Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethe und die Gräfin Lanthieri

biete kann geteilt werden, wird geteilt. Die Dichtung beruht einzig und allein
auf dem Vorhandensein und der Stärke des individuellen Talents, und selbst
die Anfänge, die wir von sogenannter experimenteller Poesie namentlich im
Romane sehen, entkräften diese einfache Wahrheit nicht und heben den tief¬
gehenden Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der künstlerischen Arbeit
auch in in dieser Beziehung nicht auf.




Goethe und die Gräfin Lanthieri
von I. Minor.

le Gesellschaft, die Goethe im Jahre 1786 in Karlsbad vorfand,
nennt er in einem Briefe um die Frau vou Stein "recht artig."
Als die Königin des Kreises aber erschien Herder die Gräfin
Lanthieri, eine geborene Gräfin von Wagensperg aus Grätz.
Auch Goethe redet vou der "schönen Gräfin", welche die Jmhof
wenig glücklich gemalt habe (an die Stein II, 336); er nennt sie gar gut
und brav, und er erzählt in der italienischen Reise, daß die Gräfin Ljanthieri'j,
kbs sie merkte, daß er sort wollte, auch einen entsetzlichen Trumpf darauf ge¬
setzt hatte, ihn zu halten. "Ich ließ mich aber nicht hindern, denn es war
Zeit." Auf der italienischen Reise gedenkt er der Gräfin wiederholt: in Torbole
findet er zum erstenmale die weißen kleinen Feigen als gemeine Frucht, die
eben die Gräfin Lanthieri verheißen hatte; im IKeatro 8. Iiuooa in Venedig
findet er, daß eine Schauspielerin der Gräfin Lanthieri sehr ähnlich sieht.
Nach den unten abgedruckten Briefen ist ferner kein Zweifel, daß auch die
Dame von seiner Karlsbader Bekanntschaft, deren er in dem Bericht aus Neapel
vom 27. Mai 1787 gedenkt, die Gräfin Lanthieri gewesen ist. Er schreibt
"^'t: "Ah ^mo eine liebenswürdige Dame, mit der ich vorigen Sommer in
Karlsbad die angenehmsten Tage verlebt hatte. Um wie manche Stunde be-
^ogen wir die Gegenwart in heiterster Erinnerung! Alle die Lieben und
werten kamen wieder an die Reihe, vor allem der heitere Humor unseres
teuern Fürsten sKarl AnguA Sie besaß das Gedicht noch, womit ihn bei
Wren Wegritt die Mädchen von Engelhaus überraschten. Es rief die lustigen
Szenen alle zurück, die witzigen Neckereien und Mystifikationen, die geistreichen
versuche, das Vergeltungsrecht um einander auszuüben. Schnell fühlten wir
u"s auf deutschem Boden, in der besten deutscheu Gesellschaft, eingeschränkt
vn Felswädnen, durch ein seltsames Lokal zusammengehalten, mehr noch durch


Goethe und die Gräfin Lanthieri

biete kann geteilt werden, wird geteilt. Die Dichtung beruht einzig und allein
auf dem Vorhandensein und der Stärke des individuellen Talents, und selbst
die Anfänge, die wir von sogenannter experimenteller Poesie namentlich im
Romane sehen, entkräften diese einfache Wahrheit nicht und heben den tief¬
gehenden Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der künstlerischen Arbeit
auch in in dieser Beziehung nicht auf.




Goethe und die Gräfin Lanthieri
von I. Minor.

