Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Harte Köpfe

Niederlage. Darrenbach streckte totenblaß die Hand nach dem Schreiben ans,
warf einen Blick auf das Wasserzeichen und knickte völlig zusammen. Mir war
es recht, ich konnte ihn um so ruhiger untersuchen. Ich schob den Brief in
seine Brusttasche zurück -- ich sah rundliche, verwischte Flecken, offenbarThränen-
spnren auf Venarius' Zeilen streifte dem Verwundeten die Kleider ab und
besichtigte die Verletzung. Die Kugel war in das rechte Schultergelenk gedrungen
und hatte die Nerven der Achsel beschädigt, wahrscheinlich mittelbar durch einen
Knochensplitter; so erklärte ich mir die unwillkürliche Zuckung, die das ver¬
frühte Abdrücken der Pistole verursacht hatte. Als ich eben den Notverband
anlegen wollte, hörte ich die hinter mir stehenden Herren ausweichen, und eine
Hand legte sich ans meine Schulter. Es war Vennrius. Er besah den Patienten
mit demselben Blick, den er auf irgend einen andern Kranken geworfen haben
würde, und sagte: Ziemlich schlechter Schuß, die Kugel sitzt drei Zoll höher,
als ich gezielt hatte; das wird eine böse Wunde werden. Trotzdem muß ich
Sie bitten, Kollege, den Patienten jetzt nicht nach Aachen überzuführen, sondern
eine Stunde mehr dnranzuwagen und ihn sofort nach Köln zu bringen. Es
liegt augenblicklich viel mehr daran, daß die Frau geschont wird, als an diesem
.... Othello. Sie darf mir nicht begegnen, und Sie wissen, daß ich meiner
Kranken wegen die Stadt jetzt nicht verlassen kann. Wenn die Frau nach
Aachen kommt, wäre er vielleicht sogar im Stande, neue Szenen zu veranlassen,
denn bei solchen Leuten gibt es keine Grenze der blödsinnigen Unterstellungen.
Sie müssen sich beeilen, wenn sie den Zug erreichen wollen.

Er hatte Recht; wir brachten den Verwundeten, der sich von seiner
Betäubung nur halb erholte, in den Wagen, und kurz nach Mittag hatte ich
ihn in Köln, wo ich ihn mit guter Empfehlung den dortigen Kollegen überließ.
Beim Kugelsuchen brach plötzlich ein Blutstrom hervor -- wir mögen wohl
alle dasselbe bedenkliche Gesicht dazu gemacht haben, und die letzten Worte,
die ich mit auf den Weg nahm, kamen entmutigend aus dem Munde des Ober¬
arztes: Sehr böse Sache das, die Axillnrarterie scheint angestreift oder von
einem Splitter angebohrt zu sein. Doch ich wußte, daß mein Verbleiben
ihm nichts nutzen konnte, und meine eignen Kranken warteten; also fuhr
ich zurück.

Zu Hause fand ich ein kurzes Briefchen von Venarius vor: Lieber Kollege,
ich möchte Sie und besonders Ihre Frau heute Abend ungestört sprechen;
können Sie um nenn Uhr zu Hause sein? Ich antwortete mit Ja und ging
meinen Geschäften nach.

Am Abend kam er, und ich teilte ihm zunächst mit, was sich in Köln
begeben hatte. Sem finsteres Gesicht wurde noch finsterer, doch zeigte es keim'
Spur von Erschrecken. Ja, sagte er, dann ist die Gefahr allerdings groß, ^n
dem Manne würde mir nichts liegen; das Bewußtsein, möglicherweise den Tod
eines Menschen mitveranlaßt zu haben, ist niemals angenehm, aber in diesem


Harte Köpfe

Niederlage. Darrenbach streckte totenblaß die Hand nach dem Schreiben ans,
warf einen Blick auf das Wasserzeichen und knickte völlig zusammen. Mir war
es recht, ich konnte ihn um so ruhiger untersuchen. Ich schob den Brief in
seine Brusttasche zurück — ich sah rundliche, verwischte Flecken, offenbarThränen-
spnren auf Venarius' Zeilen streifte dem Verwundeten die Kleider ab und
besichtigte die Verletzung. Die Kugel war in das rechte Schultergelenk gedrungen
und hatte die Nerven der Achsel beschädigt, wahrscheinlich mittelbar durch einen
Knochensplitter; so erklärte ich mir die unwillkürliche Zuckung, die das ver¬
frühte Abdrücken der Pistole verursacht hatte. Als ich eben den Notverband
anlegen wollte, hörte ich die hinter mir stehenden Herren ausweichen, und eine
Hand legte sich ans meine Schulter. Es war Vennrius. Er besah den Patienten
mit demselben Blick, den er auf irgend einen andern Kranken geworfen haben
würde, und sagte: Ziemlich schlechter Schuß, die Kugel sitzt drei Zoll höher,
als ich gezielt hatte; das wird eine böse Wunde werden. Trotzdem muß ich
Sie bitten, Kollege, den Patienten jetzt nicht nach Aachen überzuführen, sondern
eine Stunde mehr dnranzuwagen und ihn sofort nach Köln zu bringen. Es
liegt augenblicklich viel mehr daran, daß die Frau geschont wird, als an diesem
.... Othello. Sie darf mir nicht begegnen, und Sie wissen, daß ich meiner
Kranken wegen die Stadt jetzt nicht verlassen kann. Wenn die Frau nach
Aachen kommt, wäre er vielleicht sogar im Stande, neue Szenen zu veranlassen,
denn bei solchen Leuten gibt es keine Grenze der blödsinnigen Unterstellungen.
Sie müssen sich beeilen, wenn sie den Zug erreichen wollen.

