Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wolf Baudisstn

Denn leider muß ich es mir ja versagen, hier von der Herzlichkeit seiner Beziehungen
zu Verwandten und Freunden, von der Einfachheit seiner Lebensweise, von
seinem patriarchalischen Verhältnis zu seinen Untergebene!? und von der That¬
sache zu erzählen, daß seiue Pächter ihren Pachtzins aus freien Stücken
erhöhten: so stimmte sich unter dem Einflüsse seiner Herzensgüte die ursprüng¬
liche Durchschuittsnatur der Menschen um.

War Baudissin einst ein Knabe von zarter Gesundheit gewesen, so bewährt
sich an ihm der alte Erfnhrungssatz, daß bei geregelter Lebensweise eine selbst-
gewähltc, freudig rastlose Thätigkeit die Körperkräfte steigert und das Leben
verlängert. Welche Strapazen er mit Leichtigkeit bestand, läßt sich schon aus
einigen seiner Dauerritte entnehmen, bei dem damaligen Zustande des Post-
Wesens freilich die herkömmliche Art des Reifens für junge Leute. Auf der
Rückkehr von einer seiner Pilgerschaften nach Weimar saß er neuntehalb Meilen
lang im Sattel, wobei man sich der schlechten Landstraßen jener Zeit erinnern
mag. Auf seiner Reise dnrch das nördliche Schweden stieg er eines Morgens
um 6 Uhr in den Bügel und kam erst um 1k Uhr nachts an sein Ziel. In
24 Tagen legte er auf dieser Reise 246 deutsche Meilen zurück, teils zu Pferde,
teils in den sogenannten Skjudswägelchen, die ja noch heute nur ausnahms¬
weise von Sprungfedern wissen; und im Herbst 1877 gestattete dem fast
neunzigjährigen seiue Rüstigkeit noch wie so manches liebe Mal von seiner schönen
Villa aus mit seiner Gattin das Wachwitzer Bergnest ohne Anstrengung zu
ersteigen. Die Jurisprudenz freilich war ihm nicht freudig selbstgewählte Thätig¬
keit gewesen -- vermutlich machte ihn deshalb die philosophische, nicht die
juristische Fakultät in Kiel zum Ehrendoktor --, und auch die diplomatische
Laufbahn hatte er nur seinem Vater zu Gefallen betreten. "Kann ich," so
schrieb er aus Stockholm an seine Schwester, "wie es einem rechten Legations¬
rat gebührt, halbe Tage auf Kaffeehäusern und Sozietäten liegen, um Neuig¬
keiten auszuforschen?" Und er sagt, sein Gewissen sei beschwert, denn er
liege keineswegs pflichtgemäß auf Kaffeehäusern und Sozietäten, verbringe
hingegen täglich 5--3 Stunden mit Griechisch- und Spanisch-Lesen, Klavier¬
spielen und Zeichnen, wobei seine Haupttendenz auf Italien gerichtet sei, auf
das man sich mindestens drei Jahre lang vorbereiten müsse. Sein Wnhlspruch
war: "Kenne dich selbst, und wisse, wozu du auf Erden bist!" Er wußte,
daß er nicht auf Erden war, um Depeschen für den König von Dünemark zu
schreiben, und noch viel weniger, um in der vornehmen Welt seine.Kräfte ab¬
zuarbeiten. "Nein", ruft er aus, "ich will in die große Welt der alten Helden,
Dichter und frommen Seher, frei von allem äußern Zwang, und mit wenigen
rechten Freunden." Wir wissen, daß er sich bald genug vom Staatsdienste
freizumachen verstand. Als er sich noch mit diesem Plane trug, mag seine
Schwester besorgt die Frage aufgeworfen haben: "Aber was dann?" Seine
Antwort lautet, sie müsse nicht an ihm irre werden. Ob er dereinst selbst-


Wolf Baudisstn

Denn leider muß ich es mir ja versagen, hier von der Herzlichkeit seiner Beziehungen
zu Verwandten und Freunden, von der Einfachheit seiner Lebensweise, von
seinem patriarchalischen Verhältnis zu seinen Untergebene!? und von der That¬
sache zu erzählen, daß seiue Pächter ihren Pachtzins aus freien Stücken
erhöhten: so stimmte sich unter dem Einflüsse seiner Herzensgüte die ursprüng¬
liche Durchschuittsnatur der Menschen um.

