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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Goethe- und Schillerhetzer

nischo Fächer und Briefmarken. Wir würden uns gar nicht wundern, wenn
man eines schönen Tages in das gerade Gegenteil umschlüge. Der Wirkung
unsrer Klassiker geschähe dadurch kein Abbruch.

Wohl aber geschieht ihnen Abbruch durch eine unausgesetzte und plan¬
mäßige Hinderung und Zerstörung ihrer fortwirkenden und erobernden Kraft
mit den Mitteln gewissenloser Herabziehung und Verleumdung. Große Charak¬
tere und Geisteswerke erfüllen eine stille, aber gewaltige Mission, fortwirkend
durch Zeit und Raum. Sie treffen verwandte Naturen, wo sie auch weiten
mögen auf dem Erdball oder in den Jahrhunderten. Diese bilden ihre nn-
bemerkbnre, aber wahrhafte Gemeinde, die unsichtbare Kirche -- das Wort sei
erlaubt zur Bezeichnung von etwas sehr Hohem und Heiligem --, die jeder
große Geist dein Ewigen stiftet. Bei dieser Mission sind unsre Geistes Helden
des vorigen Jahrhunderts noch nicht lange, dieses Publikum ist unabhängig
von Kommentatoren und Prachtallsgaben, es ist weder überzahlreich noch über¬
sättigt; aber dafür ist es zerstreut in allen Landen, und wen" mau von Amerika
bis Nußlnud die Wirkungen sieht, die ihr Same windgetragen hervorzaubert,
wo er sich einsenken konnte, so muß man nur wünsche", daß es sich mehr
und innuer mehr an ihren Früchten faltige. Alles, was ans dieser Erde dem
Geiste dient, müßte das wünschen. Am allerwenigsten liegt es im Interesse
der sichtbaren Kirche, gerade diese unsichtbaren Mitstreiter von sich abzuweisen.
Keine klassische oder, allgemeiner gesprochen, allen Völkern gemeinsame Litteratur
ist in so hohem Grade erfüllt von dem innersten, treibenden Gedanken der
Kirche, als einer ewigen Ordnung unter den Menschen, wie die deutsche. Und
wir dürfen hinzusetzen, keine in so zeitgemäßer Weise. Unsre klassische Litteratur
ist die einzige, die bereits kritisch wohlbekannt, ja, was schwerer wiegt, die
hervorgegangen ist ans den ersten Kämpfen mit all den dunkel" Mächten,
melche gerade heute die Kräfte auch der Kirche als Hüterin des Geistes mehr
denn je aufrufen. Als gerader Gegenschlag gegen das Keimzeitalter der Re-
volutionsperiode, als versöhnende Auflösung seiner beängstigenden Fragen und
schrillen Mißklänge hat sie sich entwickelt. Gegen das unbedingte Ansehen Vol¬
taires schlug Lessing seine Schlachten, von Rousseaus sozialer Verzweiflung
wies Herder ans freie, lichte Höhen einer unbegrenzten Aussicht auf menschlich
würdige Thätigkeit. Über die unheimlichen Abgründe des 8Me>.in<z av In nuwre
schritt der gesunde Sinn des jungen Goethe wohlgemut zur Ordnung eines
neuen Tages über, alle Schlacken seiner Umgebung in dem reinen Jener seines
Geistesblicks läuternd. Und wo er zweifelhaft lassen konnte, wo bei ihm die Höhe
der geistigen Umschau deu Blick des Alltagsmenschen trüben und verwirre"
kennte, da setzte, "mit kühnen Schritten die Bahn des Wollens "ut Voll-
Ringens messend", Friedrich Schiller ein und riß den Zweifelnden und
Strauchelnden mit sich empor zu der Menschheit Höhen. Wo wären
wir in diesem Jahrhundert ohne diese Gewaltigen, die wie jene Beschwörer,


Gmizboteu I 1889 ^
Goethe- und Schillerhetzer

nischo Fächer und Briefmarken. Wir würden uns gar nicht wundern, wenn
man eines schönen Tages in das gerade Gegenteil umschlüge. Der Wirkung
unsrer Klassiker geschähe dadurch kein Abbruch.