Er hatte Recht; wir brachten den Verwundeten, der sich von seiner
Betäubung nur halb erholte, in den Wagen, und kurz nach Mittag hatte ich
ihn in Köln, wo ich ihn mit guter Empfehlung den dortigen Kollegen überließ.
Beim Kugelsuchen brach plötzlich ein Blutstrom hervor — wir mögen wohl
alle dasselbe bedenkliche Gesicht dazu gemacht haben, und die letzten Worte,
die ich mit auf den Weg nahm, kamen entmutigend aus dem Munde des Ober¬
arztes: Sehr böse Sache das, die Axillnrarterie scheint angestreift oder von
einem Splitter angebohrt zu sein. Doch ich wußte, daß mein Verbleiben
ihm nichts nutzen konnte, und meine eignen Kranken warteten; also fuhr
ich zurück.

Zu Hause fand ich ein kurzes Briefchen von Venarius vor: Lieber Kollege,
ich möchte Sie und besonders Ihre Frau heute Abend ungestört sprechen;
können Sie um nenn Uhr zu Hause sein? Ich antwortete mit Ja und ging
meinen Geschäften nach.

Am Abend kam er, und ich teilte ihm zunächst mit, was sich in Köln
begeben hatte. Sem finsteres Gesicht wurde noch finsterer, doch zeigte es keim'
Spur von Erschrecken. Ja, sagte er, dann ist die Gefahr allerdings groß, ^n
dem Manne würde mir nichts liegen; das Bewußtsein, möglicherweise den Tod
eines Menschen mitveranlaßt zu haben, ist niemals angenehm, aber in diesem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204531"/>
            <fw type="header" place="top"> Harte Köpfe</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1456" prev="#ID_1455"> Niederlage. Darrenbach streckte totenblaß die Hand nach dem Schreiben ans,<lb/>
warf einen Blick auf das Wasserzeichen und knickte völlig zusammen. Mir war<lb/>
es recht, ich konnte ihn um so ruhiger untersuchen. Ich schob den Brief in<lb/>
seine Brusttasche zurück &#x2014; ich sah rundliche, verwischte Flecken, offenbarThränen-<lb/>
spnren auf Venarius' Zeilen streifte dem Verwundeten die Kleider ab und<lb/>
besichtigte die Verletzung. Die Kugel war in das rechte Schultergelenk gedrungen<lb/>
und hatte die Nerven der Achsel beschädigt, wahrscheinlich mittelbar durch einen<lb/>
Knochensplitter; so erklärte ich mir die unwillkürliche Zuckung, die das ver¬<lb/>
frühte Abdrücken der Pistole verursacht hatte. Als ich eben den Notverband<lb/>
anlegen wollte, hörte ich die hinter mir stehenden Herren ausweichen, und eine<lb/>
Hand legte sich ans meine Schulter. Es war Vennrius. Er besah den Patienten<lb/>
mit demselben Blick, den er auf irgend einen andern Kranken geworfen haben<lb/>
würde, und sagte: Ziemlich schlechter Schuß, die Kugel sitzt drei Zoll höher,<lb/>
als ich gezielt hatte; das wird eine böse Wunde werden. Trotzdem muß ich<lb/>
Sie bitten, Kollege, den Patienten jetzt nicht nach Aachen überzuführen, sondern<lb/>
eine Stunde mehr dnranzuwagen und ihn sofort nach Köln zu bringen. Es<lb/>
liegt augenblicklich viel mehr daran, daß die Frau geschont wird, als an diesem<lb/>
.... Othello. Sie darf mir nicht begegnen, und Sie wissen, daß ich meiner<lb/>
Kranken wegen die Stadt jetzt nicht verlassen kann. Wenn die Frau nach<lb/>
Aachen kommt, wäre er vielleicht sogar im Stande, neue Szenen zu veranlassen,<lb/>
denn bei solchen Leuten gibt es keine Grenze der blödsinnigen Unterstellungen.<lb/>
Sie müssen sich beeilen, wenn sie den Zug erreichen wollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1457"> Er hatte Recht; wir brachten den Verwundeten, der sich von seiner<lb/>
Betäubung nur halb erholte, in den Wagen, und kurz nach Mittag hatte ich<lb/>
ihn in Köln, wo ich ihn mit guter Empfehlung den dortigen Kollegen überließ.<lb/>
Beim Kugelsuchen brach plötzlich ein Blutstrom hervor &#x2014; wir mögen wohl<lb/>
alle dasselbe bedenkliche Gesicht dazu gemacht haben, und die letzten Worte,<lb/>
die ich mit auf den Weg nahm, kamen entmutigend aus dem Munde des Ober¬<lb/>
arztes: Sehr böse Sache das, die Axillnrarterie scheint angestreift oder von<lb/>
einem Splitter angebohrt zu sein. Doch ich wußte, daß mein Verbleiben<lb/>
