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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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ES ist ein schwerer Fehler der ungarischen Uuterrichtsverwnltnng, das;
sie ihre Aufgabe in der Hebung der "magyarischen Kultur," und zwar aus¬
schließlich dieser sieht. Wie weit muß es dach mit der Begriffsverwirrung
schon gekommen sein, wenn der Verein der ungarischen Mittelschulprofessoren
im Laufe dieses Sommers bei der Generalversammlung in Pest den Antrag
annehmen und dem Minister zur Durchführung empfehlen konnte: es mochte
hinfort der Unterricht in der deutschen Sprache aus allen nichtmagyarischeu
Lehranstalten verbannt werden; denn die Nationalitäten hätten genug, wenn
sie ihre Kultur von der "herrschenden Nation" empfingen, die allein berechtigt
sei, sich die höhere Kultur, wie das Deutsche sie doch anch in Ungarn allein
zu geben im Stande ist, anzueignen!

Der Stand der wenigen deutschen Volksschiileu wird jährlich dadurch noch
schwieriger, daß es in ganz Ungarn keine deutschen Volksschullehrer-Bildungs-
anstalten giebt; uur die siebenbürger Sachsen erhalten sich ihre Semi-
narien. Man kann sich also denken, wie es mit den deutsche" Kenntnissen und
dein deutschen Unterricht solcher Lehrer beschaffen ist. Zuerst geht der Knabe
durch eine halbinagyarisirte "Volksschule"; dann geht er in ein ganz magya-
risirtes Lehrerseminar, legt magyarische Prüfungen ub und soll dann -- eine
deutsche Schule leiten!

Diesen Charakter der ungarischen Unterrichtspvlitik zeigt u. n. auch ihr
Verhalten gegen die Kindergärten. Zunächst erklärt der Auszug, die Kinder-
bewahranstalten seien ein "brennendes Bedürfnis" in Ungarn. Im Zusammen¬
hange damit hat dann der Staat bis 18W 41 solche Anstalten errichtet, nach
den Worten des Auszugs "allemal an Orten, wo es das Staats- und Ge¬
sellschaftsinteresse unbedingt erfordert." Es ist schade, daß dieses "Stants-
und Gesellschaftsinteresfe" nicht näher dargelegt ist. Die Leser im Auslande
werden sich wundern, wenn sie erfahren, daß diese Anstalten vor allem in '
gemischtsprachigen Gegenden errichtet worden sind, wo der Zweck offen und
geheim der ist, die Kinder der Nichtmagynren schon im frühesten Alter der
magyarischen Sprache zu gewinne"! Noch mehr, der Minister hat sich nicht
gescheut, allen nichtmngyarischen Kindergärten, soweit sie von Einzelnen und
Konfessionen u. s. f. erhalten werden, zu befehlen, mit den nichtmagynrischen
Kindern auch in diesen Anstalten schon magyarisch zu sprechen ! Es wäre lächer¬
lich, wenn es nicht traurig wäre:

Mittelschulen, d. i. Gymnasien und Realschulen, gab es in den Jahre"
1885 -87 in Ungarn 178, und zwar 150 Gymnasien und 28 Realschulen,
Staatliche Anstalten waren hiervon bloß 29, aus dein katholischen Stndien-
fonds wurden 18 erhalten, katholisch waren 42, von den autonomen Konfessionen
wurden 59 erhalten, kommunal waren 26 u. s. w. Man sieht, der Staat
hat es sich leicht gemacht: Konfessionen und Stiftungen bezahlen die weitaus
größte Mehrzahl, und der Staat - verfügt Wer sie. Denn ein weitgehendes


ES ist ein schwerer Fehler der ungarischen Uuterrichtsverwnltnng, das;
sie ihre Aufgabe in der Hebung der „magyarischen Kultur," und zwar aus¬
schließlich dieser sieht. Wie weit muß es dach mit der Begriffsverwirrung
schon gekommen sein, wenn der Verein der ungarischen Mittelschulprofessoren
im Laufe dieses Sommers bei der Generalversammlung in Pest den Antrag
annehmen und dem Minister zur Durchführung empfehlen konnte: es mochte
hinfort der Unterricht in der deutschen Sprache aus allen nichtmagyarischeu
Lehranstalten verbannt werden; denn die Nationalitäten hätten genug, wenn
sie ihre Kultur von der „herrschenden Nation" empfingen, die allein berechtigt
sei, sich die höhere Kultur, wie das Deutsche sie doch anch in Ungarn allein
zu geben im Stande ist, anzueignen!

Der Stand der wenigen deutschen Volksschiileu wird jährlich dadurch noch
schwieriger, daß es in ganz Ungarn keine deutschen Volksschullehrer-Bildungs-
anstalten giebt; uur die siebenbürger Sachsen erhalten sich ihre Semi-
narien. Man kann sich also denken, wie es mit den deutsche» Kenntnissen und
dein deutschen Unterricht solcher Lehrer beschaffen ist. Zuerst geht der Knabe
durch eine halbinagyarisirte „Volksschule"; dann geht er in ein ganz magya-
risirtes Lehrerseminar, legt magyarische Prüfungen ub und soll dann — eine
deutsche Schule leiten!

