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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Äeschichte von dein kranken Aönigssohne

War. Dieser erkannte an dem Pulsschläge. des Kranken sofort die Natur des
Leidens und befahl dem Hausmeister, alle Gemächer des Palastes, die unter
seiner Aufsicht stunden, der Reihe nach herzuzählen. Dies geschah, und schon
dabei verriet eine lebhaftere Bewegung in dem Pulsschläge des Prinzen einen
Teil des Geheimnisses. Als dann aber Avicenna sich die Namen aller Skla¬
vinnen nennen ließ, die jene Gemächer bewohnten, erregte der Name der einen
den Puls des jungen Mannes so heftig, daß alles ans Licht kam, was er
zu verbergen suchte. Avieennn sah ein, daß die genannte junge Sklavin allein
die Macht besitze, den Prinzen zu heilen. Allein dazu bedürfte es der Zu¬
stimmung des Sultans. Dieser ließ den fremden Arzt zu sich kommen und
erkannte nun nach einem ihm früher einmal zugesandten Bildnis den berühmten
Avicenna. Den Ausgang der Geschichte erfahren wir nicht, doch dürfte er
leicht zu erraten sein. .

An die Avicennalegende klingt eine im einzelnen hochpoetische Erzählung
an, die der persische Dichter MewlAul' DscheMl-Kd-do-Ruini in seinen
Meswedi, d. h. Berszeileu, gegeben hat/") die einzige von allen hierher
gehörigen, die einen tragischen Ausgang nimmt. Sie lautet etwa so. Ein
mächtiger König, "dem Welt und Glauben waren uuterthnn," zieht mit
seinem Troß auf die Jagd und findet auf offenem Heerweg ein Mädchen,
dessen liebliche Erscheinung sein Herz völlig bestrickt.


Des Königs Herz ward dieses Mägdleins Stllw,
Sein Herz tobt in der Brust, ein Vögelein
Im Küfig -- er giebt Gold - die Maid ist sein.

Aber nicht lange soll er des köstlichen Besitzes sich erfreuen. Das Mädchen
N'eilt, von einer verzehrenden Krankheit ergriffen, dahin, und die Kunst der
Ärzte ist ohnmächtig, weil sie, wie der Dichter bemerkt, unterlassen haben,
Gottes Segen anzurufen.


Auf jeden Heiltrank sich das Uebel mehrt,
Alle Gebete bleiben unerhört.
Zum Haar, zum Schatten wird die kranke Maid,
Zum Thränenstrom des Königs Aug nud Leid.

Da wendet sich der König betend an die Gnade des Himmels und wird er¬
hört. Im Traum erscheint ihm ein Greis, der ihm verkündigt, daß am nächsten
Tage ein weiser Arzt zu ihm kommen werde; diesem solle er sich getrost an-
vertrauen. Der Traum geht in Erfüllung. Ein kleines Münnlein, ernst und
schlicht in seiner Haltung, stellt sich im Palaste ein. Da küßt der König voll
freudiger Hoffnung Stirn und Hände des Gastes, führt ihn zum Ehrenplatze
Md heißt ihn als den Retter der Geliebten mit überschlvänglichen Worten
willkommen. Dann führt er deu Weisen an das Lager des kranken Mädchens,



*) Er lebte net dreizehnten Jahrhundert. Seine Verszeileu sind übersetzt von G. Rosen.
Leipzig/ 1849)^'" w--:u--s .^"Pu-ii^t. ^ "'^ '"'^ ^i-Ul'^.
Grenzboten I 188" :!4
Die Äeschichte von dein kranken Aönigssohne

War. Dieser erkannte an dem Pulsschläge. des Kranken sofort die Natur des
Leidens und befahl dem Hausmeister, alle Gemächer des Palastes, die unter
seiner Aufsicht stunden, der Reihe nach herzuzählen. Dies geschah, und schon
dabei verriet eine lebhaftere Bewegung in dem Pulsschläge des Prinzen einen
Teil des Geheimnisses. Als dann aber Avicenna sich die Namen aller Skla¬
vinnen nennen ließ, die jene Gemächer bewohnten, erregte der Name der einen
den Puls des jungen Mannes so heftig, daß alles ans Licht kam, was er
zu verbergen suchte. Avieennn sah ein, daß die genannte junge Sklavin allein
die Macht besitze, den Prinzen zu heilen. Allein dazu bedürfte es der Zu¬
stimmung des Sultans. Dieser ließ den fremden Arzt zu sich kommen und
erkannte nun nach einem ihm früher einmal zugesandten Bildnis den berühmten
Avicenna. Den Ausgang der Geschichte erfahren wir nicht, doch dürfte er
leicht zu erraten sein. .

An die Avicennalegende klingt eine im einzelnen hochpoetische Erzählung
an, die der persische Dichter MewlAul' DscheMl-Kd-do-Ruini in seinen
Meswedi, d. h. Berszeileu, gegeben hat/") die einzige von allen hierher
gehörigen, die einen tragischen Ausgang nimmt. Sie lautet etwa so. Ein
mächtiger König, „dem Welt und Glauben waren uuterthnn," zieht mit
seinem Troß auf die Jagd und findet auf offenem Heerweg ein Mädchen,
dessen liebliche Erscheinung sein Herz völlig bestrickt.


