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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Das ungarische Unterrichtswesen

Von 1879 handelt über den obligatorischen Unterricht in der magyarischen
Sprache in allen Volksschulen und ordnet nu, daß in allen Volksschulen
Ungarns unter den Unterrichtsgegenständen sich anch die magyarische Sprache
befinden müsse, und zwar seien zur sofortige" Aufnahme dieses Unterrichts-
gegenstandes diejenigen Schulen verpflichtet, in denen ein des Magyarischen
kundiger Lehrer angestellt sei, oder ein Lehrer, der seit 1875! die Lehrerbildungs¬
anstalt verlassen habe. In allen andern Schulen soll der Unterricht nur dann
begonnen werde", wenn der Lehrer ihn zu erteilen befähigt ist. Es ist nun
bezeichnend, daß für diejenigen Lehrer, die zum Teil für den magyarischen Unter¬
richt nicht befähigt waren, zum Teil, weil sie vor 1873 angestellt waren, auch
nicht dazu verpflichtet waren, magyarische Sprachkurse abgehalten wurden, die
in sechs Wochen sie befähigen sollten, den Unterricht zu erteilen. Und es ist
wieder außerordentlich bezeichnend, daß der Minister über diese Veranstaltung
schreibt: "Wiewohl betreffs des Unterrichtsergebnisses dieser kurzbemessenen
Kurse unter den gegebenen Verhältnissen keine sanguinische!, Hoffnungen gehegt
werden konnten, that ich dies in der festen Überzeugung, daß der Gewinn des
intellektuellen und vielleicht noch mehr des ethischen Endresultates nicht aus¬
bleiben könne." Was hinter diesem Wortschwall steckt, ahnt man wohl; daß
es undeutlich ausgedrückt ist, geschah natürlich mit Rücksicht ans das Anstand.

Wie völlig bar jedes pädagogischen Bedenkens, mehr noch nationaler Be¬
denken die ungarischen Schulleiter sind, das zeigt sich eben in der Behandlung
des magyarischen Unterrichts. Nicht genng, daß die Kulturentwicklung der
Nichtmagyaren in außerordentlicher Weise gehemmt und eingeengt worden ist
durch die Einführung des magyarischen Unterrichts, auf den nutzlos -- denn
es ist Einbildung, zu glauben, der Bauerbursche, der im Verkehr kein Wort
magyarisch hört, werde diese schwere Sprache in der Schule lernen -- so viel
Zeit verwendet wird, die besser auf andres verwendet werden könnte, nicht
genug, daß dieser Zwang das Seine dazu beitrüge, den Widerwillen gegen
diese Sprache bis in die letzte Bauernhütte zu verbreiten, schreibt der Bericht
anch an einer Stelle wörtlich, die mangelhafte Erfüllung des Gesetzes habe
ihren Grund "nicht immer und nicht überall in der mangelnden magyarischen
Sprachkenntnis des Lehrers, sondern much in andern Faktoren"; darauf weise
auch der Umstand hin, "daß es im Jahre 1885 -86 5125 Volksschulen ohne
magyarische Unterrichtssprache gegeben habe, während nnr 2453 Lehrer der
magyarischen Sprache nicht in dem Maße kundig seien, um darin unterrichten
zu können."

Das ist nun zunächst darauf berechnet, das Ausland glauben zu machen,
die Schulen der Konfessionen hielten sich nicht an das Gesetz, während that¬
sächlich von ihnen keins verletzt wird. Dann aber scheint aus der Darstellung
die Auffassung der leitenden Kreise durch, als ob mit jenem Gesetz, das aus¬
drücklich die magyarische Sprache nur zu einem Unterrichtsgegenstände macht, diese


Das ungarische Unterrichtswesen

Von 1879 handelt über den obligatorischen Unterricht in der magyarischen
Sprache in allen Volksschulen und ordnet nu, daß in allen Volksschulen
Ungarns unter den Unterrichtsgegenständen sich anch die magyarische Sprache
befinden müsse, und zwar seien zur sofortige« Aufnahme dieses Unterrichts-
gegenstandes diejenigen Schulen verpflichtet, in denen ein des Magyarischen
kundiger Lehrer angestellt sei, oder ein Lehrer, der seit 1875! die Lehrerbildungs¬
anstalt verlassen habe. In allen andern Schulen soll der Unterricht nur dann
begonnen werde», wenn der Lehrer ihn zu erteilen befähigt ist. Es ist nun
bezeichnend, daß für diejenigen Lehrer, die zum Teil für den magyarischen Unter¬
richt nicht befähigt waren, zum Teil, weil sie vor 1873 angestellt waren, auch
nicht dazu verpflichtet waren, magyarische Sprachkurse abgehalten wurden, die
in sechs Wochen sie befähigen sollten, den Unterricht zu erteilen. Und es ist
wieder außerordentlich bezeichnend, daß der Minister über diese Veranstaltung
schreibt: „Wiewohl betreffs des Unterrichtsergebnisses dieser kurzbemessenen
Kurse unter den gegebenen Verhältnissen keine sanguinische!, Hoffnungen gehegt
werden konnten, that ich dies in der festen Überzeugung, daß der Gewinn des
intellektuellen und vielleicht noch mehr des ethischen Endresultates nicht aus¬
bleiben könne." Was hinter diesem Wortschwall steckt, ahnt man wohl; daß
es undeutlich ausgedrückt ist, geschah natürlich mit Rücksicht ans das Anstand.

