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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Die Masern in Groß-Rüblingen

Der Gcmcindekrug zu Groß-Rüblingeu erfreute sich eines lebhafte" Zuspruches
von Gästen und Fliegen. Beide vertrugen sich gut mit einander, saßen ihre Zeit
thatlos auf Stühlen und Bänken und steckten ab und zu ihre Rüssel, "beziehent¬
lich" ihre Nasen ius Glas oder in einen Tropfen. Die Gäste waren meist Knechte,
die ihren schönen Lohn im Vorbeigehen an den Mann bringen wollten, ein paar
heruntergekommene Bauern, ein stets betrunkener Chausseekratzer und wer gerade
sonst die Landstraße zog und nicht borübergehen wollte. Heute war Zenker-Fritze,
einer von den Großbauern aus Klein-Rübliugen, zur ungewohnten Stunde, das
heißt bereits am Vormittage, eingetreten. Wenn wir ihn Großbauern nennen, so
thun wir das unter uns. Dort zu Lande will man nicht Bauer heißen, man
nennt sich "Oekonom" und ahmt die Tracht und das Benehmen des Gntsverwalters
nach. Also Zenker-Fritze hatte sich breit auf seinen Stuhl hingepflanzt, hatte sich
einen Cognak geben lassen und war eine Zeit laug in tiefem Sinnen sitzen ge¬
blieben. Jetzt stand er stöhnend auf und reckte die Glieder.

Na, wieder weiter reisen? rief der Wirt von seinem Bierschcmk aus.

Es hilft ja weiter nichts.

Ein Bischen zum Scheibenschießen in den roten Hahn?

Nein, Kinder suchen zum Nübenverziehen. Weißt du keine, Wilhelm? -- Der
Wirt stand sich nämlich mit der ganzen Gegend auf du und du.

Kinder? Kinder haben wir genug. Aber es ist Schule.

Na dann wird freigegeben.

Wenns nur wahr istl Versuchs, Fritze. Aber unser Pastor ist nicht so, der giebt
nicht gleich frei. Wenns noch der Kantor wäre, mit dem läßt sich reden. Oder
Wenns der Schulze wäre, der ist anch nicht so.

Nein, der ist nicht so, klang es aus dem Hintergründe, alles was recht ist,
aber unser Schulze ist nicht so.

M--it dem k--ann man Pf--erde in--ausen, lallte der Chausseekratzer. Das
war ein vermessenes Wort, das ein andrer sich nicht hätte erlauben dürfen, aber
dem betrunknen Kerl nahm man nichts mehr übel. Man lachte nur und sagte:
Du hälst dein Maul!

Es schien also geboten, zum Herrn Pastor zu gehen. Ein Bauer geht aber
nie den einfachen und geraden Weg, wenn es möglich ist, einen Umweg zu machen
oder eine Hinterthür zu suchen. Außerdem fühlte sich Zenker-Fritze durch die Stimme
seines Herzens zu dem hingezogen, mit dem mau Pferde mausen konnte. Er ging
also zum Schulze" und trug seine Sache vor. Der Schulze machte sein aller-
wichtigstes Gesicht, konnte aber nichts erlauben und schickte Zenker-Fritzen zum
Herrn Kantor. Der Herr Kantor machte alle Nebengesichtspunkte, Nebenvorteile




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Die Masern in Groß-Rüblingen

Der Gcmcindekrug zu Groß-Rüblingeu erfreute sich eines lebhafte» Zuspruches
von Gästen und Fliegen. Beide vertrugen sich gut mit einander, saßen ihre Zeit
thatlos auf Stühlen und Bänken und steckten ab und zu ihre Rüssel, „beziehent¬
lich" ihre Nasen ius Glas oder in einen Tropfen. Die Gäste waren meist Knechte,
die ihren schönen Lohn im Vorbeigehen an den Mann bringen wollten, ein paar
heruntergekommene Bauern, ein stets betrunkener Chausseekratzer und wer gerade
sonst die Landstraße zog und nicht borübergehen wollte. Heute war Zenker-Fritze,
einer von den Großbauern aus Klein-Rübliugen, zur ungewohnten Stunde, das
heißt bereits am Vormittage, eingetreten. Wenn wir ihn Großbauern nennen, so
thun wir das unter uns. Dort zu Lande will man nicht Bauer heißen, man
nennt sich „Oekonom" und ahmt die Tracht und das Benehmen des Gntsverwalters
nach. Also Zenker-Fritze hatte sich breit auf seinen Stuhl hingepflanzt, hatte sich
einen Cognak geben lassen und war eine Zeit laug in tiefem Sinnen sitzen ge¬
blieben. Jetzt stand er stöhnend auf und reckte die Glieder.

Na, wieder weiter reisen? rief der Wirt von seinem Bierschcmk aus.

Es hilft ja weiter nichts.

Ein Bischen zum Scheibenschießen in den roten Hahn?