War Baudissin einst ein Knabe von zarter Gesundheit gewesen, so bewährt
sich an ihm der alte Erfnhrungssatz, daß bei geregelter Lebensweise eine selbst-
gewähltc, freudig rastlose Thätigkeit die Körperkräfte steigert und das Leben
verlängert. Welche Strapazen er mit Leichtigkeit bestand, läßt sich schon aus
einigen seiner Dauerritte entnehmen, bei dem damaligen Zustande des Post-
Wesens freilich die herkömmliche Art des Reifens für junge Leute. Auf der
Rückkehr von einer seiner Pilgerschaften nach Weimar saß er neuntehalb Meilen
lang im Sattel, wobei man sich der schlechten Landstraßen jener Zeit erinnern
mag. Auf seiner Reise dnrch das nördliche Schweden stieg er eines Morgens
um 6 Uhr in den Bügel und kam erst um 1k Uhr nachts an sein Ziel. In
24 Tagen legte er auf dieser Reise 246 deutsche Meilen zurück, teils zu Pferde,
teils in den sogenannten Skjudswägelchen, die ja noch heute nur ausnahms¬
weise von Sprungfedern wissen; und im Herbst 1877 gestattete dem fast
neunzigjährigen seiue Rüstigkeit noch wie so manches liebe Mal von seiner schönen
Villa aus mit seiner Gattin das Wachwitzer Bergnest ohne Anstrengung zu
ersteigen. Die Jurisprudenz freilich war ihm nicht freudig selbstgewählte Thätig¬
keit gewesen — vermutlich machte ihn deshalb die philosophische, nicht die
juristische Fakultät in Kiel zum Ehrendoktor —, und auch die diplomatische
Laufbahn hatte er nur seinem Vater zu Gefallen betreten. „Kann ich," so
schrieb er aus Stockholm an seine Schwester, „wie es einem rechten Legations¬
rat gebührt, halbe Tage auf Kaffeehäusern und Sozietäten liegen, um Neuig¬
keiten auszuforschen?" Und er sagt, sein Gewissen sei beschwert, denn er
liege keineswegs pflichtgemäß auf Kaffeehäusern und Sozietäten, verbringe
hingegen täglich 5—3 Stunden mit Griechisch- und Spanisch-Lesen, Klavier¬
spielen und Zeichnen, wobei seine Haupttendenz auf Italien gerichtet sei, auf
das man sich mindestens drei Jahre lang vorbereiten müsse. Sein Wnhlspruch
war: „Kenne dich selbst, und wisse, wozu du auf Erden bist!" Er wußte,
daß er nicht auf Erden war, um Depeschen für den König von Dünemark zu
schreiben, und noch viel weniger, um in der vornehmen Welt seine.Kräfte ab¬
zuarbeiten. „Nein", ruft er aus, „ich will in die große Welt der alten Helden,
Dichter und frommen Seher, frei von allem äußern Zwang, und mit wenigen
rechten Freunden." Wir wissen, daß er sich bald genug vom Staatsdienste
freizumachen verstand. Als er sich noch mit diesem Plane trug, mag seine
Schwester besorgt die Frage aufgeworfen haben: „Aber was dann?" Seine
Antwort lautet, sie müsse nicht an ihm irre werden. Ob er dereinst selbst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204427"/>
          <fw type="header" place="top"> Wolf Baudisstn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1081" prev="#ID_1080"> Denn leider muß ich es mir ja versagen, hier von der Herzlichkeit seiner Beziehungen<lb/>
zu Verwandten und Freunden, von der Einfachheit seiner Lebensweise, von<lb/>
seinem patriarchalischen Verhältnis zu seinen Untergebene!? und von der That¬<lb/>
sache zu erzählen, daß seiue Pächter ihren Pachtzins aus freien Stücken<lb/>
