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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Pädagogische Phrasen

soll. Die "reine, edle Gesinnung" hilft uns nicht weiter, dein: mit socher
prahlen die Vertreter aller Richtungen. Wenn, wie das Wort "Humanität"
im Schlußsätze anzudeuten scheint, das klassische Humanitätsideal gemeint sein
sollte, dann müßte man es seltsam finden, daß gerade die Erzeuger dieses
Ideals, die Griechen, in der Schule entthront werden sollen.

Daß wir es nur gerade heraussagen, um was es sich handelt: in dem
kritisirten unklaren Ausspruch giebt sich eine Sehnsucht kund, die unzählige
Gemüter erfüllt, die Sehnsucht "ach jener Erziehung aus einem Geist und
aus einem Guß, wie sie vormals der Hellenenknabe genoß, und wie sie der
Sohn des koranglüubigen Türken noch heute genießt. Leider muß diese Sehn¬
sucht ungestillt bleiben. Ehe die Jungen zu einer geschlossenen, einfachen,
folgerichtigen Weltansicht erzogen werden können, müssen die Alten sich erst
über eine solche einigen, und an Einigung ist gar nicht zu deuten. Selbst
wenn es im Kulturkampf gelungen wäre, durch Ausrottung des Katholizismus
die Lage zu vereinfachen, fo würden wir in Deutschland immer noch vier ver¬
schiedene Richtungen haben, die sich auf Tod und Leben bekämpfen: die ortho¬
dox-lutherische, die humanistisch-kosiuopolitische, die materialistische (in sehr
vielen Schattirungen) und endlich jene kaut-hegelsche, welche die übrigen Kultur¬
elemente nur so weit gelten läßt, als sie sich in den Dienst des Staates stellen.
Eine Schulreform, die Erziehung aus einem Guß gewährte, würde erst dann
möglich sein, wenn eine dieser Richtungen alle übrigen unterdrückt hätte, oder
wenn sie allesamt in einer neuen, höhern Richtung aufgegangen wären.

Ein andrer Ausspruch, der sich wunderhübsch liest und anhört, lautet:
"Nicht unter den Trümmern der Akropolis, auch nicht Jerusalems, liegen die
ausschließlichen Fundstätten des Idealen; überall in Natur und Menschenherzen
liegt das Ideale, freilich auch erst in der Tiefe, und es verlangt hier wie dort
feinen -- Schliemann."

Da bin ich zuvörderst so unbescheiden, zu behaupten, daß in den Trümmern
der Akropolis und Jerusalems uoch kein Mensch nach Idealen gegraben hat,
anch Schliemann nicht. Was Schliemann, wenn auch nicht gerade an den
hier genannten Orten, gesucht hat, das war die Bestätigung gewisser Angaben
Homers. Sollen aber die Trümmer der Akropolis und Jerusalems als
Symbole des Hellenen- und Judentums verstanden werden -- das Wort
"Trümmer" würde in diesem Falle andeuten, daß beide Mächte als tot und
abgethan auzusehen seien --, dann muß die Reihe fortgesetzt werden, etwa
folgendermaßen: nicht im Vatikan, nicht in der Schloßkirche zu Wittenberg,
nicht im Goethehause zu Weimar, nicht in der Ruhmeshalle und in der Uni¬
versität unsrer Reichshauptstadt, sondern in der Natur und im Menschenherzen
haben die Ideale ihre Heimstätte. Und das würde dann bedeuten: nicht jene
gottbegnadeter Menschen und Völker, die ganzen Perioden der Weltgeschichte
das Gepräge verleihen, nicht sie sind es, denen wir unsre Ideale verdanken,


Pädagogische Phrasen

soll. Die „reine, edle Gesinnung" hilft uns nicht weiter, dein: mit socher
prahlen die Vertreter aller Richtungen. Wenn, wie das Wort „Humanität"
im Schlußsätze anzudeuten scheint, das klassische Humanitätsideal gemeint sein
sollte, dann müßte man es seltsam finden, daß gerade die Erzeuger dieses
Ideals, die Griechen, in der Schule entthront werden sollen.

Daß wir es nur gerade heraussagen, um was es sich handelt: in dem
kritisirten unklaren Ausspruch giebt sich eine Sehnsucht kund, die unzählige
Gemüter erfüllt, die Sehnsucht »ach jener Erziehung aus einem Geist und
aus einem Guß, wie sie vormals der Hellenenknabe genoß, und wie sie der
Sohn des koranglüubigen Türken noch heute genießt. Leider muß diese Sehn¬
sucht ungestillt bleiben. Ehe die Jungen zu einer geschlossenen, einfachen,
folgerichtigen Weltansicht erzogen werden können, müssen die Alten sich erst
über eine solche einigen, und an Einigung ist gar nicht zu deuten. Selbst
wenn es im Kulturkampf gelungen wäre, durch Ausrottung des Katholizismus
die Lage zu vereinfachen, fo würden wir in Deutschland immer noch vier ver¬
schiedene Richtungen haben, die sich auf Tod und Leben bekämpfen: die ortho¬
dox-lutherische, die humanistisch-kosiuopolitische, die materialistische (in sehr
vielen Schattirungen) und endlich jene kaut-hegelsche, welche die übrigen Kultur¬
elemente nur so weit gelten läßt, als sie sich in den Dienst des Staates stellen.
Eine Schulreform, die Erziehung aus einem Guß gewährte, würde erst dann
möglich sein, wenn eine dieser Richtungen alle übrigen unterdrückt hätte, oder
wenn sie allesamt in einer neuen, höhern Richtung aufgegangen wären.