Nein, Kinder suchen zum Nübenverziehen. Weißt du keine, Wilhelm? — Der
Wirt stand sich nämlich mit der ganzen Gegend auf du und du.

Kinder? Kinder haben wir genug. Aber es ist Schule.

Na dann wird freigegeben.

Wenns nur wahr istl Versuchs, Fritze. Aber unser Pastor ist nicht so, der giebt
nicht gleich frei. Wenns noch der Kantor wäre, mit dem läßt sich reden. Oder
Wenns der Schulze wäre, der ist anch nicht so.

Nein, der ist nicht so, klang es aus dem Hintergründe, alles was recht ist,
aber unser Schulze ist nicht so.

M—it dem k—ann man Pf—erde in—ausen, lallte der Chausseekratzer. Das
war ein vermessenes Wort, das ein andrer sich nicht hätte erlauben dürfen, aber
dem betrunknen Kerl nahm man nichts mehr übel. Man lachte nur und sagte:
Du hälst dein Maul!

Es schien also geboten, zum Herrn Pastor zu gehen. Ein Bauer geht aber
nie den einfachen und geraden Weg, wenn es möglich ist, einen Umweg zu machen
oder eine Hinterthür zu suchen. Außerdem fühlte sich Zenker-Fritze durch die Stimme
seines Herzens zu dem hingezogen, mit dem mau Pferde mausen konnte. Er ging
also zum Schulze» und trug seine Sache vor. Der Schulze machte sein aller-
wichtigstes Gesicht, konnte aber nichts erlauben und schickte Zenker-Fritzen zum
Herrn Kantor. Der Herr Kantor machte alle Nebengesichtspunkte, Nebenvorteile


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[0046] [Abbildung] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Die Masern in Groß-Rüblingen Der Gcmcindekrug zu Groß-Rüblingeu erfreute sich eines lebhafte» Zuspruches von Gästen und Fliegen. Beide vertrugen sich gut mit einander, saßen ihre Zeit thatlos auf Stühlen und Bänken und steckten ab und zu ihre Rüssel, „beziehent¬ lich" ihre Nasen ius Glas oder in einen Tropfen. Die Gäste waren meist Knechte, die ihren schönen Lohn im Vorbeigehen an den Mann bringen wollten, ein paar heruntergekommene Bauern, ein stets betrunkener Chausseekratzer und wer gerade sonst die Landstraße zog und nicht borübergehen wollte. Heute war Zenker-Fritze, einer von den Großbauern aus Klein-Rübliugen, zur ungewohnten Stunde, das heißt bereits am Vormittage, eingetreten. Wenn wir ihn Großbauern nennen, so thun wir das unter uns. Dort zu Lande will man nicht Bauer heißen, man nennt sich „Oekonom" und ahmt die Tracht und das Benehmen des Gntsverwalters nach. Also Zenker-Fritze hatte sich breit auf seinen Stuhl hingepflanzt, hatte sich einen Cognak geben lassen und war eine Zeit laug in tiefem Sinnen sitzen ge¬ blieben. Jetzt stand er stöhnend auf und reckte die Glieder. Na, wieder weiter reisen? rief der Wirt von seinem Bierschcmk aus. Es hilft ja weiter nichts. Ein Bischen zum Scheibenschießen in den roten Hahn? Nein, Kinder suchen zum Nübenverziehen. Weißt du keine, Wilhelm? — Der Wirt stand sich nämlich mit der ganzen Gegend auf du und du. Kinder? Kinder haben wir genug. Aber es ist Schule. Na dann wird freigegeben. Wenns nur wahr istl Versuchs, Fritze. Aber unser Pastor ist nicht so, der giebt nicht gleich frei. Wenns noch der Kantor wäre, mit dem läßt sich reden. Oder Wenns der Schulze wäre, der ist anch nicht so. Nein, der ist nicht so, klang es aus dem Hintergründe, alles was recht ist, aber unser Schulze ist nicht so. M—it dem k—ann man Pf—erde in—ausen, lallte der Chausseekratzer. Das war ein vermessenes Wort, das ein andrer sich nicht hätte erlauben dürfen, aber dem betrunknen Kerl nahm man nichts mehr übel. Man lachte nur und sagte: Du hälst dein Maul! Es schien also geboten, zum Herrn Pastor zu gehen. Ein Bauer geht aber nie den einfachen und geraden Weg, wenn es möglich ist, einen Umweg zu machen oder eine Hinterthür zu suchen. Außerdem fühlte sich Zenker-Fritze durch die Stimme seines Herzens zu dem hingezogen, mit dem mau Pferde mausen konnte. Er ging also zum Schulze» und trug seine Sache vor. Der Schulze machte sein aller- wichtigstes Gesicht, konnte aber nichts erlauben und schickte Zenker-Fritzen zum Herrn Kantor. Der Herr Kantor machte alle Nebengesichtspunkte, Nebenvorteile

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/46>, abgerufen am 28.09.2024.