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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

nur das als gut behalten, was vor dem Neuen Testament sich als gut bewährt.
Einfache Pflichterfüllung in dem Sinne, daß jeder seine Lektion lernt, daß er im
Familienleben seiue Dienste leistet und durch die Macht des Gebets auf das Ganze
wirkt, dies empfiehlt er vor allem; auch sonst ist ihm der Kreis aller bürgerlichen
Pflichten, Gehorsam gegen Gott und Liebe zu allen Menschen, teuer als Uebungs-
platz, aber das Heiligtum, "das Christentum selber soll intakt gehalten werden gegen¬
über allem Weltlichen," kein Hasten, Drängen, Machenwolleu geziemt sich für den
Christen, auch uicht zu den besten Zwecken.

Er und seine Freunde sind also nicht dadurch charakterisirbar, daß sie hier
und da, z. B- in Stadtmissionen, in Rsviv-us, in der Heilsarmee u. s> w. unge-
sunde und krankhafte Elemente entdeckt haben und nun Protestiren. Das thun
mich wir andern nicht selten, anch wir "Nichtbekehrte." Sie haben andre Prin¬
zipien, die ihnen eine radikale Stellung vorschreiben. Sie kennen das Alte und
das Neue Testament anders als wir andern, Sie haben darin für jetzt und immer
einen absoluten Gesetzcskodex, nicht unterscheidbar nach Zeiten, Verfassern und Wert,
sondern eine gleichmäßig inspirirte buchstäbliche Gottcsvffenbarnng, sie machen daher
alle kritische Forschung zu einem Luxus gefährlicher Art; sie weisen alle Geistliche",
die unbekchrt sind, wofür sie also doch Kennzeichen haben müssen, von der Kanzel
weg, wenn auch so, daß sie mit den noch Ringenden und Werdenden christliche
Geduld haben. Sie wissen, daß es eine unübersteigliche Kluft zwischen Christentum
und Welt giebt, und daß das Christentum immer bis zum tausendjährigen Reiche
eine kleine Herde bleibt. Konventikel geforderter Christen sind ihnen ein Lebens¬
bedürfnis, aber Vereinsbildungen, wonach mau andre Unterschiede z. B. in Jüng¬
lings- und Jungfrauenvereinen, Sonntagsschulen u. s. w. zu Gründe legt, sind schon
bedenklich weltmäßig.

Der "sorgenvolle" wird bei den Stillen im Lande, besonders bei denen, die
durch Erfolge, wie sie z. B. Herr Stöcker durch rührige unerschrockene Arbeit findet,
in Versuchung geraten sind, gutes wirken, sie zur Einfalt und Selbstprüfung zurück¬
führen. Damit ist seiue beschränkte und bescheidene schriftstellerische Hoffnung be¬
friedigt. Wir hoffen aber, daß auch noch andre, ja prinzipielle Gegner, seine
ernsten Worte beherzigen werden.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Margcirt in Leipzig
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nur das als gut behalten, was vor dem Neuen Testament sich als gut bewährt.
Einfache Pflichterfüllung in dem Sinne, daß jeder seine Lektion lernt, daß er im
Familienleben seiue Dienste leistet und durch die Macht des Gebets auf das Ganze
wirkt, dies empfiehlt er vor allem; auch sonst ist ihm der Kreis aller bürgerlichen
Pflichten, Gehorsam gegen Gott und Liebe zu allen Menschen, teuer als Uebungs-
platz, aber das Heiligtum, „das Christentum selber soll intakt gehalten werden gegen¬
über allem Weltlichen," kein Hasten, Drängen, Machenwolleu geziemt sich für den
Christen, auch uicht zu den besten Zwecken.