erhöhten: so stimmte sich unter dem Einflüsse seiner Herzensgüte die ursprüng¬<lb/>
liche Durchschuittsnatur der Menschen um.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1082" next="#ID_1083"> War Baudissin einst ein Knabe von zarter Gesundheit gewesen, so bewährt<lb/>
sich an ihm der alte Erfnhrungssatz, daß bei geregelter Lebensweise eine selbst-<lb/>
gewähltc, freudig rastlose Thätigkeit die Körperkräfte steigert und das Leben<lb/>
verlängert. Welche Strapazen er mit Leichtigkeit bestand, läßt sich schon aus<lb/>
einigen seiner Dauerritte entnehmen, bei dem damaligen Zustande des Post-<lb/>
Wesens freilich die herkömmliche Art des Reifens für junge Leute. Auf der<lb/>
Rückkehr von einer seiner Pilgerschaften nach Weimar saß er neuntehalb Meilen<lb/>
lang im Sattel, wobei man sich der schlechten Landstraßen jener Zeit erinnern<lb/>
mag. Auf seiner Reise dnrch das nördliche Schweden stieg er eines Morgens<lb/>
um 6 Uhr in den Bügel und kam erst um 1k Uhr nachts an sein Ziel. In<lb/>
24 Tagen legte er auf dieser Reise 246 deutsche Meilen zurück, teils zu Pferde,<lb/>
teils in den sogenannten Skjudswägelchen, die ja noch heute nur ausnahms¬<lb/>
weise von Sprungfedern wissen; und im Herbst 1877 gestattete dem fast<lb/>
neunzigjährigen seiue Rüstigkeit noch wie so manches liebe Mal von seiner schönen<lb/>
Villa aus mit seiner Gattin das Wachwitzer Bergnest ohne Anstrengung zu<lb/>
ersteigen. Die Jurisprudenz freilich war ihm nicht freudig selbstgewählte Thätig¬<lb/>
keit gewesen &#x2014; vermutlich machte ihn deshalb die philosophische, nicht die<lb/>
juristische Fakultät in Kiel zum Ehrendoktor &#x2014;, und auch die diplomatische<lb/>
Laufbahn hatte er nur seinem Vater zu Gefallen betreten. &#x201E;Kann ich," so<lb/>
schrieb er aus Stockholm an seine Schwester, &#x201E;wie es einem rechten Legations¬<lb/>
rat gebührt, halbe Tage auf Kaffeehäusern und Sozietäten liegen, um Neuig¬<lb/>
keiten auszuforschen?" Und er sagt, sein Gewissen sei beschwert, denn er<lb/>
liege keineswegs pflichtgemäß auf Kaffeehäusern und Sozietäten, verbringe<lb/>
hingegen täglich 5&#x2014;3 Stunden mit Griechisch- und Spanisch-Lesen, Klavier¬<lb/>
spielen und Zeichnen, wobei seine Haupttendenz auf Italien gerichtet sei, auf<lb/>
das man sich mindestens drei Jahre lang vorbereiten müsse. Sein Wnhlspruch<lb/>
war: &#x201E;Kenne dich selbst, und wisse, wozu du auf Erden bist!" Er wußte,<lb/>
daß er nicht auf Erden war, um Depeschen für den König von Dünemark zu<lb/>
schreiben, und noch viel weniger, um in der vornehmen Welt seine.Kräfte ab¬<lb/>
zuarbeiten. &#x201E;Nein", ruft er aus, &#x201E;ich will in die große Welt der alten Helden,<lb/>
Dichter und frommen Seher, frei von allem äußern Zwang, und mit wenigen<lb/>
rechten Freunden." Wir wissen, daß er sich bald genug vom Staatsdienste<lb/>
freizumachen verstand. Als er sich noch mit diesem Plane trug, mag seine<lb/>
Schwester besorgt die Frage aufgeworfen haben: &#x201E;Aber was dann?" Seine<lb/>
