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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Gemeinde Wien

Revolution bis in die Gegenwart. Hierauf schildert Max Wirth die "volks¬
wirtschaftliche Entwicklung," der städtische Archivar K. Weiß die "bauliche Neu¬
gestaltung der Stadt," Karl Glossy Organisation und Thätigkeit der Gemeinde.
Über das städtische Schulwesen berichtet E. Hanuak, über Wissenschaft und
Litteratur Robert Zimmermann, über die bildenden Künste Lützow, über das
Kunstgewerbe I. von Falke, über Musik Hnuslick, über das Theater L. Speidel.
Auch der Presse ist ein Kapitel gewidmet, von H. M. Richter geschrieben; eine
Schilderung des gesellschaftlichen Lebens aus der Feder Abts, des Redakteurs
der "Wiener Zeitung," schließt das aufs beste ausgestattete Werk.

Wir müssen es uns versagen, auf den ganzen Inhalt einzugehen. Nur
so viel sei bemerkt, daß alle Aufsätze reich an thatsächlichen Aufschlüssen, an
akteumäßigen Nachweisen und statistischen Daten sind. Die Darstellung des
volkswirtschaftlichen Lebeus und noch mehr die der Preßverhältnisse ist zu licht
gehalten: allerdings durften in einer Festschrift die starken Schattenseiten, die
diese Gebiete unstreitig haben, nicht allzusehr hervortreten, aber sie hätten doch
berührt werden müssen. Stilistisch sind die einzelnen Beiträge von sehr ver¬
schiedenen: Wert, der von Speidel steht obenan. In Zeißbergs und auch in
Glvsfys Beitrag tritt das Bestreben, schwungvoll zu sein, gar zu deutlich her¬
vor, namentlich die "historische Übersicht" ist von der modischen Sucht ge¬
suchter Bilder stark angekränkelt. Da ergießt sich ein "Laurentinsstrom von
Licht" über die Hauptstadt, da durchzieht die Finanz- und Handelskrisis gleich
der ?liM0xsr" vÄswtrix auch den übrigen Erdkreis, da wuchert "die edle
Palma reicher Legendenbildnng." Auffallend ist auch in unsrer sprachreinigen¬
den Zeit die Überfülle von Fremdwörtern, die sich gerade in diesen beiden Auf¬
sätzen findet, darunter manche ganz unerträgliche, so "flottant," das Glossy
sehr zu lieben scheint; er spricht öfter von "flottanten" Massen, von der
"flottanten" Bevölkerung.

Beschränken wir uns auf einen der vielen Abschnitte, auf den über die
Gemeinde. Die großen deutschen Städte haben ihre Verfassungen nicht nach
ein und derselben Schablone entwickelt, beinahe jede ist da ihren besondern,
eigentümlichen Weg gegangen, und wer die Gemeindegeschichte von Frankfurt
und Berlin kennt, wird in der von München oder Stuttgart immer noch neues
finden. So wird es auch nu dieser Stelle uicht ganz undankbar sein, über die
von Wien zu berichten. Glossy, seit Jahren in der Wiener Stadtbibliothek
als Beamter thätig, hat überall aus den besten Quellen schöpfen können.

Er geht, wie billig, über das Jahr 1848 zurück, um uns die allmähliche
Entwicklung der Wiener Kvmmunalverfassnng von ihren ersten Anfängen an,
die ins dreizehnte Jahrhundert fallen, vorzuführen.

Bis um 1221 wurde die Stadt von landesfürstlichen Beamten verwaltet.
Das Stadtrecht Herzog Leopolds, von diesem Jahr datirt, legte den Grund
zur Selbstverwaltung, in dem es 24 angesehene Bürger mit der Führung der


Die Gemeinde Wien

Revolution bis in die Gegenwart. Hierauf schildert Max Wirth die „volks¬
wirtschaftliche Entwicklung," der städtische Archivar K. Weiß die „bauliche Neu¬
gestaltung der Stadt," Karl Glossy Organisation und Thätigkeit der Gemeinde.
Über das städtische Schulwesen berichtet E. Hanuak, über Wissenschaft und
Litteratur Robert Zimmermann, über die bildenden Künste Lützow, über das
Kunstgewerbe I. von Falke, über Musik Hnuslick, über das Theater L. Speidel.
Auch der Presse ist ein Kapitel gewidmet, von H. M. Richter geschrieben; eine
Schilderung des gesellschaftlichen Lebens aus der Feder Abts, des Redakteurs
der „Wiener Zeitung," schließt das aufs beste ausgestattete Werk.

Wir müssen es uns versagen, auf den ganzen Inhalt einzugehen. Nur
so viel sei bemerkt, daß alle Aufsätze reich an thatsächlichen Aufschlüssen, an
akteumäßigen Nachweisen und statistischen Daten sind. Die Darstellung des
volkswirtschaftlichen Lebeus und noch mehr die der Preßverhältnisse ist zu licht
gehalten: allerdings durften in einer Festschrift die starken Schattenseiten, die
diese Gebiete unstreitig haben, nicht allzusehr hervortreten, aber sie hätten doch
berührt werden müssen. Stilistisch sind die einzelnen Beiträge von sehr ver¬
schiedenen: Wert, der von Speidel steht obenan. In Zeißbergs und auch in
Glvsfys Beitrag tritt das Bestreben, schwungvoll zu sein, gar zu deutlich her¬
vor, namentlich die „historische Übersicht" ist von der modischen Sucht ge¬
suchter Bilder stark angekränkelt. Da ergießt sich ein „Laurentinsstrom von
Licht" über die Hauptstadt, da durchzieht die Finanz- und Handelskrisis gleich
der ?liM0xsr» vÄswtrix auch den übrigen Erdkreis, da wuchert „die edle
Palma reicher Legendenbildnng." Auffallend ist auch in unsrer sprachreinigen¬
den Zeit die Überfülle von Fremdwörtern, die sich gerade in diesen beiden Auf¬
sätzen findet, darunter manche ganz unerträgliche, so „flottant," das Glossy
sehr zu lieben scheint; er spricht öfter von „flottanten" Massen, von der
„flottanten" Bevölkerung.

