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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Äreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

nneigemützigen Hilfe deutscher Gelehrte" von Gaston Paris ausgebaut worden,
sicher, in der Schule eines Dietz zum Romanisten gebildet, mit den umfäng¬
lichen Kenntnissen seines Vaters Paulin Paris die wissenschaftliche "Akribie"
unsrer Forscher vereinigt.

Aber nicht nur das Feld der französische" Litteraturgeschichte ist damit
'^deutend erweitert und das ganze Mittelalter über deu Häupter" der klassischen
-Periode in de" Rahnien der nationalen Dichtung aufgenommen worden, sondern
"und die Grundsätze der litterargcschichtlichen Auffassung, die Methode der
utterarischeu Kritik haben in Frankreich eine große Wandlung erfahren. B/an
allmählich daran gewöhnt, die Litteraturgeschichte im innigen Zusammen-
^ug mij andern Kraftquellen der menschlichen Gesittung zu betrachten,
N' nicht mehr eine Evolution an äoäsns zuzuschreiben, sondern in ihr lediglich
Endergebnis zu sehen, das Sammelbecken aller klaren und unklaren Ströme
Kulturleben einer Nation. Diese zusanuneuwirkendett Ströme müssen natur-
^Uläß ihren Ursprung in dem Überlieferten nild llbernommeneu finden, in
Einflüsse des Altslandes, in den Einwirkungen der philosophischen Systeme,
^ religiöse,!, wissenschaftlichen und kiinstlerischen Lebens, allein ihre eigen¬
artige Entwicklung und Vereinigung wird von dem vielgestaltigen Boden
Politischen Geschichte unbedingt abhängen. Denn nnr ans dem Grunde
unes gesunden staatlichen Lebens, das in ruhiger Entfaltung vorwärts schreitet,
^un sich l-mZ jenen Kräften eine gesunde und dmicrnde Litteratur bilden. Wir
NMen alles hier Strudel, Stromschnellen und Katarakte, aber anch Stauungen,
^rsandungen und Versumpfungen; und nicht zum geringsten Teil bewirken die
Bodenverhältnisse der politischen Geschichte die wechselnden litterarischen Zustände.

Es giebt Zeiten, die durch ein aufgeregtes staatliches Leben, eine sicher-
. ^le 5kraftanspan>kling, ein gewaltsames Überstürzen charakterisirt sind, Zeiten,
denen sich die litterarischen Strömungen plötzlich verlieren, wie die Kvu-
tmentälflüsse in den asiatischen Wüstenstrichcn. Derartige für das innere Glück
^ues Volkes verhängnisvolle Aufsaugungen finden wir in Frankreich im vier-
^ indem und fünfzehnten Jahrhundert während des hllndertjährigen Krieges mit
'glaub, im sechzehnten Jahrhundert zur Zeit der Hligcnottenkäiupfe, im sich-
'^indem während der Unruhen der Fronde, Ende des achtzehnten und Anfang
^ neunzehnten Jahrhunderts während der Revolution und der Napoleonischen
' ^ge. yjch die Gegenwart mit ihrer Potitischeii Zersplitterung, Unruhe
^^"Ziellosigkeit beeinträchtigt im höchsten Grade eine fruchtbare Gestaltung°es Lebens.^)



nuk r ^ ^ut wir aber in Deutschland besser daran? Das künstliche Hineintragen der sinnlos
Politischen Zänkereien in das geistige Leben unsers Volkes, die gewohnheits-
lan ^ ^"sregung und Maßlosigkeit bei nichtssagenden parlamentarischen Vorfällen hat schon
der^^ ^ die Pflege der schönen Litteratur ans den Kreisen der Männer in die Gemächer
Frnnen gedrängt. Die ganze deutsche Nationallitteratnr der GegeiMart ist trotz Wilden-
Äreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

nneigemützigen Hilfe deutscher Gelehrte» von Gaston Paris ausgebaut worden,
sicher, in der Schule eines Dietz zum Romanisten gebildet, mit den umfäng¬
lichen Kenntnissen seines Vaters Paulin Paris die wissenschaftliche „Akribie"
unsrer Forscher vereinigt.

Aber nicht nur das Feld der französische» Litteraturgeschichte ist damit
'^deutend erweitert und das ganze Mittelalter über deu Häupter» der klassischen
-Periode in de» Rahnien der nationalen Dichtung aufgenommen worden, sondern
"und die Grundsätze der litterargcschichtlichen Auffassung, die Methode der
utterarischeu Kritik haben in Frankreich eine große Wandlung erfahren. B/an
allmählich daran gewöhnt, die Litteraturgeschichte im innigen Zusammen-
^ug mij andern Kraftquellen der menschlichen Gesittung zu betrachten,
N' nicht mehr eine Evolution an äoäsns zuzuschreiben, sondern in ihr lediglich
Endergebnis zu sehen, das Sammelbecken aller klaren und unklaren Ströme
Kulturleben einer Nation. Diese zusanuneuwirkendett Ströme müssen natur-
^Uläß ihren Ursprung in dem Überlieferten nild llbernommeneu finden, in
Einflüsse des Altslandes, in den Einwirkungen der philosophischen Systeme,
^ religiöse,!, wissenschaftlichen und kiinstlerischen Lebens, allein ihre eigen¬
artige Entwicklung und Vereinigung wird von dem vielgestaltigen Boden
Politischen Geschichte unbedingt abhängen. Denn nnr ans dem Grunde
unes gesunden staatlichen Lebens, das in ruhiger Entfaltung vorwärts schreitet,
^un sich l-mZ jenen Kräften eine gesunde und dmicrnde Litteratur bilden. Wir
NMen alles hier Strudel, Stromschnellen und Katarakte, aber anch Stauungen,
^rsandungen und Versumpfungen; und nicht zum geringsten Teil bewirken die
Bodenverhältnisse der politischen Geschichte die wechselnden litterarischen Zustände.