le Gesellschaft, die Goethe im Jahre 1786 in Karlsbad vorfand,
nennt er in einem Briefe um die Frau vou Stein „recht artig."
Als die Königin des Kreises aber erschien Herder die Gräfin
Lanthieri, eine geborene Gräfin von Wagensperg aus Grätz.
Auch Goethe redet vou der „schönen Gräfin", welche die Jmhof
wenig glücklich gemalt habe (an die Stein II, 336); er nennt sie gar gut
und brav, und er erzählt in der italienischen Reise, daß die Gräfin Ljanthieri'j,
kbs sie merkte, daß er sort wollte, auch einen entsetzlichen Trumpf darauf ge¬
setzt hatte, ihn zu halten. „Ich ließ mich aber nicht hindern, denn es war
Zeit." Auf der italienischen Reise gedenkt er der Gräfin wiederholt: in Torbole
findet er zum erstenmale die weißen kleinen Feigen als gemeine Frucht, die
eben die Gräfin Lanthieri verheißen hatte; im IKeatro 8. Iiuooa in Venedig
findet er, daß eine Schauspielerin der Gräfin Lanthieri sehr ähnlich sieht.
Nach den unten abgedruckten Briefen ist ferner kein Zweifel, daß auch die
Dame von seiner Karlsbader Bekanntschaft, deren er in dem Bericht aus Neapel
vom 27. Mai 1787 gedenkt, die Gräfin Lanthieri gewesen ist. Er schreibt
"^'t: „Ah ^mo eine liebenswürdige Dame, mit der ich vorigen Sommer in
Karlsbad die angenehmsten Tage verlebt hatte. Um wie manche Stunde be-
^ogen wir die Gegenwart in heiterster Erinnerung! Alle die Lieben und
werten kamen wieder an die Reihe, vor allem der heitere Humor unseres
teuern Fürsten sKarl AnguA Sie besaß das Gedicht noch, womit ihn bei
Wren Wegritt die Mädchen von Engelhaus überraschten. Es rief die lustigen
Szenen alle zurück, die witzigen Neckereien und Mystifikationen, die geistreichen
versuche, das Vergeltungsrecht um einander auszuüben. Schnell fühlten wir
u»s auf deutschem Boden, in der besten deutscheu Gesellschaft, eingeschränkt
vn Felswädnen, durch ein seltsames Lokal zusammengehalten, mehr noch durch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204412"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethe und die Gräfin Lanthieri</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1025" prev="#ID_1024"> biete kann geteilt werden, wird geteilt. Die Dichtung beruht einzig und allein<lb/>
auf dem Vorhandensein und der Stärke des individuellen Talents, und selbst<lb/>
die Anfänge, die wir von sogenannter experimenteller Poesie namentlich im<lb/>
Romane sehen, entkräften diese einfache Wahrheit nicht und heben den tief¬<lb/>
gehenden Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der künstlerischen Arbeit<lb/>
auch in in dieser Beziehung nicht auf.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Goethe und die Gräfin Lanthieri<lb/><note type="byline"> von I. Minor.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1026" next="#ID_1027"> le Gesellschaft, die Goethe im Jahre 1786 in Karlsbad vorfand,<lb/>
nennt er in einem Briefe um die Frau vou Stein &#x201E;recht artig."<lb/>
Als die Königin des Kreises aber erschien Herder die Gräfin<lb/>
Lanthieri, eine geborene Gräfin von Wagensperg aus Grätz.<lb/>
Auch Goethe redet vou der &#x201E;schönen Gräfin", welche die Jmhof<lb/>
wenig glücklich gemalt habe (an die Stein II, 336); er nennt sie gar gut<lb/>
und brav, und er erzählt in der italienischen Reise, daß die Gräfin Ljanthieri'j,<lb/>
kbs sie merkte, daß er sort wollte, auch einen entsetzlichen Trumpf darauf ge¬<lb/>
setzt hatte, ihn zu halten. &#x201E;Ich ließ mich aber nicht hindern, denn es war<lb/>
Zeit." Auf der italienischen Reise gedenkt er der Gräfin wiederholt: in Torbole<lb/>
findet er zum erstenmale die weißen kleinen Feigen als gemeine Frucht, die<lb/>
eben die Gräfin Lanthieri verheißen hatte; im IKeatro 8. Iiuooa in Venedig<lb/>
