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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zum Studium der englischen Sprache und Litteratur

in den lebenden Sprachen zu suchen habe. Nur die unverstandene oder un¬
verständlich gewordene Sprache sei ihr Arbeitsfeld. "Erst wo diese vorhanden
ist. bedarf der Erforscher der Vergangenheit eines Gebietes geistiger Leistungen,
der Hilfe des Philologen. Der Philolog hörte auf zu sein, wo die Wissen¬
schaft früherer Zeit, deren Entwicklung beobachtet werden soll, eine noch ver¬
standene oder mit Hilfe der lebenden Sprache verständliche Sprache redet.
Und wäre gar eine Sprache oder die Sprache unveränderlich, so würde von
Philologie nicht geredet werden können." Demnach bliebe der Romanist und
August nur so lange Philologe, als er sich mit den historischen Entwicklungs¬
stufen der lebenden Sprachen beschäftigt, d. h. solange er aus dem Felde des
Alt- und Mittelsranzösischen. des Alt- und Mittelenglischen arbeitet. Diese An¬
sicht wird gegenwärtig auch von den meisten Augusten vertreten; ja A. Schröer
'meint sogar in seiner Schrift "Wissenschaft und Schule in ihrem Verhältnis zur
Praktischen Spracherlernung" (Leipzig 1887). der künftige Lehrer, der eme
lebende Sprache zu lehren habe, dürfe sich auf der Universität nicht dadurch
für seinen künftigen Beruf vorbereiten, daß er sich praktische Kenntnisse em-
pauke, sondern '
dadurch, daß er angeleitet werde, über die Sprache wissen¬
schaftlich nachzudenken.

^^^^"Dieser neue und vielfach verteidigte Grundsatz ruft das Entsetzen aller
Praktische,, Schulmänner hervor. Man soll nun mit einemmale an den
höheren Schulen mit Lehrern arbeiten, die zwar vortreffliche Augusten und
Romanisten sind, aber schlechte Engländer und Franzosen. Man verlangt ent¬
schieden, daß die Universität ihre Bestimmung in dieser Hinsicht anders auf¬
fasse. Es sei uicht ihre Aufgabe, Gelehrte oder Universitätsdozenten heran¬
zubilden, sondern zukünftigen Beamten das Rüstzeug mitzugeben zu gründlicher
und sachgemäßer Ausfüllung ihres Wirkungskreises, d. h. in diesem Falle dem
Staate Lehrer zu liefern, welche die lebenden Sprachen in Wort und Schrift
vollkommen beherrschen, wodurch sie erst für ihre lehramtliche Thätigkeit ge¬
eignet gemacht würden. Allein mit Schröer und Grober sind die meisten
Gelehrten dieser Forderung energisch entgegengetreten; Sache der Umversttat
sei es nur. das historische Studium der lebenden Sprache zu bieten. Es könne
niemals Aufgabe der Wissenschaft sein, dem Studenten praktische Sprach¬
fertigkeit beizubringen; die Universität sei nimmermehr eine Bildungsstätte für
Beamte, sondern eine Pflanzstätte der Wissenschaft; die Philologie höre aber
auf. Wissenschaft zu sein, sobald sie sich lediglich mit der lebenden Sprache
und deren Litteratur befasse, sobald sie zu einer empirischen Sprachmersterer
oder ästhetisirenden Behandlungsweise litterarischer Denkmäler herunterstnke.

Dem gegenüber versucht Johann Storm, Professor an der Umversttat
Christiania in seinem Buche "Anleitung zum wissenschaftlichen Studium der
englischen Sprache" auch die lebende Sprache philologisch zu behandeln, das
akademische Sprachstudium mit dem praktischen zu verbinden und nur als


Zum Studium der englischen Sprache und Litteratur

in den lebenden Sprachen zu suchen habe. Nur die unverstandene oder un¬
verständlich gewordene Sprache sei ihr Arbeitsfeld. „Erst wo diese vorhanden
ist. bedarf der Erforscher der Vergangenheit eines Gebietes geistiger Leistungen,
der Hilfe des Philologen. Der Philolog hörte auf zu sein, wo die Wissen¬
schaft früherer Zeit, deren Entwicklung beobachtet werden soll, eine noch ver¬
standene oder mit Hilfe der lebenden Sprache verständliche Sprache redet.
Und wäre gar eine Sprache oder die Sprache unveränderlich, so würde von
Philologie nicht geredet werden können." Demnach bliebe der Romanist und
August nur so lange Philologe, als er sich mit den historischen Entwicklungs¬
stufen der lebenden Sprachen beschäftigt, d. h. solange er aus dem Felde des
Alt- und Mittelsranzösischen. des Alt- und Mittelenglischen arbeitet. Diese An¬
sicht wird gegenwärtig auch von den meisten Augusten vertreten; ja A. Schröer
'meint sogar in seiner Schrift „Wissenschaft und Schule in ihrem Verhältnis zur
Praktischen Spracherlernung" (Leipzig 1887). der künftige Lehrer, der eme
lebende Sprache zu lehren habe, dürfe sich auf der Universität nicht dadurch
für seinen künftigen Beruf vorbereiten, daß er sich praktische Kenntnisse em-
pauke, sondern '
dadurch, daß er angeleitet werde, über die Sprache wissen¬
schaftlich nachzudenken.