Es giebt Zeiten, die durch ein aufgeregtes staatliches Leben, eine sicher-
. ^le 5kraftanspan>kling, ein gewaltsames Überstürzen charakterisirt sind, Zeiten,
denen sich die litterarischen Strömungen plötzlich verlieren, wie die Kvu-
tmentälflüsse in den asiatischen Wüstenstrichcn. Derartige für das innere Glück
^ues Volkes verhängnisvolle Aufsaugungen finden wir in Frankreich im vier-
^ indem und fünfzehnten Jahrhundert während des hllndertjährigen Krieges mit
'glaub, im sechzehnten Jahrhundert zur Zeit der Hligcnottenkäiupfe, im sich-
'^indem während der Unruhen der Fronde, Ende des achtzehnten und Anfang
^ neunzehnten Jahrhunderts während der Revolution und der Napoleonischen
' ^ge. yjch die Gegenwart mit ihrer Potitischeii Zersplitterung, Unruhe
^^"Ziellosigkeit beeinträchtigt im höchsten Grade eine fruchtbare Gestaltung°es Lebens.^)



nuk r ^ ^ut wir aber in Deutschland besser daran? Das künstliche Hineintragen der sinnlos
Politischen Zänkereien in das geistige Leben unsers Volkes, die gewohnheits-
lan ^ ^"sregung und Maßlosigkeit bei nichtssagenden parlamentarischen Vorfällen hat schon
der^^ ^ die Pflege der schönen Litteratur ans den Kreisen der Männer in die Gemächer
Frnnen gedrängt. Die ganze deutsche Nationallitteratnr der GegeiMart ist trotz Wilden-
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[0151] Äreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart nneigemützigen Hilfe deutscher Gelehrte» von Gaston Paris ausgebaut worden, sicher, in der Schule eines Dietz zum Romanisten gebildet, mit den umfäng¬ lichen Kenntnissen seines Vaters Paulin Paris die wissenschaftliche „Akribie" unsrer Forscher vereinigt. Aber nicht nur das Feld der französische» Litteraturgeschichte ist damit '^deutend erweitert und das ganze Mittelalter über deu Häupter» der klassischen -Periode in de» Rahnien der nationalen Dichtung aufgenommen worden, sondern "und die Grundsätze der litterargcschichtlichen Auffassung, die Methode der utterarischeu Kritik haben in Frankreich eine große Wandlung erfahren. B/an allmählich daran gewöhnt, die Litteraturgeschichte im innigen Zusammen- ^ug mij andern Kraftquellen der menschlichen Gesittung zu betrachten, N' nicht mehr eine Evolution an äoäsns zuzuschreiben, sondern in ihr lediglich Endergebnis zu sehen, das Sammelbecken aller klaren und unklaren Ströme Kulturleben einer Nation. Diese zusanuneuwirkendett Ströme müssen natur- ^Uläß ihren Ursprung in dem Überlieferten nild llbernommeneu finden, in Einflüsse des Altslandes, in den Einwirkungen der philosophischen Systeme, ^ religiöse,!, wissenschaftlichen und kiinstlerischen Lebens, allein ihre eigen¬ artige Entwicklung und Vereinigung wird von dem vielgestaltigen Boden Politischen Geschichte unbedingt abhängen. Denn nnr ans dem Grunde unes gesunden staatlichen Lebens, das in ruhiger Entfaltung vorwärts schreitet, ^un sich l-mZ jenen Kräften eine gesunde und dmicrnde Litteratur bilden. Wir NMen alles hier Strudel, Stromschnellen und Katarakte, aber anch Stauungen, ^rsandungen und Versumpfungen; und nicht zum geringsten Teil bewirken die Bodenverhältnisse der politischen Geschichte die wechselnden litterarischen Zustände. Es giebt Zeiten, die durch ein aufgeregtes staatliches Leben, eine sicher- . ^le 5kraftanspan>kling, ein gewaltsames Überstürzen charakterisirt sind, Zeiten, denen sich die litterarischen Strömungen plötzlich verlieren, wie die Kvu- tmentälflüsse in den asiatischen Wüstenstrichcn. Derartige für das innere Glück ^ues Volkes verhängnisvolle Aufsaugungen finden wir in Frankreich im vier- ^ indem und fünfzehnten Jahrhundert während des hllndertjährigen Krieges mit 'glaub, im sechzehnten Jahrhundert zur Zeit der Hligcnottenkäiupfe, im sich- '^indem während der Unruhen der Fronde, Ende des achtzehnten und Anfang ^ neunzehnten Jahrhunderts während der Revolution und der Napoleonischen ' ^ge. yjch die Gegenwart mit ihrer Potitischeii Zersplitterung, Unruhe ^^"Ziellosigkeit beeinträchtigt im höchsten Grade eine fruchtbare Gestaltung°es Lebens.^) nuk r ^ ^ut wir aber in Deutschland besser daran? Das künstliche Hineintragen der sinnlos Politischen Zänkereien in das geistige Leben unsers Volkes, die gewohnheits- lan ^ ^"sregung und Maßlosigkeit bei nichtssagenden parlamentarischen Vorfällen hat schon der^^ ^ die Pflege der schönen Litteratur ans den Kreisen der Männer in die Gemächer Frnnen gedrängt. Die ganze deutsche Nationallitteratnr der GegeiMart ist trotz Wilden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/151>, abgerufen am 28.09.2024.