Wohl aber geschieht ihnen Abbruch durch eine unausgesetzte und plan¬
mäßige Hinderung und Zerstörung ihrer fortwirkenden und erobernden Kraft
mit den Mitteln gewissenloser Herabziehung und Verleumdung. Große Charak¬
tere und Geisteswerke erfüllen eine stille, aber gewaltige Mission, fortwirkend
durch Zeit und Raum. Sie treffen verwandte Naturen, wo sie auch weiten
mögen auf dem Erdball oder in den Jahrhunderten. Diese bilden ihre nn-
bemerkbnre, aber wahrhafte Gemeinde, die unsichtbare Kirche — das Wort sei
erlaubt zur Bezeichnung von etwas sehr Hohem und Heiligem --, die jeder
große Geist dein Ewigen stiftet. Bei dieser Mission sind unsre Geistes Helden
des vorigen Jahrhunderts noch nicht lange, dieses Publikum ist unabhängig
von Kommentatoren und Prachtallsgaben, es ist weder überzahlreich noch über¬
sättigt; aber dafür ist es zerstreut in allen Landen, und wen» mau von Amerika
bis Nußlnud die Wirkungen sieht, die ihr Same windgetragen hervorzaubert,
wo er sich einsenken konnte, so muß man nur wünsche», daß es sich mehr
und innuer mehr an ihren Früchten faltige. Alles, was ans dieser Erde dem
Geiste dient, müßte das wünschen. Am allerwenigsten liegt es im Interesse
der sichtbaren Kirche, gerade diese unsichtbaren Mitstreiter von sich abzuweisen.
Keine klassische oder, allgemeiner gesprochen, allen Völkern gemeinsame Litteratur
ist in so hohem Grade erfüllt von dem innersten, treibenden Gedanken der
Kirche, als einer ewigen Ordnung unter den Menschen, wie die deutsche. Und
wir dürfen hinzusetzen, keine in so zeitgemäßer Weise. Unsre klassische Litteratur
ist die einzige, die bereits kritisch wohlbekannt, ja, was schwerer wiegt, die
hervorgegangen ist ans den ersten Kämpfen mit all den dunkel» Mächten,
melche gerade heute die Kräfte auch der Kirche als Hüterin des Geistes mehr
denn je aufrufen. Als gerader Gegenschlag gegen das Keimzeitalter der Re-
volutionsperiode, als versöhnende Auflösung seiner beängstigenden Fragen und
schrillen Mißklänge hat sie sich entwickelt. Gegen das unbedingte Ansehen Vol¬
taires schlug Lessing seine Schlachten, von Rousseaus sozialer Verzweiflung
wies Herder ans freie, lichte Höhen einer unbegrenzten Aussicht auf menschlich
würdige Thätigkeit. Über die unheimlichen Abgründe des 8Me>.in<z av In nuwre
schritt der gesunde Sinn des jungen Goethe wohlgemut zur Ordnung eines
neuen Tages über, alle Schlacken seiner Umgebung in dem reinen Jener seines
Geistesblicks läuternd. Und wo er zweifelhaft lassen konnte, wo bei ihm die Höhe
der geistigen Umschau deu Blick des Alltagsmenschen trüben und verwirre»
kennte, da setzte, „mit kühnen Schritten die Bahn des Wollens »ut Voll-
Ringens messend", Friedrich Schiller ein und riß den Zweifelnden und
Strauchelnden mit sich empor zu der Menschheit Höhen. Wo wären
wir in diesem Jahrhundert ohne diese Gewaltigen, die wie jene Beschwörer,


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[0025] Goethe- und Schillerhetzer nischo Fächer und Briefmarken. Wir würden uns gar nicht wundern, wenn man eines schönen Tages in das gerade Gegenteil umschlüge. Der Wirkung unsrer Klassiker geschähe dadurch kein Abbruch. Wohl aber geschieht ihnen Abbruch durch eine unausgesetzte und plan¬ mäßige Hinderung und Zerstörung ihrer fortwirkenden und erobernden Kraft mit den Mitteln gewissenloser Herabziehung und Verleumdung. Große Charak¬ tere und Geisteswerke erfüllen eine stille, aber gewaltige Mission, fortwirkend durch Zeit und Raum. Sie treffen verwandte Naturen, wo sie auch weiten mögen auf dem Erdball oder in den Jahrhunderten. Diese bilden ihre nn- bemerkbnre, aber wahrhafte Gemeinde, die unsichtbare Kirche — das Wort sei erlaubt zur Bezeichnung von etwas sehr Hohem und Heiligem --, die jeder große Geist dein Ewigen stiftet. Bei dieser Mission sind unsre Geistes Helden des vorigen Jahrhunderts noch nicht lange, dieses Publikum ist unabhängig von Kommentatoren und Prachtallsgaben, es ist weder überzahlreich noch über¬ sättigt; aber dafür ist es zerstreut in allen Landen, und wen» mau von Amerika bis Nußlnud die Wirkungen sieht, die ihr Same windgetragen hervorzaubert, wo er sich einsenken konnte, so muß man nur wünsche», daß es sich mehr und innuer mehr an ihren Früchten faltige. Alles, was ans dieser Erde dem Geiste dient, müßte das wünschen. Am allerwenigsten liegt es im Interesse der sichtbaren Kirche, gerade diese unsichtbaren Mitstreiter von sich abzuweisen. Keine klassische oder, allgemeiner gesprochen, allen Völkern gemeinsame Litteratur ist in so hohem Grade erfüllt von dem innersten, treibenden Gedanken der Kirche, als einer ewigen Ordnung unter den Menschen, wie die deutsche. Und wir dürfen hinzusetzen, keine in so zeitgemäßer Weise. Unsre klassische Litteratur ist die einzige, die bereits kritisch wohlbekannt, ja, was schwerer wiegt, die hervorgegangen ist ans den ersten Kämpfen mit all den dunkel» Mächten, melche gerade heute die Kräfte auch der Kirche als Hüterin des Geistes mehr denn je aufrufen. Als gerader Gegenschlag gegen das Keimzeitalter der Re- volutionsperiode, als versöhnende Auflösung seiner beängstigenden Fragen und schrillen Mißklänge hat sie sich entwickelt. Gegen das unbedingte Ansehen Vol¬ taires schlug Lessing seine Schlachten, von Rousseaus sozialer Verzweiflung wies Herder ans freie, lichte Höhen einer unbegrenzten Aussicht auf menschlich würdige Thätigkeit. Über die unheimlichen Abgründe des 8Me>.in<z av In nuwre schritt der gesunde Sinn des jungen Goethe wohlgemut zur Ordnung eines neuen Tages über, alle Schlacken seiner Umgebung in dem reinen Jener seines Geistesblicks läuternd. Und wo er zweifelhaft lassen konnte, wo bei ihm die Höhe der geistigen Umschau deu Blick des Alltagsmenschen trüben und verwirre» kennte, da setzte, „mit kühnen Schritten die Bahn des Wollens »ut Voll- Ringens messend", Friedrich Schiller ein und riß den Zweifelnden und Strauchelnden mit sich empor zu der Menschheit Höhen. Wo wären wir in diesem Jahrhundert ohne diese Gewaltigen, die wie jene Beschwörer, Gmizboteu I 1889 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/25>, abgerufen am 29.06.2024.