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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Ingenddrcnnen

den gemeinen Motiven des Kampfes um die Gewerbefreiheit Honorare suchender
Tagesschriftsteller. Nicht leicht hat ein Mann in Österreich so schmerzlich unter
dem Joche des absolutistischen Polizeircgiments vor 1348 gelitten, als gerade
Grillparzer, der bedeutendste Kopf jener Zeit. Als aber die Erhebung des
13. März 1848 losbrach, da verwahrte er sich lebhaft dagegen, mit den
Revolutionären gemeinsame Sache zu machen, und in dem bekannten Dokument
über das Jahr 1848, das Laube zuerst veröffentlicht hat (jetzt am Schlüsse
des sechsten Ergänzungsbandes) grub er kleinliche Personalien aus, um die
Wortführer zu verdächtigen.

Doch genug von diesen Erinnerungen an den Verfall des Dichters. Ohnehin
sind gerade diese Charakterzüge Grillparzers die bekanntesten. Was er als Dichter
geleistet hat, ist weit weniger bekannt. Zu den Vorzügen unsrer geschichtlichen
Zeit gesellt sich ja leider die Untugend, daß sie sich, zumal in der Litteratur¬
geschichte, mehr mit dem Privatleben der Dichter, als mit ihren Werken be¬
schäftigt. Man vergißt nur zu oft, daß der Mensch im Dichter nur insofern geschicht¬
lich von Wert ist, als er den Charakter und die Entstehung seiner Dichtungen
erklären kann, wie ja überhaupt nur der große Erfolg der Werke die Forschung
nach der Person ihres Autors angeregt hat. Vielfach ergeht es auch so mit
Grillparzer. Warum er die Kathi nicht geheiratet hat, ist vielen Leuten
wichtiger zu wissen, als warum er z. B. die "Esther" nicht zu Ende gedichtet
hat! Es ist auch viel leichter, darüber zu schwatzen und dann in Bausch und
Bogen den alten Räsonuirer abzuthun, wie es ein Rezensent der National¬
zeitung kürzlich gethan hat, dessen abfällige Beurteilung Grillparzers nur auf
ungeschickte Parteinahme für Hebbel zurückzuführen ist. Wenn man aber schon
so weit geht, Grillparzer mit einer seiner schönsten Gestalten, mit Kaiser
Rudolf II. zu identifiziren, dann sollte man doch auch die Tragik in der
Gestalt des Dichters ebenso hervorheben und mit derselben Sympathie beurteilen,
die seine ergreifende Schöpfung bei allen Empfänglichen hervorruft.

Die Lebenstragödie Grillparzers ist erst jüngst von einem geistvollen
Philosophen, von Johannes Volkelt, in seinem Buche über den Dichter über¬
zeugend dargestellt worden. Sie besteht nicht bloß äußerlich in seinem Schicksal
als Beamter, in seiner Geringschätzung durch den Staat, den er in unvergleich¬
licher Weise geliebt hatte, sondern in seinem unharmonischen Charakter, in dem
Konflikt, in den ihn seine außerordentliche dichterische Begabung, gepaart mit
der unglückseligen Hypochondrie, mit den Forderungen des praktischen Lebens
gebracht hatte. Schon seine große Empfindlichkeit, jene überkensche Scham-
haftigkeit, die es ihm unerträglich machte, seine Gefühle der Öffentlichkeit
preiszugeben -- beiläufig mit ein Grund, warum seine Lyrik nicht gedeihen
konnte -- oder sein eignes Werk im Theater mit anzusehen oder seinen Namen
auf einem Buchtitel zu lesen, standen im Widerspruch mit seinem Ehrgeiz als
Dichter. Er war äußerst leicht zu reizen, aber doch auch wieder schnell


Grillparzer und seine Ingenddrcnnen

den gemeinen Motiven des Kampfes um die Gewerbefreiheit Honorare suchender
Tagesschriftsteller. Nicht leicht hat ein Mann in Österreich so schmerzlich unter
dem Joche des absolutistischen Polizeircgiments vor 1348 gelitten, als gerade
Grillparzer, der bedeutendste Kopf jener Zeit. Als aber die Erhebung des
13. März 1848 losbrach, da verwahrte er sich lebhaft dagegen, mit den
Revolutionären gemeinsame Sache zu machen, und in dem bekannten Dokument
über das Jahr 1848, das Laube zuerst veröffentlicht hat (jetzt am Schlüsse
des sechsten Ergänzungsbandes) grub er kleinliche Personalien aus, um die
Wortführer zu verdächtigen.

Doch genug von diesen Erinnerungen an den Verfall des Dichters. Ohnehin
sind gerade diese Charakterzüge Grillparzers die bekanntesten. Was er als Dichter
geleistet hat, ist weit weniger bekannt. Zu den Vorzügen unsrer geschichtlichen
Zeit gesellt sich ja leider die Untugend, daß sie sich, zumal in der Litteratur¬
geschichte, mehr mit dem Privatleben der Dichter, als mit ihren Werken be¬
schäftigt. Man vergißt nur zu oft, daß der Mensch im Dichter nur insofern geschicht¬
lich von Wert ist, als er den Charakter und die Entstehung seiner Dichtungen
erklären kann, wie ja überhaupt nur der große Erfolg der Werke die Forschung
nach der Person ihres Autors angeregt hat. Vielfach ergeht es auch so mit
Grillparzer. Warum er die Kathi nicht geheiratet hat, ist vielen Leuten
wichtiger zu wissen, als warum er z. B. die „Esther" nicht zu Ende gedichtet
hat! Es ist auch viel leichter, darüber zu schwatzen und dann in Bausch und
Bogen den alten Räsonuirer abzuthun, wie es ein Rezensent der National¬
zeitung kürzlich gethan hat, dessen abfällige Beurteilung Grillparzers nur auf
ungeschickte Parteinahme für Hebbel zurückzuführen ist. Wenn man aber schon
so weit geht, Grillparzer mit einer seiner schönsten Gestalten, mit Kaiser
Rudolf II. zu identifiziren, dann sollte man doch auch die Tragik in der
Gestalt des Dichters ebenso hervorheben und mit derselben Sympathie beurteilen,
die seine ergreifende Schöpfung bei allen Empfänglichen hervorruft.