findet er, daß eine Schauspielerin der Gräfin Lanthieri sehr ähnlich sieht.<lb/>
Nach den unten abgedruckten Briefen ist ferner kein Zweifel, daß auch die<lb/>
Dame von seiner Karlsbader Bekanntschaft, deren er in dem Bericht aus Neapel<lb/>
vom 27. Mai 1787 gedenkt, die Gräfin Lanthieri gewesen ist. Er schreibt<lb/>
"^'t: &#x201E;Ah ^mo eine liebenswürdige Dame, mit der ich vorigen Sommer in<lb/>
Karlsbad die angenehmsten Tage verlebt hatte. Um wie manche Stunde be-<lb/>
^ogen wir die Gegenwart in heiterster Erinnerung! Alle die Lieben und<lb/>
werten kamen wieder an die Reihe, vor allem der heitere Humor unseres<lb/>
teuern Fürsten sKarl AnguA Sie besaß das Gedicht noch, womit ihn bei<lb/>
Wren Wegritt die Mädchen von Engelhaus überraschten. Es rief die lustigen<lb/>
Szenen alle zurück, die witzigen Neckereien und Mystifikationen, die geistreichen<lb/>
versuche, das Vergeltungsrecht um einander auszuüben. Schnell fühlten wir<lb/>
u»s auf deutschem Boden, in der besten deutscheu Gesellschaft, eingeschränkt<lb/>
vn Felswädnen, durch ein seltsames Lokal zusammengehalten, mehr noch durch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] Goethe und die Gräfin Lanthieri biete kann geteilt werden, wird geteilt. Die Dichtung beruht einzig und allein auf dem Vorhandensein und der Stärke des individuellen Talents, und selbst die Anfänge, die wir von sogenannter experimenteller Poesie namentlich im Romane sehen, entkräften diese einfache Wahrheit nicht und heben den tief¬ gehenden Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der künstlerischen Arbeit auch in in dieser Beziehung nicht auf. Goethe und die Gräfin Lanthieri von I. Minor. le Gesellschaft, die Goethe im Jahre 1786 in Karlsbad vorfand, nennt er in einem Briefe um die Frau vou Stein „recht artig." Als die Königin des Kreises aber erschien Herder die Gräfin Lanthieri, eine geborene Gräfin von Wagensperg aus Grätz. Auch Goethe redet vou der „schönen Gräfin", welche die Jmhof wenig glücklich gemalt habe (an die Stein II, 336); er nennt sie gar gut und brav, und er erzählt in der italienischen Reise, daß die Gräfin Ljanthieri'j, kbs sie merkte, daß er sort wollte, auch einen entsetzlichen Trumpf darauf ge¬ setzt hatte, ihn zu halten. „Ich ließ mich aber nicht hindern, denn es war Zeit." Auf der italienischen Reise gedenkt er der Gräfin wiederholt: in Torbole findet er zum erstenmale die weißen kleinen Feigen als gemeine Frucht, die eben die Gräfin Lanthieri verheißen hatte; im IKeatro 8. Iiuooa in Venedig findet er, daß eine Schauspielerin der Gräfin Lanthieri sehr ähnlich sieht. Nach den unten abgedruckten Briefen ist ferner kein Zweifel, daß auch die Dame von seiner Karlsbader Bekanntschaft, deren er in dem Bericht aus Neapel vom 27. Mai 1787 gedenkt, die Gräfin Lanthieri gewesen ist. Er schreibt "^'t: „Ah ^mo eine liebenswürdige Dame, mit der ich vorigen Sommer in Karlsbad die angenehmsten Tage verlebt hatte. Um wie manche Stunde be- ^ogen wir die Gegenwart in heiterster Erinnerung! Alle die Lieben und werten kamen wieder an die Reihe, vor allem der heitere Humor unseres teuern Fürsten sKarl AnguA Sie besaß das Gedicht noch, womit ihn bei Wren Wegritt die Mädchen von Engelhaus überraschten. Es rief die lustigen Szenen alle zurück, die witzigen Neckereien und Mystifikationen, die geistreichen versuche, das Vergeltungsrecht um einander auszuüben. Schnell fühlten wir u»s auf deutschem Boden, in der besten deutscheu Gesellschaft, eingeschränkt vn Felswädnen, durch ein seltsames Lokal zusammengehalten, mehr noch durch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/323>, abgerufen am 26.06.2024.