Wie völlig bar jedes pädagogischen Bedenkens, mehr noch nationaler Be¬
denken die ungarischen Schulleiter sind, das zeigt sich eben in der Behandlung
des magyarischen Unterrichts. Nicht genng, daß die Kulturentwicklung der
Nichtmagyaren in außerordentlicher Weise gehemmt und eingeengt worden ist
durch die Einführung des magyarischen Unterrichts, auf den nutzlos — denn
es ist Einbildung, zu glauben, der Bauerbursche, der im Verkehr kein Wort
magyarisch hört, werde diese schwere Sprache in der Schule lernen — so viel
Zeit verwendet wird, die besser auf andres verwendet werden könnte, nicht
genug, daß dieser Zwang das Seine dazu beitrüge, den Widerwillen gegen
diese Sprache bis in die letzte Bauernhütte zu verbreiten, schreibt der Bericht
anch an einer Stelle wörtlich, die mangelhafte Erfüllung des Gesetzes habe
ihren Grund „nicht immer und nicht überall in der mangelnden magyarischen
Sprachkenntnis des Lehrers, sondern much in andern Faktoren"; darauf weise
auch der Umstand hin, „daß es im Jahre 1885 -86 5125 Volksschulen ohne
magyarische Unterrichtssprache gegeben habe, während nnr 2453 Lehrer der
magyarischen Sprache nicht in dem Maße kundig seien, um darin unterrichten
zu können."

Das ist nun zunächst darauf berechnet, das Ausland glauben zu machen,
die Schulen der Konfessionen hielten sich nicht an das Gesetz, während that¬
sächlich von ihnen keins verletzt wird. Dann aber scheint aus der Darstellung
die Auffassung der leitenden Kreise durch, als ob mit jenem Gesetz, das aus¬
drücklich die magyarische Sprache nur zu einem Unterrichtsgegenstände macht, diese


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[0164] Das ungarische Unterrichtswesen Von 1879 handelt über den obligatorischen Unterricht in der magyarischen Sprache in allen Volksschulen und ordnet nu, daß in allen Volksschulen Ungarns unter den Unterrichtsgegenständen sich anch die magyarische Sprache befinden müsse, und zwar seien zur sofortige« Aufnahme dieses Unterrichts- gegenstandes diejenigen Schulen verpflichtet, in denen ein des Magyarischen kundiger Lehrer angestellt sei, oder ein Lehrer, der seit 1875! die Lehrerbildungs¬ anstalt verlassen habe. In allen andern Schulen soll der Unterricht nur dann begonnen werde», wenn der Lehrer ihn zu erteilen befähigt ist. Es ist nun bezeichnend, daß für diejenigen Lehrer, die zum Teil für den magyarischen Unter¬ richt nicht befähigt waren, zum Teil, weil sie vor 1873 angestellt waren, auch nicht dazu verpflichtet waren, magyarische Sprachkurse abgehalten wurden, die in sechs Wochen sie befähigen sollten, den Unterricht zu erteilen. Und es ist wieder außerordentlich bezeichnend, daß der Minister über diese Veranstaltung schreibt: „Wiewohl betreffs des Unterrichtsergebnisses dieser kurzbemessenen Kurse unter den gegebenen Verhältnissen keine sanguinische!, Hoffnungen gehegt werden konnten, that ich dies in der festen Überzeugung, daß der Gewinn des intellektuellen und vielleicht noch mehr des ethischen Endresultates nicht aus¬ bleiben könne." Was hinter diesem Wortschwall steckt, ahnt man wohl; daß es undeutlich ausgedrückt ist, geschah natürlich mit Rücksicht ans das Anstand. Wie völlig bar jedes pädagogischen Bedenkens, mehr noch nationaler Be¬ denken die ungarischen Schulleiter sind, das zeigt sich eben in der Behandlung des magyarischen Unterrichts. Nicht genng, daß die Kulturentwicklung der Nichtmagyaren in außerordentlicher Weise gehemmt und eingeengt worden ist durch die Einführung des magyarischen Unterrichts, auf den nutzlos — denn es ist Einbildung, zu glauben, der Bauerbursche, der im Verkehr kein Wort magyarisch hört, werde diese schwere Sprache in der Schule lernen — so viel Zeit verwendet wird, die besser auf andres verwendet werden könnte, nicht genug, daß dieser Zwang das Seine dazu beitrüge, den Widerwillen gegen diese Sprache bis in die letzte Bauernhütte zu verbreiten, schreibt der Bericht anch an einer Stelle wörtlich, die mangelhafte Erfüllung des Gesetzes habe ihren Grund „nicht immer und nicht überall in der mangelnden magyarischen Sprachkenntnis des Lehrers, sondern much in andern Faktoren"; darauf weise auch der Umstand hin, „daß es im Jahre 1885 -86 5125 Volksschulen ohne magyarische Unterrichtssprache gegeben habe, während nnr 2453 Lehrer der magyarischen Sprache nicht in dem Maße kundig seien, um darin unterrichten zu können." Das ist nun zunächst darauf berechnet, das Ausland glauben zu machen, die Schulen der Konfessionen hielten sich nicht an das Gesetz, während that¬ sächlich von ihnen keins verletzt wird. Dann aber scheint aus der Darstellung die Auffassung der leitenden Kreise durch, als ob mit jenem Gesetz, das aus¬ drücklich die magyarische Sprache nur zu einem Unterrichtsgegenstände macht, diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/164>, abgerufen am 29.06.2024.