ihm nichts nutzen konnte, und meine eignen Kranken warteten; also fuhr<lb/>
ich zurück.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1458"> Zu Hause fand ich ein kurzes Briefchen von Venarius vor: Lieber Kollege,<lb/>
ich möchte Sie und besonders Ihre Frau heute Abend ungestört sprechen;<lb/>
können Sie um nenn Uhr zu Hause sein? Ich antwortete mit Ja und ging<lb/>
meinen Geschäften nach.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1459" next="#ID_1460"> Am Abend kam er, und ich teilte ihm zunächst mit, was sich in Köln<lb/>
begeben hatte. Sem finsteres Gesicht wurde noch finsterer, doch zeigte es keim'<lb/>
Spur von Erschrecken. Ja, sagte er, dann ist die Gefahr allerdings groß, ^n<lb/>
dem Manne würde mir nichts liegen; das Bewußtsein, möglicherweise den Tod<lb/>
eines Menschen mitveranlaßt zu haben, ist niemals angenehm, aber in diesem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] Harte Köpfe Niederlage. Darrenbach streckte totenblaß die Hand nach dem Schreiben ans, warf einen Blick auf das Wasserzeichen und knickte völlig zusammen. Mir war es recht, ich konnte ihn um so ruhiger untersuchen. Ich schob den Brief in seine Brusttasche zurück — ich sah rundliche, verwischte Flecken, offenbarThränen- spnren auf Venarius' Zeilen streifte dem Verwundeten die Kleider ab und besichtigte die Verletzung. Die Kugel war in das rechte Schultergelenk gedrungen und hatte die Nerven der Achsel beschädigt, wahrscheinlich mittelbar durch einen Knochensplitter; so erklärte ich mir die unwillkürliche Zuckung, die das ver¬ frühte Abdrücken der Pistole verursacht hatte. Als ich eben den Notverband anlegen wollte, hörte ich die hinter mir stehenden Herren ausweichen, und eine Hand legte sich ans meine Schulter. Es war Vennrius. Er besah den Patienten mit demselben Blick, den er auf irgend einen andern Kranken geworfen haben würde, und sagte: Ziemlich schlechter Schuß, die Kugel sitzt drei Zoll höher, als ich gezielt hatte; das wird eine böse Wunde werden. Trotzdem muß ich Sie bitten, Kollege, den Patienten jetzt nicht nach Aachen überzuführen, sondern eine Stunde mehr dnranzuwagen und ihn sofort nach Köln zu bringen. Es liegt augenblicklich viel mehr daran, daß die Frau geschont wird, als an diesem .... Othello. Sie darf mir nicht begegnen, und Sie wissen, daß ich meiner Kranken wegen die Stadt jetzt nicht verlassen kann. Wenn die Frau nach Aachen kommt, wäre er vielleicht sogar im Stande, neue Szenen zu veranlassen, denn bei solchen Leuten gibt es keine Grenze der blödsinnigen Unterstellungen. Sie müssen sich beeilen, wenn sie den Zug erreichen wollen. Er hatte Recht; wir brachten den Verwundeten, der sich von seiner Betäubung nur halb erholte, in den Wagen, und kurz nach Mittag hatte ich ihn in Köln, wo ich ihn mit guter Empfehlung den dortigen Kollegen überließ. Beim Kugelsuchen brach plötzlich ein Blutstrom hervor — wir mögen wohl alle dasselbe bedenkliche Gesicht dazu gemacht haben, und die letzten Worte, die ich mit auf den Weg nahm, kamen entmutigend aus dem Munde des Ober¬ arztes: Sehr böse Sache das, die Axillnrarterie scheint angestreift oder von einem Splitter angebohrt zu sein. Doch ich wußte, daß mein Verbleiben ihm nichts nutzen konnte, und meine eignen Kranken warteten; also fuhr ich zurück. Zu Hause fand ich ein kurzes Briefchen von Venarius vor: Lieber Kollege, ich möchte Sie und besonders Ihre Frau heute Abend ungestört sprechen; können Sie um nenn Uhr zu Hause sein? Ich antwortete mit Ja und ging meinen Geschäften nach. Am Abend kam er, und ich teilte ihm zunächst mit, was sich in Köln begeben hatte. Sem finsteres Gesicht wurde noch finsterer, doch zeigte es keim' Spur von Erschrecken. Ja, sagte er, dann ist die Gefahr allerdings groß, ^n dem Manne würde mir nichts liegen; das Bewußtsein, möglicherweise den Tod eines Menschen mitveranlaßt zu haben, ist niemals angenehm, aber in diesem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/442>, abgerufen am 29.06.2024.