^^^^„Dieser neue und vielfach verteidigte Grundsatz ruft das Entsetzen aller
Praktische,, Schulmänner hervor. Man soll nun mit einemmale an den
höheren Schulen mit Lehrern arbeiten, die zwar vortreffliche Augusten und
Romanisten sind, aber schlechte Engländer und Franzosen. Man verlangt ent¬
schieden, daß die Universität ihre Bestimmung in dieser Hinsicht anders auf¬
fasse. Es sei uicht ihre Aufgabe, Gelehrte oder Universitätsdozenten heran¬
zubilden, sondern zukünftigen Beamten das Rüstzeug mitzugeben zu gründlicher
und sachgemäßer Ausfüllung ihres Wirkungskreises, d. h. in diesem Falle dem
Staate Lehrer zu liefern, welche die lebenden Sprachen in Wort und Schrift
vollkommen beherrschen, wodurch sie erst für ihre lehramtliche Thätigkeit ge¬
eignet gemacht würden. Allein mit Schröer und Grober sind die meisten
Gelehrten dieser Forderung energisch entgegengetreten; Sache der Umversttat
sei es nur. das historische Studium der lebenden Sprache zu bieten. Es könne
niemals Aufgabe der Wissenschaft sein, dem Studenten praktische Sprach¬
fertigkeit beizubringen; die Universität sei nimmermehr eine Bildungsstätte für
Beamte, sondern eine Pflanzstätte der Wissenschaft; die Philologie höre aber
auf. Wissenschaft zu sein, sobald sie sich lediglich mit der lebenden Sprache
und deren Litteratur befasse, sobald sie zu einer empirischen Sprachmersterer
oder ästhetisirenden Behandlungsweise litterarischer Denkmäler herunterstnke.

Dem gegenüber versucht Johann Storm, Professor an der Umversttat
Christiania in seinem Buche „Anleitung zum wissenschaftlichen Studium der
englischen Sprache" auch die lebende Sprache philologisch zu behandeln, das
akademische Sprachstudium mit dem praktischen zu verbinden und nur als


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[0515] Zum Studium der englischen Sprache und Litteratur in den lebenden Sprachen zu suchen habe. Nur die unverstandene oder un¬ verständlich gewordene Sprache sei ihr Arbeitsfeld. „Erst wo diese vorhanden ist. bedarf der Erforscher der Vergangenheit eines Gebietes geistiger Leistungen, der Hilfe des Philologen. Der Philolog hörte auf zu sein, wo die Wissen¬ schaft früherer Zeit, deren Entwicklung beobachtet werden soll, eine noch ver¬ standene oder mit Hilfe der lebenden Sprache verständliche Sprache redet. Und wäre gar eine Sprache oder die Sprache unveränderlich, so würde von Philologie nicht geredet werden können." Demnach bliebe der Romanist und August nur so lange Philologe, als er sich mit den historischen Entwicklungs¬ stufen der lebenden Sprachen beschäftigt, d. h. solange er aus dem Felde des Alt- und Mittelsranzösischen. des Alt- und Mittelenglischen arbeitet. Diese An¬ sicht wird gegenwärtig auch von den meisten Augusten vertreten; ja A. Schröer 'meint sogar in seiner Schrift „Wissenschaft und Schule in ihrem Verhältnis zur Praktischen Spracherlernung" (Leipzig 1887). der künftige Lehrer, der eme lebende Sprache zu lehren habe, dürfe sich auf der Universität nicht dadurch für seinen künftigen Beruf vorbereiten, daß er sich praktische Kenntnisse em- pauke, sondern ' dadurch, daß er angeleitet werde, über die Sprache wissen¬ schaftlich nachzudenken. ^^^^„Dieser neue und vielfach verteidigte Grundsatz ruft das Entsetzen aller Praktische,, Schulmänner hervor. Man soll nun mit einemmale an den höheren Schulen mit Lehrern arbeiten, die zwar vortreffliche Augusten und Romanisten sind, aber schlechte Engländer und Franzosen. Man verlangt ent¬ schieden, daß die Universität ihre Bestimmung in dieser Hinsicht anders auf¬ fasse. Es sei uicht ihre Aufgabe, Gelehrte oder Universitätsdozenten heran¬ zubilden, sondern zukünftigen Beamten das Rüstzeug mitzugeben zu gründlicher und sachgemäßer Ausfüllung ihres Wirkungskreises, d. h. in diesem Falle dem Staate Lehrer zu liefern, welche die lebenden Sprachen in Wort und Schrift vollkommen beherrschen, wodurch sie erst für ihre lehramtliche Thätigkeit ge¬ eignet gemacht würden. Allein mit Schröer und Grober sind die meisten Gelehrten dieser Forderung energisch entgegengetreten; Sache der Umversttat sei es nur. das historische Studium der lebenden Sprache zu bieten. Es könne niemals Aufgabe der Wissenschaft sein, dem Studenten praktische Sprach¬ fertigkeit beizubringen; die Universität sei nimmermehr eine Bildungsstätte für Beamte, sondern eine Pflanzstätte der Wissenschaft; die Philologie höre aber auf. Wissenschaft zu sein, sobald sie sich lediglich mit der lebenden Sprache und deren Litteratur befasse, sobald sie zu einer empirischen Sprachmersterer oder ästhetisirenden Behandlungsweise litterarischer Denkmäler herunterstnke. Dem gegenüber versucht Johann Storm, Professor an der Umversttat Christiania in seinem Buche „Anleitung zum wissenschaftlichen Studium der englischen Sprache" auch die lebende Sprache philologisch zu behandeln, das akademische Sprachstudium mit dem praktischen zu verbinden und nur als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/515>, abgerufen am 29.06.2024.