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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Amserfrcige und Gesslers Tagelmchsb tuller

denken. Bevor wir aber an die eigentliche Aufgabe unsrer Betrachtung und
Erzählung gehen, eilt paar Worte über das Tagebuch, aus welchem Geffkeu
geschöpft hat, oder genauer über die verschiedenen Gestalten, die das Krieg¬
tagebuch des .Kronprinzen im Laufe der Jahre angenommen, und mit denen es
sich gewissermaßen zu drei oder vier veränderten und immer vermehrte" Auf¬
lagen ausgebildet hat, von denen die spätern nicht mehr als Tagebuch, wenigsteus
nicht mehr als Kriegstagebuch angesehen werden konnten. Ein Tagebuch nennen
wir eine Reihe täglicher Aufzeichnungen über unmittelbar vorher erlebtes und
erfahrenes, gesehenes oder gehörtes, ein Gedenkbuch, wie es etwa Touristen
führen, und so verhält sichs denn auch mit dem einen derjenigen, die der Kron¬
prinz verfaßte, und dem ursprünglichen. Es ist kurz und beschäftigt sich, wie
es der Krieg mit sich brachte, vorzüglich mit militärischem Thatsachen und Vor¬
kommnissen; gelegentlich begegnet man darin auch politischen Dingen, aber
keinen Betrachtungen, Urteilen, Vorsätzen und Prophezeiungen dieser Art. Die
andern Exemplare sind weit umfangreicher und offenbar erst nach dem Kriege
mit Zusätzen versehen, die der Verfasser nach Gesprächen einfügte, die er
mit Freunden oder solchen, die er dafür hielt, über politische Fragen gehabt
hatte; das eine Exemplar ist mehr, das andre weniger mit derartigen Inter¬
polationen abgeändert, jedes ein Tagebuch im Tagebuch. Auch englische Briefe
und ähnliche Einflüsse können den Stoff zu den Einschiebungen aus späterer Zeit
teilweise geliefert habe. Er war ein sehr wahrbeitsliebender Herr. Er konnte
über den Zeitpunkt der Interpolationen nicht täuschen wollen in einem Tage¬
buche, das zunächst ein Gedenkbuch für eignen Gebrauch sein sollte; er täuschte
sich über die Freunde, denen er seine ursprünglichen Aufzeichnungen zu lesen
gab, und die später auch die ersten interpolirten zu sehen bekamen. Diese
Herren waren Mißvergnügte, Streber und Intriganten, Leute, die sich zu
großen Dingen berufen fühlten, die es besser wußten und konnten als die
Regierung, die gern angeraten und angethan hätten, verkannte Talente, sitzen
geblieben und kalt gestellt, sagen wir kurz: politische Winkelkvnsuleuteu und
Pfuschdvktvren. Er zeigte ihnen das Tagebuch, und sie machten ihre Bemer¬
kungen dazu, die er dann eintrug. Sie hatten gefunden, daß es mit dieser
Zuthat eine für ihre Zwecke nützliche Unterlage für die Zukunft abgeben könne.
Vornehmlich hierauf sind die verschiedenen Umgestaltungen zurückzuführen.
Der hochselige Herr liebte das Ab- und Anschreiben. Und er hatte Zeit
dazu. Deal sein königlicher Vater hielt ihn seit dem Konflikte von 1863 voll
wichtigen politischen Geschäften fern, redete nicht nur selbst sehr selten mit ihm
von solchen Fragen, sondern gestattete in der Regel auch seinen Ministern nicht,
ihm davon Mitteilung zu machen. Jahrelang gab es mit geringen Unter¬
brechungen auf diesem Gebiete Meinungsverschiedenheiten und Kämpfe zwischeu
dem alten und dem jungen hohen Herrn, die bisweilen zu lebhaften Auftritten,
starken Ausbrüchen von Unmut auf Seiten des erst'ern führten. So auch in