Er und seine Freunde sind also nicht dadurch charakterisirbar, daß sie hier
und da, z. B- in Stadtmissionen, in Rsviv-us, in der Heilsarmee u. s> w. unge-
sunde und krankhafte Elemente entdeckt haben und nun Protestiren. Das thun
mich wir andern nicht selten, anch wir „Nichtbekehrte." Sie haben andre Prin¬
zipien, die ihnen eine radikale Stellung vorschreiben. Sie kennen das Alte und
das Neue Testament anders als wir andern, Sie haben darin für jetzt und immer
einen absoluten Gesetzcskodex, nicht unterscheidbar nach Zeiten, Verfassern und Wert,
sondern eine gleichmäßig inspirirte buchstäbliche Gottcsvffenbarnng, sie machen daher
alle kritische Forschung zu einem Luxus gefährlicher Art; sie weisen alle Geistliche«,
die unbekchrt sind, wofür sie also doch Kennzeichen haben müssen, von der Kanzel
weg, wenn auch so, daß sie mit den noch Ringenden und Werdenden christliche
Geduld haben. Sie wissen, daß es eine unübersteigliche Kluft zwischen Christentum
und Welt giebt, und daß das Christentum immer bis zum tausendjährigen Reiche
eine kleine Herde bleibt. Konventikel geforderter Christen sind ihnen ein Lebens¬
bedürfnis, aber Vereinsbildungen, wonach mau andre Unterschiede z. B. in Jüng¬
lings- und Jungfrauenvereinen, Sonntagsschulen u. s. w. zu Gründe legt, sind schon
bedenklich weltmäßig.

Der „sorgenvolle" wird bei den Stillen im Lande, besonders bei denen, die
durch Erfolge, wie sie z. B. Herr Stöcker durch rührige unerschrockene Arbeit findet,
in Versuchung geraten sind, gutes wirken, sie zur Einfalt und Selbstprüfung zurück¬
führen. Damit ist seiue beschränkte und bescheidene schriftstellerische Hoffnung be¬
friedigt. Wir hoffen aber, daß auch noch andre, ja prinzipielle Gegner, seine
ernsten Worte beherzigen werden.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Margcirt in Leipzig
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[0400] Litteratur nur das als gut behalten, was vor dem Neuen Testament sich als gut bewährt. Einfache Pflichterfüllung in dem Sinne, daß jeder seine Lektion lernt, daß er im Familienleben seiue Dienste leistet und durch die Macht des Gebets auf das Ganze wirkt, dies empfiehlt er vor allem; auch sonst ist ihm der Kreis aller bürgerlichen Pflichten, Gehorsam gegen Gott und Liebe zu allen Menschen, teuer als Uebungs- platz, aber das Heiligtum, „das Christentum selber soll intakt gehalten werden gegen¬ über allem Weltlichen," kein Hasten, Drängen, Machenwolleu geziemt sich für den Christen, auch uicht zu den besten Zwecken. Er und seine Freunde sind also nicht dadurch charakterisirbar, daß sie hier und da, z. B- in Stadtmissionen, in Rsviv-us, in der Heilsarmee u. s> w. unge- sunde und krankhafte Elemente entdeckt haben und nun Protestiren. Das thun mich wir andern nicht selten, anch wir „Nichtbekehrte." Sie haben andre Prin¬ zipien, die ihnen eine radikale Stellung vorschreiben. Sie kennen das Alte und das Neue Testament anders als wir andern, Sie haben darin für jetzt und immer einen absoluten Gesetzcskodex, nicht unterscheidbar nach Zeiten, Verfassern und Wert, sondern eine gleichmäßig inspirirte buchstäbliche Gottcsvffenbarnng, sie machen daher alle kritische Forschung zu einem Luxus gefährlicher Art; sie weisen alle Geistliche«, die unbekchrt sind, wofür sie also doch Kennzeichen haben müssen, von der Kanzel weg, wenn auch so, daß sie mit den noch Ringenden und Werdenden christliche Geduld haben. Sie wissen, daß es eine unübersteigliche Kluft zwischen Christentum und Welt giebt, und daß das Christentum immer bis zum tausendjährigen Reiche eine kleine Herde bleibt. Konventikel geforderter Christen sind ihnen ein Lebens¬ bedürfnis, aber Vereinsbildungen, wonach mau andre Unterschiede z. B. in Jüng¬ lings- und Jungfrauenvereinen, Sonntagsschulen u. s. w. zu Gründe legt, sind schon bedenklich weltmäßig. Der „sorgenvolle" wird bei den Stillen im Lande, besonders bei denen, die durch Erfolge, wie sie z. B. Herr Stöcker durch rührige unerschrockene Arbeit findet, in Versuchung geraten sind, gutes wirken, sie zur Einfalt und Selbstprüfung zurück¬ führen. Damit ist seiue beschränkte und bescheidene schriftstellerische Hoffnung be¬ friedigt. Wir hoffen aber, daß auch noch andre, ja prinzipielle Gegner, seine ernsten Worte beherzigen werden. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Margcirt in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/400>, abgerufen am 26.06.2024.