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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Goethe- und Schillerhetzer

mit denen der sterbende Sokrcites seine Schüler tröstete, an seinem Eingange
stehen!

Dem gegenüber muß die fortgesetzte und in neuester Zeit sich augenfällig
steigernde Opposition der katholischen Kirche gegen die Anerkennung, und was
schlimmer ist, die Wirkungen dieser Litteratur die geradezu entgegengesetzte
Erklärung herausfordern. Es ist nicht ersichtlich, was gerade den Katho¬
lizismus dagegen aufbringt. Was in ihr "in "Piqnen gegen die Pfaffen"
mit unterläuft, ist stets im allgemeinen Gefüge gehalten, wurde früh über¬
wunden, von Goethe belächelt, von Schiller (gerade dem Katholizismus gegen¬
über) ins gerade Gegenteil gewendet, und vor allem, es gilt am wenigste"
dein katholischen .Klerus. Die protestantische Geistlichkeit hat bekanntlich viel
mehr Grund, sich von den wenig schmeichelhaft geschilderten Vertretern der
Kirche im "Nathan", in den "Räubern" getroffen zu fühlen. Bei der Mille
von Poesie, mit der in Schillers Werken und im zweiten Teile des "Faust"
das katholische Ideal geradezu gefeiert wird, geht das evangelische Gefühl leer
aus. Wenn gleichwohl immer wieder von katholischer Seite jene Angriffe
erfolgen, so wird man sich doch wohl fragen müssen, ob denn wirklich, wie
vorgeschützt wird, die religionsfeindliche Tendenz der Klassiker im allgemeinen
ihr Zielpunkt sei. Man wird sich fragen müssen, ob nicht wohl auch hier, wie
meist, die katholische Religion nur der Deckmantel ist für Bestrebungen, die
nicht katholisch, sondern römisch, nicht religiös im allgemeinen Sinne, sondern
lutherfeindlich im besondern Sinne sind. Die deutsche Nationallitteratur, die
Errungenschaft des hinter uns liegenden großen Aufschwungs deutschen Geistes
und deutschen Selbstbewußtseins, das, wenngleich lange verschüttet, seine Wurzeln
doch in der Reformation hat, hat sich als stärkster Einheitshort bewährt. Sie
steht folgerichtig unter der ausschließlichen und kennzeichnenden Führung des
protestantischen Deutschlands. Mit unbeugsamer Starrheit wurde seit der Re¬
formation das katholische Deutschland dazu abgerichtet, sich an der Weiter¬
entwicklung der gemeinsamen heimischen Litteratur kaum anders als in polemischer
Weise zu beteiligen. Man findet im Jahrgang 1884 der "Grenzboten" eine
Reihe von Aufsätzen aus der Feder eines sicherlich sehr objektiven Litterar-
historikers, die unter dem Titel "Die katholischen Elemente in der deutsche"
Litteratur" diesen Borgang eingehend schildern. Wir können darauf verweisen,
ohne eine nochmalige Schilderung dieses besondern Leidens unsrer Litteratur
zu versuchen, namentlich ohne immer wieder die unglücklichen Umstände zu
beklagen, durch die die am Ende des vorigen Jahrhunderts unter dem ersten
starken Eindruck der neuen Litteraturblüte angebahnte Aussöhnung wieder ver¬
eitelt wurde. Jene Bestrebungen sind nur die Fortsetzung einer Bewegung,
die weit älter ist als die Schäden, gegen die sie sich vorgeblich richtet, die mit
den religiösen Umsturzgedanken, überhaupt mit der Religion als solcher nichts
zu thun hat, die wesentlich klerikal kirchlich ist und sich gegen die deutsche


Goethe- und Schillerhetzer

mit denen der sterbende Sokrcites seine Schüler tröstete, an seinem Eingange
stehen!

Dem gegenüber muß die fortgesetzte und in neuester Zeit sich augenfällig
steigernde Opposition der katholischen Kirche gegen die Anerkennung, und was
schlimmer ist, die Wirkungen dieser Litteratur die geradezu entgegengesetzte
Erklärung herausfordern. Es ist nicht ersichtlich, was gerade den Katho¬
lizismus dagegen aufbringt. Was in ihr «in „Piqnen gegen die Pfaffen"
mit unterläuft, ist stets im allgemeinen Gefüge gehalten, wurde früh über¬
wunden, von Goethe belächelt, von Schiller (gerade dem Katholizismus gegen¬
über) ins gerade Gegenteil gewendet, und vor allem, es gilt am wenigste»
dein katholischen .Klerus. Die protestantische Geistlichkeit hat bekanntlich viel
mehr Grund, sich von den wenig schmeichelhaft geschilderten Vertretern der
Kirche im „Nathan", in den „Räubern" getroffen zu fühlen. Bei der Mille
von Poesie, mit der in Schillers Werken und im zweiten Teile des „Faust"
das katholische Ideal geradezu gefeiert wird, geht das evangelische Gefühl leer
aus. Wenn gleichwohl immer wieder von katholischer Seite jene Angriffe
erfolgen, so wird man sich doch wohl fragen müssen, ob denn wirklich, wie
vorgeschützt wird, die religionsfeindliche Tendenz der Klassiker im allgemeinen
ihr Zielpunkt sei. Man wird sich fragen müssen, ob nicht wohl auch hier, wie
meist, die katholische Religion nur der Deckmantel ist für Bestrebungen, die
nicht katholisch, sondern römisch, nicht religiös im allgemeinen Sinne, sondern
lutherfeindlich im besondern Sinne sind. Die deutsche Nationallitteratur, die
Errungenschaft des hinter uns liegenden großen Aufschwungs deutschen Geistes
und deutschen Selbstbewußtseins, das, wenngleich lange verschüttet, seine Wurzeln
doch in der Reformation hat, hat sich als stärkster Einheitshort bewährt. Sie
steht folgerichtig unter der ausschließlichen und kennzeichnenden Führung des
protestantischen Deutschlands. Mit unbeugsamer Starrheit wurde seit der Re¬
formation das katholische Deutschland dazu abgerichtet, sich an der Weiter¬
entwicklung der gemeinsamen heimischen Litteratur kaum anders als in polemischer
Weise zu beteiligen. Man findet im Jahrgang 1884 der „Grenzboten" eine
Reihe von Aufsätzen aus der Feder eines sicherlich sehr objektiven Litterar-
historikers, die unter dem Titel „Die katholischen Elemente in der deutsche»
Litteratur" diesen Borgang eingehend schildern. Wir können darauf verweisen,
ohne eine nochmalige Schilderung dieses besondern Leidens unsrer Litteratur
zu versuchen, namentlich ohne immer wieder die unglücklichen Umstände zu
beklagen, durch die die am Ende des vorigen Jahrhunderts unter dem ersten
starken Eindruck der neuen Litteraturblüte angebahnte Aussöhnung wieder ver¬
eitelt wurde. Jene Bestrebungen sind nur die Fortsetzung einer Bewegung,
die weit älter ist als die Schäden, gegen die sie sich vorgeblich richtet, die mit
den religiösen Umsturzgedanken, überhaupt mit der Religion als solcher nichts
zu thun hat, die wesentlich klerikal kirchlich ist und sich gegen die deutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/26>, abgerufen am 29.06.2024.