Antwort lautet, sie müsse nicht an ihm irre werden.  Ob er dereinst selbst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] Wolf Baudisstn Denn leider muß ich es mir ja versagen, hier von der Herzlichkeit seiner Beziehungen zu Verwandten und Freunden, von der Einfachheit seiner Lebensweise, von seinem patriarchalischen Verhältnis zu seinen Untergebene!? und von der That¬ sache zu erzählen, daß seiue Pächter ihren Pachtzins aus freien Stücken erhöhten: so stimmte sich unter dem Einflüsse seiner Herzensgüte die ursprüng¬ liche Durchschuittsnatur der Menschen um. War Baudissin einst ein Knabe von zarter Gesundheit gewesen, so bewährt sich an ihm der alte Erfnhrungssatz, daß bei geregelter Lebensweise eine selbst- gewähltc, freudig rastlose Thätigkeit die Körperkräfte steigert und das Leben verlängert. Welche Strapazen er mit Leichtigkeit bestand, läßt sich schon aus einigen seiner Dauerritte entnehmen, bei dem damaligen Zustande des Post- Wesens freilich die herkömmliche Art des Reifens für junge Leute. Auf der Rückkehr von einer seiner Pilgerschaften nach Weimar saß er neuntehalb Meilen lang im Sattel, wobei man sich der schlechten Landstraßen jener Zeit erinnern mag. Auf seiner Reise dnrch das nördliche Schweden stieg er eines Morgens um 6 Uhr in den Bügel und kam erst um 1k Uhr nachts an sein Ziel. In 24 Tagen legte er auf dieser Reise 246 deutsche Meilen zurück, teils zu Pferde, teils in den sogenannten Skjudswägelchen, die ja noch heute nur ausnahms¬ weise von Sprungfedern wissen; und im Herbst 1877 gestattete dem fast neunzigjährigen seiue Rüstigkeit noch wie so manches liebe Mal von seiner schönen Villa aus mit seiner Gattin das Wachwitzer Bergnest ohne Anstrengung zu ersteigen. Die Jurisprudenz freilich war ihm nicht freudig selbstgewählte Thätig¬ keit gewesen — vermutlich machte ihn deshalb die philosophische, nicht die juristische Fakultät in Kiel zum Ehrendoktor —, und auch die diplomatische Laufbahn hatte er nur seinem Vater zu Gefallen betreten. „Kann ich," so schrieb er aus Stockholm an seine Schwester, „wie es einem rechten Legations¬ rat gebührt, halbe Tage auf Kaffeehäusern und Sozietäten liegen, um Neuig¬ keiten auszuforschen?" Und er sagt, sein Gewissen sei beschwert, denn er liege keineswegs pflichtgemäß auf Kaffeehäusern und Sozietäten, verbringe hingegen täglich 5—3 Stunden mit Griechisch- und Spanisch-Lesen, Klavier¬ spielen und Zeichnen, wobei seine Haupttendenz auf Italien gerichtet sei, auf das man sich mindestens drei Jahre lang vorbereiten müsse. Sein Wnhlspruch war: „Kenne dich selbst, und wisse, wozu du auf Erden bist!" Er wußte, daß er nicht auf Erden war, um Depeschen für den König von Dünemark zu schreiben, und noch viel weniger, um in der vornehmen Welt seine.Kräfte ab¬ zuarbeiten. „Nein", ruft er aus, „ich will in die große Welt der alten Helden, Dichter und frommen Seher, frei von allem äußern Zwang, und mit wenigen rechten Freunden." Wir wissen, daß er sich bald genug vom Staatsdienste freizumachen verstand. Als er sich noch mit diesem Plane trug, mag seine Schwester besorgt die Frage aufgeworfen haben: „Aber was dann?" Seine Antwort lautet, sie müsse nicht an ihm irre werden. Ob er dereinst selbst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/338>, abgerufen am 26.06.2024.