Die Lebenstragödie Grillparzers ist erst jüngst von einem geistvollen
Philosophen, von Johannes Volkelt, in seinem Buche über den Dichter über¬
zeugend dargestellt worden. Sie besteht nicht bloß äußerlich in seinem Schicksal
als Beamter, in seiner Geringschätzung durch den Staat, den er in unvergleich¬
licher Weise geliebt hatte, sondern in seinem unharmonischen Charakter, in dem
Konflikt, in den ihn seine außerordentliche dichterische Begabung, gepaart mit
der unglückseligen Hypochondrie, mit den Forderungen des praktischen Lebens
gebracht hatte. Schon seine große Empfindlichkeit, jene überkensche Scham-
haftigkeit, die es ihm unerträglich machte, seine Gefühle der Öffentlichkeit
preiszugeben — beiläufig mit ein Grund, warum seine Lyrik nicht gedeihen
konnte — oder sein eignes Werk im Theater mit anzusehen oder seinen Namen
auf einem Buchtitel zu lesen, standen im Widerspruch mit seinem Ehrgeiz als
Dichter. Er war äußerst leicht zu reizen, aber doch auch wieder schnell


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[0568] Grillparzer und seine Ingenddrcnnen den gemeinen Motiven des Kampfes um die Gewerbefreiheit Honorare suchender Tagesschriftsteller. Nicht leicht hat ein Mann in Österreich so schmerzlich unter dem Joche des absolutistischen Polizeircgiments vor 1348 gelitten, als gerade Grillparzer, der bedeutendste Kopf jener Zeit. Als aber die Erhebung des 13. März 1848 losbrach, da verwahrte er sich lebhaft dagegen, mit den Revolutionären gemeinsame Sache zu machen, und in dem bekannten Dokument über das Jahr 1848, das Laube zuerst veröffentlicht hat (jetzt am Schlüsse des sechsten Ergänzungsbandes) grub er kleinliche Personalien aus, um die Wortführer zu verdächtigen. Doch genug von diesen Erinnerungen an den Verfall des Dichters. Ohnehin sind gerade diese Charakterzüge Grillparzers die bekanntesten. Was er als Dichter geleistet hat, ist weit weniger bekannt. Zu den Vorzügen unsrer geschichtlichen Zeit gesellt sich ja leider die Untugend, daß sie sich, zumal in der Litteratur¬ geschichte, mehr mit dem Privatleben der Dichter, als mit ihren Werken be¬ schäftigt. Man vergißt nur zu oft, daß der Mensch im Dichter nur insofern geschicht¬ lich von Wert ist, als er den Charakter und die Entstehung seiner Dichtungen erklären kann, wie ja überhaupt nur der große Erfolg der Werke die Forschung nach der Person ihres Autors angeregt hat. Vielfach ergeht es auch so mit Grillparzer. Warum er die Kathi nicht geheiratet hat, ist vielen Leuten wichtiger zu wissen, als warum er z. B. die „Esther" nicht zu Ende gedichtet hat! Es ist auch viel leichter, darüber zu schwatzen und dann in Bausch und Bogen den alten Räsonuirer abzuthun, wie es ein Rezensent der National¬ zeitung kürzlich gethan hat, dessen abfällige Beurteilung Grillparzers nur auf ungeschickte Parteinahme für Hebbel zurückzuführen ist. Wenn man aber schon so weit geht, Grillparzer mit einer seiner schönsten Gestalten, mit Kaiser Rudolf II. zu identifiziren, dann sollte man doch auch die Tragik in der Gestalt des Dichters ebenso hervorheben und mit derselben Sympathie beurteilen, die seine ergreifende Schöpfung bei allen Empfänglichen hervorruft. Die Lebenstragödie Grillparzers ist erst jüngst von einem geistvollen Philosophen, von Johannes Volkelt, in seinem Buche über den Dichter über¬ zeugend dargestellt worden. Sie besteht nicht bloß äußerlich in seinem Schicksal als Beamter, in seiner Geringschätzung durch den Staat, den er in unvergleich¬ licher Weise geliebt hatte, sondern in seinem unharmonischen Charakter, in dem Konflikt, in den ihn seine außerordentliche dichterische Begabung, gepaart mit der unglückseligen Hypochondrie, mit den Forderungen des praktischen Lebens gebracht hatte. Schon seine große Empfindlichkeit, jene überkensche Scham- haftigkeit, die es ihm unerträglich machte, seine Gefühle der Öffentlichkeit preiszugeben — beiläufig mit ein Grund, warum seine Lyrik nicht gedeihen konnte — oder sein eignes Werk im Theater mit anzusehen oder seinen Namen auf einem Buchtitel zu lesen, standen im Widerspruch mit seinem Ehrgeiz als Dichter. Er war äußerst leicht zu reizen, aber doch auch wieder schnell

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/568>, abgerufen am 28.09.2024.