Des Königs Herz ward dieses Mägdleins Stllw,
Sein Herz tobt in der Brust, ein Vögelein
Im Küfig — er giebt Gold - die Maid ist sein.

Aber nicht lange soll er des köstlichen Besitzes sich erfreuen. Das Mädchen
N'eilt, von einer verzehrenden Krankheit ergriffen, dahin, und die Kunst der
Ärzte ist ohnmächtig, weil sie, wie der Dichter bemerkt, unterlassen haben,
Gottes Segen anzurufen.


Auf jeden Heiltrank sich das Uebel mehrt,
Alle Gebete bleiben unerhört.
Zum Haar, zum Schatten wird die kranke Maid,
Zum Thränenstrom des Königs Aug nud Leid.

Da wendet sich der König betend an die Gnade des Himmels und wird er¬
hört. Im Traum erscheint ihm ein Greis, der ihm verkündigt, daß am nächsten
Tage ein weiser Arzt zu ihm kommen werde; diesem solle er sich getrost an-
vertrauen. Der Traum geht in Erfüllung. Ein kleines Münnlein, ernst und
schlicht in seiner Haltung, stellt sich im Palaste ein. Da küßt der König voll
freudiger Hoffnung Stirn und Hände des Gastes, führt ihn zum Ehrenplatze
Md heißt ihn als den Retter der Geliebten mit überschlvänglichen Worten
willkommen. Dann führt er deu Weisen an das Lager des kranken Mädchens,



*) Er lebte net dreizehnten Jahrhundert. Seine Verszeileu sind übersetzt von G. Rosen.
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[0273] Die Äeschichte von dein kranken Aönigssohne War. Dieser erkannte an dem Pulsschläge. des Kranken sofort die Natur des Leidens und befahl dem Hausmeister, alle Gemächer des Palastes, die unter seiner Aufsicht stunden, der Reihe nach herzuzählen. Dies geschah, und schon dabei verriet eine lebhaftere Bewegung in dem Pulsschläge des Prinzen einen Teil des Geheimnisses. Als dann aber Avicenna sich die Namen aller Skla¬ vinnen nennen ließ, die jene Gemächer bewohnten, erregte der Name der einen den Puls des jungen Mannes so heftig, daß alles ans Licht kam, was er zu verbergen suchte. Avieennn sah ein, daß die genannte junge Sklavin allein die Macht besitze, den Prinzen zu heilen. Allein dazu bedürfte es der Zu¬ stimmung des Sultans. Dieser ließ den fremden Arzt zu sich kommen und erkannte nun nach einem ihm früher einmal zugesandten Bildnis den berühmten Avicenna. Den Ausgang der Geschichte erfahren wir nicht, doch dürfte er leicht zu erraten sein. . An die Avicennalegende klingt eine im einzelnen hochpoetische Erzählung an, die der persische Dichter MewlAul' DscheMl-Kd-do-Ruini in seinen Meswedi, d. h. Berszeileu, gegeben hat/") die einzige von allen hierher gehörigen, die einen tragischen Ausgang nimmt. Sie lautet etwa so. Ein mächtiger König, „dem Welt und Glauben waren uuterthnn," zieht mit seinem Troß auf die Jagd und findet auf offenem Heerweg ein Mädchen, dessen liebliche Erscheinung sein Herz völlig bestrickt. Des Königs Herz ward dieses Mägdleins Stllw, Sein Herz tobt in der Brust, ein Vögelein Im Küfig — er giebt Gold - die Maid ist sein. Aber nicht lange soll er des köstlichen Besitzes sich erfreuen. Das Mädchen N'eilt, von einer verzehrenden Krankheit ergriffen, dahin, und die Kunst der Ärzte ist ohnmächtig, weil sie, wie der Dichter bemerkt, unterlassen haben, Gottes Segen anzurufen. Auf jeden Heiltrank sich das Uebel mehrt, Alle Gebete bleiben unerhört. Zum Haar, zum Schatten wird die kranke Maid, Zum Thränenstrom des Königs Aug nud Leid. Da wendet sich der König betend an die Gnade des Himmels und wird er¬ hört. Im Traum erscheint ihm ein Greis, der ihm verkündigt, daß am nächsten Tage ein weiser Arzt zu ihm kommen werde; diesem solle er sich getrost an- vertrauen. Der Traum geht in Erfüllung. Ein kleines Münnlein, ernst und schlicht in seiner Haltung, stellt sich im Palaste ein. Da küßt der König voll freudiger Hoffnung Stirn und Hände des Gastes, führt ihn zum Ehrenplatze Md heißt ihn als den Retter der Geliebten mit überschlvänglichen Worten willkommen. Dann führt er deu Weisen an das Lager des kranken Mädchens, *) Er lebte net dreizehnten Jahrhundert. Seine Verszeileu sind übersetzt von G. Rosen. Leipzig/ 1849)^'" w--:u--s .^"Pu-ii^t. ^ "'^ '"'^ ^i-Ul'^. Grenzboten I 188» :!4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/273>, abgerufen am 26.06.2024.