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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Englische Technik und deutsche Konkurrenz

sind die Fahrpreise durchschnittlich um 15 bis 25°/" höher als die auf den
Preußischen Staatsbahnen üblichen, dafür entschädigen aber den Reisenden
einigermaßen sehr günstige Bedingungen für die Ruck-, Rundreise- und
Svmmerbillets, sowie die in den meisten Fällen unentgeltliche Gepäck¬
beförderung.

Ich will diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne einen Plan erwähnt zu
haben, der in der neuestell Zeit englische Ingenieure beschäftigt und zu ein¬
gehenden Studien der in Frage kommenden Verhältnisse veranlaßt hat. Daß
ein großartiger Unternehmungsgeist in diesen Kreisen herrscht, ist nicht zu
leugnen. Der längst geplante unterseeische Tunnel zwischen England und
Frankreich würde heute wahrscheinlich schon in Angriff genommen sein, wenn
nicht die englischen Militärbehörden aus Furcht vor der Möglichkeit eines
französischen Einfalls sich entschieden gegen diesen Plan gesträubt hätten.

Daß diese Bedenken über kurz oder lang schwinden werden, und die Aus-
führung dieses Werkes nur eine Frage von wenigen Jahrzehnten ist, wird fast
allgemein angenommen. Aber was jetzt die Köpfe englischer Ingenieure von
Bedeutung beschäftigt, ist ein Werk, gegen das der Kanaltunnel eine Kleinigkeit
scheinen würde. Es ist die Herstellung einer unmittelbaren Eisenbahnverbin¬
dung zwischen Europa und Amerika, und zwar auf dem Landwege, d. h. unter
Benutzung der bereits bestehenden Schienenwege zwischen Westeuropa und dem
Uralgebirge, Fortsetzung desselben durch Sibirien und die Tschuktschenhalbinsel,
Überbrückung der an der schmalsten Stelle etwa 14 Kilometer breiten und mit
Inseln besäten Behringstraße und Verbindung mit der transkanadischen Bahn
durch die Halbinsel Alaska und das südlich davon gelegene britische Terri¬
torium. Man hat berechnet, daß die Landreise von London nach New-Aork
(natürlich unter Benutzung des dann längst hergestellten Kanaltunnels) etwa
23 Tage dauern würde, also nur etwa dreimal so lange, als jetzt die Dampfer
brauchen, um den nächsten Weg zurückzulegen.

Der ganze Plan sieht auf den ersten Blick den Jules Verneschen Ideen
etwas ähnlich, aber gediegne englische und amerikanische technische Fachblätter
beschäftigen sich allen Ernstes damit, und wenn man bedenkt, wie ungläubig
man noch vor wenigen Jahrzehnten den Plan der Legung eines transatlantischen
Kabels gegenübergestanden hat, so muß man sagen: auch vor diesem Werke
wird der menschliche Unternehmungsgeist nicht zurückschrecken, wenn es ein
lohnendes zu werden verspricht; und wer wollte das ohne weiteres verneinen?
Wir wollen zwar zunächst dem Umstände, daß auf der mir vorliegenden Skizze
diese großartige Weltbahn mitten durch Deutschland geht, uicht allzu viel
Wert beimessen; die Ausführung des stolzen Planes scheint vor der Hand
mindestens sehr zweifelhaft, aber so viel steht fest und so sicher zu hoffen, daß
neben England Deutschland einen wichtigen Anteil an der Kulturarbeit der
Welt stets haben wird. Unter voller Anerkennung der großen Verdienste und


Grenzboten I 1839 70
Englische Technik und deutsche Konkurrenz

sind die Fahrpreise durchschnittlich um 15 bis 25°/„ höher als die auf den
Preußischen Staatsbahnen üblichen, dafür entschädigen aber den Reisenden
einigermaßen sehr günstige Bedingungen für die Ruck-, Rundreise- und
Svmmerbillets, sowie die in den meisten Fällen unentgeltliche Gepäck¬
beförderung.

Ich will diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne einen Plan erwähnt zu
haben, der in der neuestell Zeit englische Ingenieure beschäftigt und zu ein¬
gehenden Studien der in Frage kommenden Verhältnisse veranlaßt hat. Daß
ein großartiger Unternehmungsgeist in diesen Kreisen herrscht, ist nicht zu
leugnen. Der längst geplante unterseeische Tunnel zwischen England und
Frankreich würde heute wahrscheinlich schon in Angriff genommen sein, wenn
nicht die englischen Militärbehörden aus Furcht vor der Möglichkeit eines
französischen Einfalls sich entschieden gegen diesen Plan gesträubt hätten.

Daß diese Bedenken über kurz oder lang schwinden werden, und die Aus-
führung dieses Werkes nur eine Frage von wenigen Jahrzehnten ist, wird fast
allgemein angenommen. Aber was jetzt die Köpfe englischer Ingenieure von
Bedeutung beschäftigt, ist ein Werk, gegen das der Kanaltunnel eine Kleinigkeit
scheinen würde. Es ist die Herstellung einer unmittelbaren Eisenbahnverbin¬
dung zwischen Europa und Amerika, und zwar auf dem Landwege, d. h. unter
Benutzung der bereits bestehenden Schienenwege zwischen Westeuropa und dem
Uralgebirge, Fortsetzung desselben durch Sibirien und die Tschuktschenhalbinsel,
Überbrückung der an der schmalsten Stelle etwa 14 Kilometer breiten und mit
Inseln besäten Behringstraße und Verbindung mit der transkanadischen Bahn
durch die Halbinsel Alaska und das südlich davon gelegene britische Terri¬
torium. Man hat berechnet, daß die Landreise von London nach New-Aork
(natürlich unter Benutzung des dann längst hergestellten Kanaltunnels) etwa
23 Tage dauern würde, also nur etwa dreimal so lange, als jetzt die Dampfer
brauchen, um den nächsten Weg zurückzulegen.

Der ganze Plan sieht auf den ersten Blick den Jules Verneschen Ideen
etwas ähnlich, aber gediegne englische und amerikanische technische Fachblätter
beschäftigen sich allen Ernstes damit, und wenn man bedenkt, wie ungläubig
man noch vor wenigen Jahrzehnten den Plan der Legung eines transatlantischen
Kabels gegenübergestanden hat, so muß man sagen: auch vor diesem Werke
wird der menschliche Unternehmungsgeist nicht zurückschrecken, wenn es ein
lohnendes zu werden verspricht; und wer wollte das ohne weiteres verneinen?
Wir wollen zwar zunächst dem Umstände, daß auf der mir vorliegenden Skizze
diese großartige Weltbahn mitten durch Deutschland geht, uicht allzu viel
Wert beimessen; die Ausführung des stolzen Planes scheint vor der Hand
mindestens sehr zweifelhaft, aber so viel steht fest und so sicher zu hoffen, daß
neben England Deutschland einen wichtigen Anteil an der Kulturarbeit der
Welt stets haben wird. Unter voller Anerkennung der großen Verdienste und


Grenzboten I 1839 70
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/561>, abgerufen am 28.09.2024.