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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Das pariser Regelschieben

republikanischen Periode des Landes durchschnittlich bisher beschieden waren.
Der erste Grund besteht darin, daß in Paris alle Parteien mehr oder
minder von dem Wunsche beherrscht werden, es möge während der großen
Ausstellung, die im Mai dieses Jahres eröffnet werden soll, und wo möglich
einige Monate vorher in der Politik Frieden oder doch ein Waffenstillstand statt¬
finden. Für eine große Anzahl der Bewohner der Stadt ist das eine Lebensfrage.
Namentlich sehnen sich alle Gasthofsbesitzer, alle Schenkwirte, alle Inhaber
von Vergnügungsanstalten und das gewaltige Heer der großen und kleinen
Kaufleute mit offnen Läden nach Ruhe. Es ist für sie unumgänglich nötig,
daß jenes großartige Unternehmen gelingt und Paris wie bei frühern Ge¬
legenheiten der Art wieder zu einem riesenhaften Stelldichein von Gästen aller
Nationen wird, die den Inhalt wohlgefüllter Geldtaschen und Checkbücher rasch
unter die Leute bringen. Diese Fremden würden natürlich ausbleiben, jeden¬
falls würden sie nur spärlich erscheinen, wenn sie einen zweiten Aufstand der
Sozialdemokraten, eine zweite Kommune oder den dreisten Griff eines Generals
noch der obersten Gewalt zu befürchten hätten, der darauf brennt, die Staats¬
streiche des 18. Brumaire und des ^. Dezember zu wiederholen. Infolge dessen
ist es nicht unmöglich, daß die Deputirtenkammer, diesen Wunsch nach Frieden
wiederspiegelnd, sich herbeiläßt, das neue Ministerium bis auf weiteres zu
dulden und ihm erlaubt, bei den Festlichkeiten, die die Ausstellung zu begleite"
bestimmt sind, den Vorsitz zu führen. Ein zweiter Grund, der der solidere
von beiden ist, aber gerade deshalb hier weniger Einfluß ausüben dürfte als
der erstere, liegt darin, daß das neue Kabinett die Vereinigung aller politischen
Elemente Frankreichs darstellt, die nicht royalistisch, nicht imperialistisch, nicht
boulangeristisch und uicht sozialistisch sind. Alle seine Mitglieder sind ent¬
schieden republikanisch gesinnt, und keiner der Herren läßt mich nur entfernt
daran zweifeln. Dies sollte der Kammer, deren große Mehrheit aus Republi¬
kaner" zusammengesetzt ist, genügen, aber unglücklicherweise sind die meisten
Menschen so geartet, daß geringfügige Meinungsverschiedenheiten sie in der
Regel mehr in Eifer versetzen, erhitzen und erbittern als der Gegensatz und
Widerstreit in Ansichten, Fragen und Sorgen ersten Ranges. Wir Deutsche
haben -- allerdings erst nach Jahren solcher Thorheit -- das Kartell der
reichstreuen Parteien gegen die reichsfeiudlichen Demokraten, Mtramvutanen
und Sozialisten zu Stande kommen und bis jetzt fortbestehe" scheu. Ju Frank¬
reich scheint ein solches Kompromiß der Republikaner bei Wahlen und im
Parlamente, das zur Erhaltung der bestehenden Stnatsform vortreffliche Dienste
leisten würde, schwerer erreichbar, ja kaum denkbar. Ein französischer Radi¬
kaler haßt einen Opportunisten glühend, obwohl dessen Partei der seineu so
viel zugestanden hat, daß es kaum noch etwas zuzugestehen giebt. Ferner hat
man mit Portefeuilles hier so verschwenderisch um sich geworfen, daß so ziemlich
jedermann eines zu erwarten berechtigt erscheint, was den persönlichen Ehrgeiz