Die Amserfrcige und Gesslers Tagelmchsb tuller

denken. Bevor wir aber an die eigentliche Aufgabe unsrer Betrachtung und
Erzählung gehen, eilt paar Worte über das Tagebuch, aus welchem Geffkeu
geschöpft hat, oder genauer über die verschiedenen Gestalten, die das Krieg¬
tagebuch des .Kronprinzen im Laufe der Jahre angenommen, und mit denen es
sich gewissermaßen zu drei oder vier veränderten und immer vermehrte» Auf¬
lagen ausgebildet hat, von denen die spätern nicht mehr als Tagebuch, wenigsteus
nicht mehr als Kriegstagebuch angesehen werden konnten. Ein Tagebuch nennen
wir eine Reihe täglicher Aufzeichnungen über unmittelbar vorher erlebtes und
erfahrenes, gesehenes oder gehörtes, ein Gedenkbuch, wie es etwa Touristen
führen, und so verhält sichs denn auch mit dem einen derjenigen, die der Kron¬
prinz verfaßte, und dem ursprünglichen. Es ist kurz und beschäftigt sich, wie
es der Krieg mit sich brachte, vorzüglich mit militärischem Thatsachen und Vor¬
kommnissen; gelegentlich begegnet man darin auch politischen Dingen, aber
keinen Betrachtungen, Urteilen, Vorsätzen und Prophezeiungen dieser Art. Die
andern Exemplare sind weit umfangreicher und offenbar erst nach dem Kriege
mit Zusätzen versehen, die der Verfasser nach Gesprächen einfügte, die er
mit Freunden oder solchen, die er dafür hielt, über politische Fragen gehabt
hatte; das eine Exemplar ist mehr, das andre weniger mit derartigen Inter¬
polationen abgeändert, jedes ein Tagebuch im Tagebuch. Auch englische Briefe
und ähnliche Einflüsse können den Stoff zu den Einschiebungen aus späterer Zeit
teilweise geliefert habe. Er war ein sehr wahrbeitsliebender Herr. Er konnte
über den Zeitpunkt der Interpolationen nicht täuschen wollen in einem Tage¬
buche, das zunächst ein Gedenkbuch für eignen Gebrauch sein sollte; er täuschte
sich über die Freunde, denen er seine ursprünglichen Aufzeichnungen zu lesen
gab, und die später auch die ersten interpolirten zu sehen bekamen. Diese
Herren waren Mißvergnügte, Streber und Intriganten, Leute, die sich zu
großen Dingen berufen fühlten, die es besser wußten und konnten als die
Regierung, die gern angeraten und angethan hätten, verkannte Talente, sitzen
geblieben und kalt gestellt, sagen wir kurz: politische Winkelkvnsuleuteu und
Pfuschdvktvren. Er zeigte ihnen das Tagebuch, und sie machten ihre Bemer¬
kungen dazu, die er dann eintrug. Sie hatten gefunden, daß es mit dieser
Zuthat eine für ihre Zwecke nützliche Unterlage für die Zukunft abgeben könne.
Vornehmlich hierauf sind die verschiedenen Umgestaltungen zurückzuführen.
Der hochselige Herr liebte das Ab- und Anschreiben. Und er hatte Zeit
dazu. Deal sein königlicher Vater hielt ihn seit dem Konflikte von 1863 voll
wichtigen politischen Geschäften fern, redete nicht nur selbst sehr selten mit ihm
von solchen Fragen, sondern gestattete in der Regel auch seinen Ministern nicht,
ihm davon Mitteilung zu machen. Jahrelang gab es mit geringen Unter¬
brechungen auf diesem Gebiete Meinungsverschiedenheiten und Kämpfe zwischeu
dem alten und dem jungen hohen Herrn, die bisweilen zu lebhaften Auftritten,
starken Ausbrüchen von Unmut auf Seiten des erst'ern führten. So auch in


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[0354] Die Amserfrcige und Gesslers Tagelmchsb tuller denken. Bevor wir aber an die eigentliche Aufgabe unsrer Betrachtung und Erzählung gehen, eilt paar Worte über das Tagebuch, aus welchem Geffkeu geschöpft hat, oder genauer über die verschiedenen Gestalten, die das Krieg¬ tagebuch des .Kronprinzen im Laufe der Jahre angenommen, und mit denen es sich gewissermaßen zu drei oder vier veränderten und immer vermehrte» Auf¬ lagen ausgebildet hat, von denen die spätern nicht mehr als Tagebuch, wenigsteus nicht mehr als Kriegstagebuch angesehen werden konnten. Ein Tagebuch nennen wir eine Reihe täglicher Aufzeichnungen über unmittelbar vorher erlebtes und erfahrenes, gesehenes oder gehörtes, ein Gedenkbuch, wie es etwa Touristen führen, und so verhält sichs denn auch mit dem einen derjenigen, die der Kron¬ prinz verfaßte, und dem ursprünglichen. Es ist kurz und beschäftigt sich, wie es der Krieg mit sich brachte, vorzüglich mit militärischem Thatsachen und Vor¬ kommnissen; gelegentlich begegnet man darin auch politischen Dingen, aber keinen Betrachtungen, Urteilen, Vorsätzen und Prophezeiungen dieser Art. Die andern Exemplare sind weit umfangreicher und offenbar erst nach dem Kriege mit Zusätzen versehen, die der Verfasser nach Gesprächen einfügte, die er mit Freunden oder solchen, die er dafür hielt, über politische Fragen gehabt hatte; das eine Exemplar ist mehr, das andre weniger mit derartigen Inter¬ polationen abgeändert, jedes ein Tagebuch im Tagebuch. Auch englische Briefe und ähnliche Einflüsse können den Stoff zu den Einschiebungen aus späterer Zeit teilweise geliefert habe. Er war ein sehr wahrbeitsliebender Herr. Er konnte über den Zeitpunkt der Interpolationen nicht täuschen wollen in einem Tage¬ buche, das zunächst ein Gedenkbuch für eignen Gebrauch sein sollte; er täuschte sich über die Freunde, denen er seine ursprünglichen Aufzeichnungen zu lesen gab, und die später auch die ersten interpolirten zu sehen bekamen. Diese Herren waren Mißvergnügte, Streber und Intriganten, Leute, die sich zu großen Dingen berufen fühlten, die es besser wußten und konnten als die Regierung, die gern angeraten und angethan hätten, verkannte Talente, sitzen geblieben und kalt gestellt, sagen wir kurz: politische Winkelkvnsuleuteu und Pfuschdvktvren. Er zeigte ihnen das Tagebuch, und sie machten ihre Bemer¬ kungen dazu, die er dann eintrug. Sie hatten gefunden, daß es mit dieser Zuthat eine für ihre Zwecke nützliche Unterlage für die Zukunft abgeben könne. Vornehmlich hierauf sind die verschiedenen Umgestaltungen zurückzuführen. Der hochselige Herr liebte das Ab- und Anschreiben. Und er hatte Zeit dazu. Deal sein königlicher Vater hielt ihn seit dem Konflikte von 1863 voll wichtigen politischen Geschäften fern, redete nicht nur selbst sehr selten mit ihm von solchen Fragen, sondern gestattete in der Regel auch seinen Ministern nicht, ihm davon Mitteilung zu machen. Jahrelang gab es mit geringen Unter¬ brechungen auf diesem Gebiete Meinungsverschiedenheiten und Kämpfe zwischeu dem alten und dem jungen hohen Herrn, die bisweilen zu lebhaften Auftritten, starken Ausbrüchen von Unmut auf Seiten des erst'ern führten. So auch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/354>, abgerufen am 26.06.2024.