Diesen Charakter der ungarischen Unterrichtspvlitik zeigt u. n. auch ihr
Verhalten gegen die Kindergärten. Zunächst erklärt der Auszug, die Kinder-
bewahranstalten seien ein „brennendes Bedürfnis" in Ungarn. Im Zusammen¬
hange damit hat dann der Staat bis 18W 41 solche Anstalten errichtet, nach
den Worten des Auszugs „allemal an Orten, wo es das Staats- und Ge¬
sellschaftsinteresse unbedingt erfordert." Es ist schade, daß dieses „Stants-
und Gesellschaftsinteresfe" nicht näher dargelegt ist. Die Leser im Auslande
werden sich wundern, wenn sie erfahren, daß diese Anstalten vor allem in '
gemischtsprachigen Gegenden errichtet worden sind, wo der Zweck offen und
geheim der ist, die Kinder der Nichtmagynren schon im frühesten Alter der
magyarischen Sprache zu gewinne»! Noch mehr, der Minister hat sich nicht
gescheut, allen nichtmngyarischen Kindergärten, soweit sie von Einzelnen und
Konfessionen u. s. f. erhalten werden, zu befehlen, mit den nichtmagynrischen
Kindern auch in diesen Anstalten schon magyarisch zu sprechen ! Es wäre lächer¬
lich, wenn es nicht traurig wäre:

Mittelschulen, d. i. Gymnasien und Realschulen, gab es in den Jahre»
1885 -87 in Ungarn 178, und zwar 150 Gymnasien und 28 Realschulen,
Staatliche Anstalten waren hiervon bloß 29, aus dein katholischen Stndien-
fonds wurden 18 erhalten, katholisch waren 42, von den autonomen Konfessionen
wurden 59 erhalten, kommunal waren 26 u. s. w. Man sieht, der Staat
hat es sich leicht gemacht: Konfessionen und Stiftungen bezahlen die weitaus
größte Mehrzahl, und der Staat - verfügt Wer sie. Denn ein weitgehendes


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[0166] ES ist ein schwerer Fehler der ungarischen Uuterrichtsverwnltnng, das; sie ihre Aufgabe in der Hebung der „magyarischen Kultur," und zwar aus¬ schließlich dieser sieht. Wie weit muß es dach mit der Begriffsverwirrung schon gekommen sein, wenn der Verein der ungarischen Mittelschulprofessoren im Laufe dieses Sommers bei der Generalversammlung in Pest den Antrag annehmen und dem Minister zur Durchführung empfehlen konnte: es mochte hinfort der Unterricht in der deutschen Sprache aus allen nichtmagyarischeu Lehranstalten verbannt werden; denn die Nationalitäten hätten genug, wenn sie ihre Kultur von der „herrschenden Nation" empfingen, die allein berechtigt sei, sich die höhere Kultur, wie das Deutsche sie doch anch in Ungarn allein zu geben im Stande ist, anzueignen! Der Stand der wenigen deutschen Volksschiileu wird jährlich dadurch noch schwieriger, daß es in ganz Ungarn keine deutschen Volksschullehrer-Bildungs- anstalten giebt; uur die siebenbürger Sachsen erhalten sich ihre Semi- narien. Man kann sich also denken, wie es mit den deutsche» Kenntnissen und dein deutschen Unterricht solcher Lehrer beschaffen ist. Zuerst geht der Knabe durch eine halbinagyarisirte „Volksschule"; dann geht er in ein ganz magya- risirtes Lehrerseminar, legt magyarische Prüfungen ub und soll dann — eine deutsche Schule leiten! Diesen Charakter der ungarischen Unterrichtspvlitik zeigt u. n. auch ihr Verhalten gegen die Kindergärten. Zunächst erklärt der Auszug, die Kinder- bewahranstalten seien ein „brennendes Bedürfnis" in Ungarn. Im Zusammen¬ hange damit hat dann der Staat bis 18W 41 solche Anstalten errichtet, nach den Worten des Auszugs „allemal an Orten, wo es das Staats- und Ge¬ sellschaftsinteresse unbedingt erfordert." Es ist schade, daß dieses „Stants- und Gesellschaftsinteresfe" nicht näher dargelegt ist. Die Leser im Auslande werden sich wundern, wenn sie erfahren, daß diese Anstalten vor allem in ' gemischtsprachigen Gegenden errichtet worden sind, wo der Zweck offen und geheim der ist, die Kinder der Nichtmagynren schon im frühesten Alter der magyarischen Sprache zu gewinne»! Noch mehr, der Minister hat sich nicht gescheut, allen nichtmngyarischen Kindergärten, soweit sie von Einzelnen und Konfessionen u. s. f. erhalten werden, zu befehlen, mit den nichtmagynrischen Kindern auch in diesen Anstalten schon magyarisch zu sprechen ! Es wäre lächer¬ lich, wenn es nicht traurig wäre: Mittelschulen, d. i. Gymnasien und Realschulen, gab es in den Jahre» 1885 -87 in Ungarn 178, und zwar 150 Gymnasien und 28 Realschulen, Staatliche Anstalten waren hiervon bloß 29, aus dein katholischen Stndien- fonds wurden 18 erhalten, katholisch waren 42, von den autonomen Konfessionen wurden 59 erhalten, kommunal waren 26 u. s. w. Man sieht, der Staat hat es sich leicht gemacht: Konfessionen und Stiftungen bezahlen die weitaus größte Mehrzahl, und der Staat - verfügt Wer sie. Denn ein weitgehendes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/166>, abgerufen am 29.06.2024.