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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Ein populärer Minister

Blättern die preußischen und österreichischen Truppen in Schleswig als halbe
Kannibalen schildern.

Welche Nichtachtung er gelegentlich seiner Monarchin zeigte, mit welcher
Stirn er dem Parlament unwahre Darstellungen vorlegte oder die Ehrenwerten
an der Nase herumführte, wie er, wenn einmal das Gerüst unter ihm zusammen¬
gebrochen war, sich immer für ein Opfer des von ihm erfundenen "deutschen
Einflusses," der Intriguen der festländischen Reaktion u. drgl. ausgab -- das
ist wohl noch unvergessen.

Und trotz alledem war und blieb er populär bis an sein Lebensende, als
Staatsmann ohne Zweifel in höherm Grade populär als selbst Wellington.
Auffallenderweise findet Geffcken diese Popularität verdient, "weil die öffentliche
Meinung, die sich um äußere Fragen in ihren Einzelheiten wenig kümmert,
Englands Ehre und Machtstellung bei ihm in guten Händen wußte." "Glaubte"
wäre der zutreffendere Ausdruck. Es schmeichelte der öffentlichen Meinung,
wenn er mit Brutalität gegen andre Staaten auftrat, es schmeichelte ihr, daß
unter allen Himmelsstrichen er der Anwalt der Freiheit zu sein vorgab; hatte
eine Aktion ein klägliches Ende genommen, so ließ die öffentliche Meinung
sich Sand in die Augen streuen, ergötzte sich an tönenden Redewendungen, an
Witzen und Bosheiten und übersah den Kern der Sache. Störte doch der
Vortreffliche sie niemals in der Ueberzeugung von der eignen Vortrefflichkeit
und dem angeborenen Recht eines jeden Engländers, andern Befehle zu erteilen
und Grobheiten zu sagen.

Es ist sehr lehrreich, die Grundlagen der Popularität bei verschiedenen
Völkern zu untersuchen. Auch in diesen Beziehungen schleppen sich veraltete
Lehrmeinungen fort. Noch immer kann man hören, in Frankreich sei die
Lächerlichkeit tödlich, und die ministerielle Partei glaubte wirklich, mit der
blauen Brille und dem verstellten Hinken sei die Laufbahn Boulangers ab¬
gethan! Sie vergaß, daß auch über den abgerichteten Geier Louis Napoleons
einmal ganz Frankreich gelacht hatte.




Ein populärer Minister

Blättern die preußischen und österreichischen Truppen in Schleswig als halbe
Kannibalen schildern.

Welche Nichtachtung er gelegentlich seiner Monarchin zeigte, mit welcher
Stirn er dem Parlament unwahre Darstellungen vorlegte oder die Ehrenwerten
an der Nase herumführte, wie er, wenn einmal das Gerüst unter ihm zusammen¬
gebrochen war, sich immer für ein Opfer des von ihm erfundenen „deutschen
Einflusses," der Intriguen der festländischen Reaktion u. drgl. ausgab — das
ist wohl noch unvergessen.

Und trotz alledem war und blieb er populär bis an sein Lebensende, als
Staatsmann ohne Zweifel in höherm Grade populär als selbst Wellington.
Auffallenderweise findet Geffcken diese Popularität verdient, „weil die öffentliche
Meinung, die sich um äußere Fragen in ihren Einzelheiten wenig kümmert,
Englands Ehre und Machtstellung bei ihm in guten Händen wußte." „Glaubte"
wäre der zutreffendere Ausdruck. Es schmeichelte der öffentlichen Meinung,
wenn er mit Brutalität gegen andre Staaten auftrat, es schmeichelte ihr, daß
unter allen Himmelsstrichen er der Anwalt der Freiheit zu sein vorgab; hatte
eine Aktion ein klägliches Ende genommen, so ließ die öffentliche Meinung
sich Sand in die Augen streuen, ergötzte sich an tönenden Redewendungen, an
Witzen und Bosheiten und übersah den Kern der Sache. Störte doch der
Vortreffliche sie niemals in der Ueberzeugung von der eignen Vortrefflichkeit
und dem angeborenen Recht eines jeden Engländers, andern Befehle zu erteilen
und Grobheiten zu sagen.

Es ist sehr lehrreich, die Grundlagen der Popularität bei verschiedenen
Völkern zu untersuchen. Auch in diesen Beziehungen schleppen sich veraltete
Lehrmeinungen fort. Noch immer kann man hören, in Frankreich sei die
Lächerlichkeit tödlich, und die ministerielle Partei glaubte wirklich, mit der
blauen Brille und dem verstellten Hinken sei die Laufbahn Boulangers ab¬
gethan! Sie vergaß, daß auch über den abgerichteten Geier Louis Napoleons
einmal ganz Frankreich gelacht hatte.




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[0414] Ein populärer Minister Blättern die preußischen und österreichischen Truppen in Schleswig als halbe Kannibalen schildern. Welche Nichtachtung er gelegentlich seiner Monarchin zeigte, mit welcher Stirn er dem Parlament unwahre Darstellungen vorlegte oder die Ehrenwerten an der Nase herumführte, wie er, wenn einmal das Gerüst unter ihm zusammen¬ gebrochen war, sich immer für ein Opfer des von ihm erfundenen „deutschen Einflusses," der Intriguen der festländischen Reaktion u. drgl. ausgab — das ist wohl noch unvergessen. Und trotz alledem war und blieb er populär bis an sein Lebensende, als Staatsmann ohne Zweifel in höherm Grade populär als selbst Wellington. Auffallenderweise findet Geffcken diese Popularität verdient, „weil die öffentliche Meinung, die sich um äußere Fragen in ihren Einzelheiten wenig kümmert, Englands Ehre und Machtstellung bei ihm in guten Händen wußte." „Glaubte" wäre der zutreffendere Ausdruck. Es schmeichelte der öffentlichen Meinung, wenn er mit Brutalität gegen andre Staaten auftrat, es schmeichelte ihr, daß unter allen Himmelsstrichen er der Anwalt der Freiheit zu sein vorgab; hatte eine Aktion ein klägliches Ende genommen, so ließ die öffentliche Meinung sich Sand in die Augen streuen, ergötzte sich an tönenden Redewendungen, an Witzen und Bosheiten und übersah den Kern der Sache. Störte doch der Vortreffliche sie niemals in der Ueberzeugung von der eignen Vortrefflichkeit und dem angeborenen Recht eines jeden Engländers, andern Befehle zu erteilen und Grobheiten zu sagen. Es ist sehr lehrreich, die Grundlagen der Popularität bei verschiedenen Völkern zu untersuchen. Auch in diesen Beziehungen schleppen sich veraltete Lehrmeinungen fort. Noch immer kann man hören, in Frankreich sei die Lächerlichkeit tödlich, und die ministerielle Partei glaubte wirklich, mit der blauen Brille und dem verstellten Hinken sei die Laufbahn Boulangers ab¬ gethan! Sie vergaß, daß auch über den abgerichteten Geier Louis Napoleons einmal ganz Frankreich gelacht hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/414>, abgerufen am 29.06.2024.