Das pariser Regelschieben

republikanischen Periode des Landes durchschnittlich bisher beschieden waren.
Der erste Grund besteht darin, daß in Paris alle Parteien mehr oder
minder von dem Wunsche beherrscht werden, es möge während der großen
Ausstellung, die im Mai dieses Jahres eröffnet werden soll, und wo möglich
einige Monate vorher in der Politik Frieden oder doch ein Waffenstillstand statt¬
finden. Für eine große Anzahl der Bewohner der Stadt ist das eine Lebensfrage.
Namentlich sehnen sich alle Gasthofsbesitzer, alle Schenkwirte, alle Inhaber
von Vergnügungsanstalten und das gewaltige Heer der großen und kleinen
Kaufleute mit offnen Läden nach Ruhe. Es ist für sie unumgänglich nötig,
daß jenes großartige Unternehmen gelingt und Paris wie bei frühern Ge¬
legenheiten der Art wieder zu einem riesenhaften Stelldichein von Gästen aller
Nationen wird, die den Inhalt wohlgefüllter Geldtaschen und Checkbücher rasch
unter die Leute bringen. Diese Fremden würden natürlich ausbleiben, jeden¬
falls würden sie nur spärlich erscheinen, wenn sie einen zweiten Aufstand der
Sozialdemokraten, eine zweite Kommune oder den dreisten Griff eines Generals
noch der obersten Gewalt zu befürchten hätten, der darauf brennt, die Staats¬
streiche des 18. Brumaire und des ^. Dezember zu wiederholen. Infolge dessen
ist es nicht unmöglich, daß die Deputirtenkammer, diesen Wunsch nach Frieden
wiederspiegelnd, sich herbeiläßt, das neue Ministerium bis auf weiteres zu
dulden und ihm erlaubt, bei den Festlichkeiten, die die Ausstellung zu begleite»
bestimmt sind, den Vorsitz zu führen. Ein zweiter Grund, der der solidere
von beiden ist, aber gerade deshalb hier weniger Einfluß ausüben dürfte als
der erstere, liegt darin, daß das neue Kabinett die Vereinigung aller politischen
Elemente Frankreichs darstellt, die nicht royalistisch, nicht imperialistisch, nicht
boulangeristisch und uicht sozialistisch sind. Alle seine Mitglieder sind ent¬
schieden republikanisch gesinnt, und keiner der Herren läßt mich nur entfernt
daran zweifeln. Dies sollte der Kammer, deren große Mehrheit aus Republi¬
kaner» zusammengesetzt ist, genügen, aber unglücklicherweise sind die meisten
Menschen so geartet, daß geringfügige Meinungsverschiedenheiten sie in der
Regel mehr in Eifer versetzen, erhitzen und erbittern als der Gegensatz und
Widerstreit in Ansichten, Fragen und Sorgen ersten Ranges. Wir Deutsche
haben — allerdings erst nach Jahren solcher Thorheit — das Kartell der
reichstreuen Parteien gegen die reichsfeiudlichen Demokraten, Mtramvutanen
und Sozialisten zu Stande kommen und bis jetzt fortbestehe» scheu. Ju Frank¬
reich scheint ein solches Kompromiß der Republikaner bei Wahlen und im
Parlamente, das zur Erhaltung der bestehenden Stnatsform vortreffliche Dienste
leisten würde, schwerer erreichbar, ja kaum denkbar. Ein französischer Radi¬
kaler haßt einen Opportunisten glühend, obwohl dessen Partei der seineu so
viel zugestanden hat, daß es kaum noch etwas zuzugestehen giebt. Ferner hat
man mit Portefeuilles hier so verschwenderisch um sich geworfen, daß so ziemlich
jedermann eines zu erwarten berechtigt erscheint, was den persönlichen Ehrgeiz


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[0452] Das pariser Regelschieben republikanischen Periode des Landes durchschnittlich bisher beschieden waren. Der erste Grund besteht darin, daß in Paris alle Parteien mehr oder minder von dem Wunsche beherrscht werden, es möge während der großen Ausstellung, die im Mai dieses Jahres eröffnet werden soll, und wo möglich einige Monate vorher in der Politik Frieden oder doch ein Waffenstillstand statt¬ finden. Für eine große Anzahl der Bewohner der Stadt ist das eine Lebensfrage. Namentlich sehnen sich alle Gasthofsbesitzer, alle Schenkwirte, alle Inhaber von Vergnügungsanstalten und das gewaltige Heer der großen und kleinen Kaufleute mit offnen Läden nach Ruhe. Es ist für sie unumgänglich nötig, daß jenes großartige Unternehmen gelingt und Paris wie bei frühern Ge¬ legenheiten der Art wieder zu einem riesenhaften Stelldichein von Gästen aller Nationen wird, die den Inhalt wohlgefüllter Geldtaschen und Checkbücher rasch unter die Leute bringen. Diese Fremden würden natürlich ausbleiben, jeden¬ falls würden sie nur spärlich erscheinen, wenn sie einen zweiten Aufstand der Sozialdemokraten, eine zweite Kommune oder den dreisten Griff eines Generals noch der obersten Gewalt zu befürchten hätten, der darauf brennt, die Staats¬ streiche des 18. Brumaire und des ^. Dezember zu wiederholen. Infolge dessen ist es nicht unmöglich, daß die Deputirtenkammer, diesen Wunsch nach Frieden wiederspiegelnd, sich herbeiläßt, das neue Ministerium bis auf weiteres zu dulden und ihm erlaubt, bei den Festlichkeiten, die die Ausstellung zu begleite» bestimmt sind, den Vorsitz zu führen. Ein zweiter Grund, der der solidere von beiden ist, aber gerade deshalb hier weniger Einfluß ausüben dürfte als der erstere, liegt darin, daß das neue Kabinett die Vereinigung aller politischen Elemente Frankreichs darstellt, die nicht royalistisch, nicht imperialistisch, nicht boulangeristisch und uicht sozialistisch sind. Alle seine Mitglieder sind ent¬ schieden republikanisch gesinnt, und keiner der Herren läßt mich nur entfernt daran zweifeln. Dies sollte der Kammer, deren große Mehrheit aus Republi¬ kaner» zusammengesetzt ist, genügen, aber unglücklicherweise sind die meisten Menschen so geartet, daß geringfügige Meinungsverschiedenheiten sie in der Regel mehr in Eifer versetzen, erhitzen und erbittern als der Gegensatz und Widerstreit in Ansichten, Fragen und Sorgen ersten Ranges. Wir Deutsche haben — allerdings erst nach Jahren solcher Thorheit — das Kartell der reichstreuen Parteien gegen die reichsfeiudlichen Demokraten, Mtramvutanen und Sozialisten zu Stande kommen und bis jetzt fortbestehe» scheu. Ju Frank¬ reich scheint ein solches Kompromiß der Republikaner bei Wahlen und im Parlamente, das zur Erhaltung der bestehenden Stnatsform vortreffliche Dienste leisten würde, schwerer erreichbar, ja kaum denkbar. Ein französischer Radi¬ kaler haßt einen Opportunisten glühend, obwohl dessen Partei der seineu so viel zugestanden hat, daß es kaum noch etwas zuzugestehen giebt. Ferner hat man mit Portefeuilles hier so verschwenderisch um sich geworfen, daß so ziemlich jedermann eines zu erwarten berechtigt erscheint, was den persönlichen Ehrgeiz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/452>, abgerufen am 28.09.2024.