zeit der Reformation, die
Parteien unterschied, man nannte sie oder sich einfach und alles sagend "die
Alten" und "die Neuen." Wie im zwanzigsten Jahrhundert die Anwendung
ans unsre Sprachparteien wäre, braucht man nicht zu sagen, der Ausdruck paßt
auf den Kampf um unsre Neugestaltung überhaupt, nur daß "die Neuen"
in Anspruch nehmen können, zugleich die rechten "Alten" zu sein, wie Luther
auch that. Der freudige Schluß seines Liedes vom Jahre 1523 von den
beiden Glaubensmärtyrern in Brüssel paßt wirklich auch auf unsre Zeitlage:


Der Sommer ist hart für der Thür,
Der Winter ist vergangen.
Der das hat angefangen,
Der wird es auch vollenden.



Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

hatte, der macht es wie ein Dichter, der sich auf die alten unreinen Reime
versteifen wollte, weil sie durch Schiller und Goethe (die doch auch darin
vorwärts strebte») als „klassisch" festgestellt wären.

Um aber wieder auf den Anfang und damit zum Schluß zu kommen:
was wohl die Geschichte der deutscheu Sprache und des deutschen Lebens etwa
um 1950 zu dem Streit um die Häutung sagen wird? Der Sprachverein wird
gewiß zusammen genannt werden mit der Fruchtbringenden Gesellschaft des
siebzehnten Jahrhunderts, aber mit einem Unterschiede: damals waren es die
besten Schriftsteller der Zeit, die ein edler Fürst versammelte, um die Häutung
zum Heil des Ganzen zu bewirken oder zu befördern, denn der Drang dazu
war auch schon vorhanden und Fürsten und Herren und Dichter nahmen nur
die Bewegung hochherzig in die Hand! Und jetzt? versagen sich ihr die „füh¬
renden Schriftsteller" — das thut weh. Aber die Bewegung ist im Gange,
ja sie hat schon, um einen Kriegsausdruck des sechzehnten Jahrhunderts zu
brauchen, „den Druck gewonnen," das ist nicht zu verkennen und — hat eben
die Erklärung mit hervorgerufen. Und Fürsten fehlen ihr mit ihrer Gunst
doch auch nicht, unser jugendlicher Kaiser, der „deutschgesinnt" ist wie einer,
voran, im Hintergrund aber die nachwachsende Jugend als Trägerin der Zu¬
kunft. Da unsre heutige Geistesbewegung auch sehr nachdrücklich (eigentlich
durch Goethe und Schiller begonnen) auf unsre ältere Zeit, die vorfranzösische
gerichtet ist, um allerhand dann abgerissene schöne Fäden von dort wieder an¬
zuknüpfen zum Gcsamtgewebe, auch in Bezug auf die kernige, einfach viel¬
sagende Sprache von damals (wie trefflich versteht das z. B. G. Freytag und
mancher noch von den Unterzeichnern), fo wäre es schon möglich, daß um
1950 auch ein Ausdruck wieder aufgenommen wäre, mit dem man damals
bei einer Häutung des Zeitgeistes, z. B. in der Zeit der Reformation, die
Parteien unterschied, man nannte sie oder sich einfach und alles sagend „die
Alten" und „die Neuen." Wie im zwanzigsten Jahrhundert die Anwendung
ans unsre Sprachparteien wäre, braucht man nicht zu sagen, der Ausdruck paßt
auf den Kampf um unsre Neugestaltung überhaupt, nur daß „die Neuen"
in Anspruch nehmen können, zugleich die rechten „Alten" zu sein, wie Luther
auch that. Der freudige Schluß seines Liedes vom Jahre 1523 von den
beiden Glaubensmärtyrern in Brüssel paßt wirklich auch auf unsre Zeitlage:


Der Sommer ist hart für der Thür,
Der Winter ist vergangen.
Der das hat angefangen,
Der wird es auch vollenden.



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[0590] Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein hatte, der macht es wie ein Dichter, der sich auf die alten unreinen Reime versteifen wollte, weil sie durch Schiller und Goethe (die doch auch darin vorwärts strebte») als „klassisch" festgestellt wären. Um aber wieder auf den Anfang und damit zum Schluß zu kommen: was wohl die Geschichte der deutscheu Sprache und des deutschen Lebens etwa um 1950 zu dem Streit um die Häutung sagen wird? Der Sprachverein wird gewiß zusammen genannt werden mit der Fruchtbringenden Gesellschaft des siebzehnten Jahrhunderts, aber mit einem Unterschiede: damals waren es die besten Schriftsteller der Zeit, die ein edler Fürst versammelte, um die Häutung zum Heil des Ganzen zu bewirken oder zu befördern, denn der Drang dazu war auch schon vorhanden und Fürsten und Herren und Dichter nahmen nur die Bewegung hochherzig in die Hand! Und jetzt? versagen sich ihr die „füh¬ renden Schriftsteller" — das thut weh. Aber die Bewegung ist im Gange, ja sie hat schon, um einen Kriegsausdruck des sechzehnten Jahrhunderts zu brauchen, „den Druck gewonnen," das ist nicht zu verkennen und — hat eben die Erklärung mit hervorgerufen. Und Fürsten fehlen ihr mit ihrer Gunst doch auch nicht, unser jugendlicher Kaiser, der „deutschgesinnt" ist wie einer, voran, im Hintergrund aber die nachwachsende Jugend als Trägerin der Zu¬ kunft. Da unsre heutige Geistesbewegung auch sehr nachdrücklich (eigentlich durch Goethe und Schiller begonnen) auf unsre ältere Zeit, die vorfranzösische gerichtet ist, um allerhand dann abgerissene schöne Fäden von dort wieder an¬ zuknüpfen zum Gcsamtgewebe, auch in Bezug auf die kernige, einfach viel¬ sagende Sprache von damals (wie trefflich versteht das z. B. G. Freytag und mancher noch von den Unterzeichnern), fo wäre es schon möglich, daß um 1950 auch ein Ausdruck wieder aufgenommen wäre, mit dem man damals bei einer Häutung des Zeitgeistes, z. B. in der Zeit der Reformation, die Parteien unterschied, man nannte sie oder sich einfach und alles sagend „die Alten" und „die Neuen." Wie im zwanzigsten Jahrhundert die Anwendung ans unsre Sprachparteien wäre, braucht man nicht zu sagen, der Ausdruck paßt auf den Kampf um unsre Neugestaltung überhaupt, nur daß „die Neuen" in Anspruch nehmen können, zugleich die rechten „Alten" zu sein, wie Luther auch that. Der freudige Schluß seines Liedes vom Jahre 1523 von den beiden Glaubensmärtyrern in Brüssel paßt wirklich auch auf unsre Zeitlage: Der Sommer ist hart für der Thür, Der Winter ist vergangen. Der das hat angefangen, Der wird es auch vollenden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/590>, abgerufen am 29.06.2024.