Ein andrer Ausspruch, der sich wunderhübsch liest und anhört, lautet:
„Nicht unter den Trümmern der Akropolis, auch nicht Jerusalems, liegen die
ausschließlichen Fundstätten des Idealen; überall in Natur und Menschenherzen
liegt das Ideale, freilich auch erst in der Tiefe, und es verlangt hier wie dort
feinen — Schliemann."

Da bin ich zuvörderst so unbescheiden, zu behaupten, daß in den Trümmern
der Akropolis und Jerusalems uoch kein Mensch nach Idealen gegraben hat,
anch Schliemann nicht. Was Schliemann, wenn auch nicht gerade an den
hier genannten Orten, gesucht hat, das war die Bestätigung gewisser Angaben
Homers. Sollen aber die Trümmer der Akropolis und Jerusalems als
Symbole des Hellenen- und Judentums verstanden werden — das Wort
„Trümmer" würde in diesem Falle andeuten, daß beide Mächte als tot und
abgethan auzusehen seien —, dann muß die Reihe fortgesetzt werden, etwa
folgendermaßen: nicht im Vatikan, nicht in der Schloßkirche zu Wittenberg,
nicht im Goethehause zu Weimar, nicht in der Ruhmeshalle und in der Uni¬
versität unsrer Reichshauptstadt, sondern in der Natur und im Menschenherzen
haben die Ideale ihre Heimstätte. Und das würde dann bedeuten: nicht jene
gottbegnadeter Menschen und Völker, die ganzen Perioden der Weltgeschichte
das Gepräge verleihen, nicht sie sind es, denen wir unsre Ideale verdanken,


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[0468] Pädagogische Phrasen soll. Die „reine, edle Gesinnung" hilft uns nicht weiter, dein: mit socher prahlen die Vertreter aller Richtungen. Wenn, wie das Wort „Humanität" im Schlußsätze anzudeuten scheint, das klassische Humanitätsideal gemeint sein sollte, dann müßte man es seltsam finden, daß gerade die Erzeuger dieses Ideals, die Griechen, in der Schule entthront werden sollen. Daß wir es nur gerade heraussagen, um was es sich handelt: in dem kritisirten unklaren Ausspruch giebt sich eine Sehnsucht kund, die unzählige Gemüter erfüllt, die Sehnsucht »ach jener Erziehung aus einem Geist und aus einem Guß, wie sie vormals der Hellenenknabe genoß, und wie sie der Sohn des koranglüubigen Türken noch heute genießt. Leider muß diese Sehn¬ sucht ungestillt bleiben. Ehe die Jungen zu einer geschlossenen, einfachen, folgerichtigen Weltansicht erzogen werden können, müssen die Alten sich erst über eine solche einigen, und an Einigung ist gar nicht zu deuten. Selbst wenn es im Kulturkampf gelungen wäre, durch Ausrottung des Katholizismus die Lage zu vereinfachen, fo würden wir in Deutschland immer noch vier ver¬ schiedene Richtungen haben, die sich auf Tod und Leben bekämpfen: die ortho¬ dox-lutherische, die humanistisch-kosiuopolitische, die materialistische (in sehr vielen Schattirungen) und endlich jene kaut-hegelsche, welche die übrigen Kultur¬ elemente nur so weit gelten läßt, als sie sich in den Dienst des Staates stellen. Eine Schulreform, die Erziehung aus einem Guß gewährte, würde erst dann möglich sein, wenn eine dieser Richtungen alle übrigen unterdrückt hätte, oder wenn sie allesamt in einer neuen, höhern Richtung aufgegangen wären. Ein andrer Ausspruch, der sich wunderhübsch liest und anhört, lautet: „Nicht unter den Trümmern der Akropolis, auch nicht Jerusalems, liegen die ausschließlichen Fundstätten des Idealen; überall in Natur und Menschenherzen liegt das Ideale, freilich auch erst in der Tiefe, und es verlangt hier wie dort feinen — Schliemann." Da bin ich zuvörderst so unbescheiden, zu behaupten, daß in den Trümmern der Akropolis und Jerusalems uoch kein Mensch nach Idealen gegraben hat, anch Schliemann nicht. Was Schliemann, wenn auch nicht gerade an den hier genannten Orten, gesucht hat, das war die Bestätigung gewisser Angaben Homers. Sollen aber die Trümmer der Akropolis und Jerusalems als Symbole des Hellenen- und Judentums verstanden werden — das Wort „Trümmer" würde in diesem Falle andeuten, daß beide Mächte als tot und abgethan auzusehen seien —, dann muß die Reihe fortgesetzt werden, etwa folgendermaßen: nicht im Vatikan, nicht in der Schloßkirche zu Wittenberg, nicht im Goethehause zu Weimar, nicht in der Ruhmeshalle und in der Uni¬ versität unsrer Reichshauptstadt, sondern in der Natur und im Menschenherzen haben die Ideale ihre Heimstätte. Und das würde dann bedeuten: nicht jene gottbegnadeter Menschen und Völker, die ganzen Perioden der Weltgeschichte das Gepräge verleihen, nicht sie sind es, denen wir unsre Ideale verdanken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/468>, abgerufen am 29.06.2024.