Beschränken wir uns auf einen der vielen Abschnitte, auf den über die
Gemeinde. Die großen deutschen Städte haben ihre Verfassungen nicht nach
ein und derselben Schablone entwickelt, beinahe jede ist da ihren besondern,
eigentümlichen Weg gegangen, und wer die Gemeindegeschichte von Frankfurt
und Berlin kennt, wird in der von München oder Stuttgart immer noch neues
finden. So wird es auch nu dieser Stelle uicht ganz undankbar sein, über die
von Wien zu berichten. Glossy, seit Jahren in der Wiener Stadtbibliothek
als Beamter thätig, hat überall aus den besten Quellen schöpfen können.

Er geht, wie billig, über das Jahr 1848 zurück, um uns die allmähliche
Entwicklung der Wiener Kvmmunalverfassnng von ihren ersten Anfängen an,
die ins dreizehnte Jahrhundert fallen, vorzuführen.

Bis um 1221 wurde die Stadt von landesfürstlichen Beamten verwaltet.
Das Stadtrecht Herzog Leopolds, von diesem Jahr datirt, legte den Grund
zur Selbstverwaltung, in dem es 24 angesehene Bürger mit der Führung der


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[0378] Die Gemeinde Wien Revolution bis in die Gegenwart. Hierauf schildert Max Wirth die „volks¬ wirtschaftliche Entwicklung," der städtische Archivar K. Weiß die „bauliche Neu¬ gestaltung der Stadt," Karl Glossy Organisation und Thätigkeit der Gemeinde. Über das städtische Schulwesen berichtet E. Hanuak, über Wissenschaft und Litteratur Robert Zimmermann, über die bildenden Künste Lützow, über das Kunstgewerbe I. von Falke, über Musik Hnuslick, über das Theater L. Speidel. Auch der Presse ist ein Kapitel gewidmet, von H. M. Richter geschrieben; eine Schilderung des gesellschaftlichen Lebens aus der Feder Abts, des Redakteurs der „Wiener Zeitung," schließt das aufs beste ausgestattete Werk. Wir müssen es uns versagen, auf den ganzen Inhalt einzugehen. Nur so viel sei bemerkt, daß alle Aufsätze reich an thatsächlichen Aufschlüssen, an akteumäßigen Nachweisen und statistischen Daten sind. Die Darstellung des volkswirtschaftlichen Lebeus und noch mehr die der Preßverhältnisse ist zu licht gehalten: allerdings durften in einer Festschrift die starken Schattenseiten, die diese Gebiete unstreitig haben, nicht allzusehr hervortreten, aber sie hätten doch berührt werden müssen. Stilistisch sind die einzelnen Beiträge von sehr ver¬ schiedenen: Wert, der von Speidel steht obenan. In Zeißbergs und auch in Glvsfys Beitrag tritt das Bestreben, schwungvoll zu sein, gar zu deutlich her¬ vor, namentlich die „historische Übersicht" ist von der modischen Sucht ge¬ suchter Bilder stark angekränkelt. Da ergießt sich ein „Laurentinsstrom von Licht" über die Hauptstadt, da durchzieht die Finanz- und Handelskrisis gleich der ?liM0xsr» vÄswtrix auch den übrigen Erdkreis, da wuchert „die edle Palma reicher Legendenbildnng." Auffallend ist auch in unsrer sprachreinigen¬ den Zeit die Überfülle von Fremdwörtern, die sich gerade in diesen beiden Auf¬ sätzen findet, darunter manche ganz unerträgliche, so „flottant," das Glossy sehr zu lieben scheint; er spricht öfter von „flottanten" Massen, von der „flottanten" Bevölkerung. Beschränken wir uns auf einen der vielen Abschnitte, auf den über die Gemeinde. Die großen deutschen Städte haben ihre Verfassungen nicht nach ein und derselben Schablone entwickelt, beinahe jede ist da ihren besondern, eigentümlichen Weg gegangen, und wer die Gemeindegeschichte von Frankfurt und Berlin kennt, wird in der von München oder Stuttgart immer noch neues finden. So wird es auch nu dieser Stelle uicht ganz undankbar sein, über die von Wien zu berichten. Glossy, seit Jahren in der Wiener Stadtbibliothek als Beamter thätig, hat überall aus den besten Quellen schöpfen können. Er geht, wie billig, über das Jahr 1848 zurück, um uns die allmähliche Entwicklung der Wiener Kvmmunalverfassnng von ihren ersten Anfängen an, die ins dreizehnte Jahrhundert fallen, vorzuführen. Bis um 1221 wurde die Stadt von landesfürstlichen Beamten verwaltet. Das Stadtrecht Herzog Leopolds, von diesem Jahr datirt, legte den Grund zur Selbstverwaltung, in dem es 24 angesehene Bürger mit der Führung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/378>, abgerufen am 26.06.2024.