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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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anthropischer Schwärmer, der heilige Geist als einer der vielen Schüler Hegels,
die den Meister nicht verstanden haben, und Gott Vater gar als ein durch die
Kritik gemißhandelter und entmutigter Poet, das sieht allerdings beinahe so
aus wie Hohn. Wir glauben nicht, daß die Verfasserin diese Wirkung be¬
absichtigt habe, um so weniger, als sie in vielen andern Gedichten, auch in
dem hier in Rede stehenden selbst, doch wieder eine tiefe Religiosität bekundet.

Was die künstlerische Ausführung aller Gedichte dieser Sammlung betrifft,
so können wir ihr nnr rückhaltlos unsre Bewunderung zollen. Überall tritt
uns ein ungewöhnlicher Reichtum an Erfindung und Einfällen entgegen. Alles
erscheint bedeutend; nirgends ist Raum für eine Phrase, einen Gemeinplatz.
Durchaus erweist sich die Verfasserin als eine Meisterin in den mannigfaltigsten
metrischen Formen und als eine Sprachbeherrscherin, der stets der knappste,
schlichteste, naivste und doch zugleich eigenartigste und wohllautendste Ausdruck
zu Gebote steht. Kleine Unebenheiten und Ungenauigkeiten sind mit unter-
gelnufen, denen nachzuspüren wir uns hier um so eher erlassen können, als
wir auch, absichtlich, darauf verzichten, unser Lob der Form durch Anführung
von Beispielen zu begründen, und als die notwendige Begründung einiger Be¬
denken, die wir hinsichtlich des Inhaltes hegten, ohnehin schon einen unver¬
hältnismäßig breiten Raum beansprucht hat.


Haus Marbach


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Sozialreform.

Schon oft ist in diesen Blättern darauf hingewiesen
worden, daß die Sozialdemokratie nicht allein durch die Ausnahmebestimmungen
des Sozialistengesetzes bekämpft werden kann, sondern daß, während dies Gesetz
Ruhe zur Arbeit schafft, eine positive Thätigkeit nötig ist, die darauf abzielt, die
wirklich vorhandenen sozialen Schäden zu heilen. Denn daß soziale Schäden vor¬
handen sind, wird niemand leugnen, der sich nur einigermaßen mit den einschla¬
genden Fragen beschäftigt, ohne durch vorgefaßte Meinungen blind gemacht worden
zu fein. Niemand kann daher auch bestreiten, daß in den Forderungen der Sozial¬
demokratie mancher richtige Kern enthalten ist, wie es auch bei den Artikeln der
Bauern im Bauernkrieg der Fall war, wenn diese Forderungen auch gleich denen
der unglücklichen Bauern durch Mißverstand und Fanatismus vielfach bis zu ganz
verkehrten Zielen gesteigert worden sind. Nicht dankbar genug können wir daher
Kaiser Wilhelm I. und seinem Kanzler sein, daß sie die Positive Sozialreform trotz
aller Schwierigkeiten, die sich ihnen bei der auch in den gebildeten Kreisen fast
allgemein verbreiteten Unkenntnis über die einschlagenden Fragen boten, nicht nur


anthropischer Schwärmer, der heilige Geist als einer der vielen Schüler Hegels,
die den Meister nicht verstanden haben, und Gott Vater gar als ein durch die
Kritik gemißhandelter und entmutigter Poet, das sieht allerdings beinahe so
aus wie Hohn. Wir glauben nicht, daß die Verfasserin diese Wirkung be¬
absichtigt habe, um so weniger, als sie in vielen andern Gedichten, auch in
dem hier in Rede stehenden selbst, doch wieder eine tiefe Religiosität bekundet.

Was die künstlerische Ausführung aller Gedichte dieser Sammlung betrifft,
so können wir ihr nnr rückhaltlos unsre Bewunderung zollen. Überall tritt
uns ein ungewöhnlicher Reichtum an Erfindung und Einfällen entgegen. Alles
erscheint bedeutend; nirgends ist Raum für eine Phrase, einen Gemeinplatz.
Durchaus erweist sich die Verfasserin als eine Meisterin in den mannigfaltigsten
metrischen Formen und als eine Sprachbeherrscherin, der stets der knappste,
schlichteste, naivste und doch zugleich eigenartigste und wohllautendste Ausdruck
zu Gebote steht. Kleine Unebenheiten und Ungenauigkeiten sind mit unter-
gelnufen, denen nachzuspüren wir uns hier um so eher erlassen können, als
wir auch, absichtlich, darauf verzichten, unser Lob der Form durch Anführung
von Beispielen zu begründen, und als die notwendige Begründung einiger Be¬
denken, die wir hinsichtlich des Inhaltes hegten, ohnehin schon einen unver¬
hältnismäßig breiten Raum beansprucht hat.


Haus Marbach


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Sozialreform.

Schon oft ist in diesen Blättern darauf hingewiesen
worden, daß die Sozialdemokratie nicht allein durch die Ausnahmebestimmungen
des Sozialistengesetzes bekämpft werden kann, sondern daß, während dies Gesetz
Ruhe zur Arbeit schafft, eine positive Thätigkeit nötig ist, die darauf abzielt, die
wirklich vorhandenen sozialen Schäden zu heilen. Denn daß soziale Schäden vor¬
handen sind, wird niemand leugnen, der sich nur einigermaßen mit den einschla¬
genden Fragen beschäftigt, ohne durch vorgefaßte Meinungen blind gemacht worden
zu fein. Niemand kann daher auch bestreiten, daß in den Forderungen der Sozial¬
demokratie mancher richtige Kern enthalten ist, wie es auch bei den Artikeln der
Bauern im Bauernkrieg der Fall war, wenn diese Forderungen auch gleich denen
der unglücklichen Bauern durch Mißverstand und Fanatismus vielfach bis zu ganz
verkehrten Zielen gesteigert worden sind. Nicht dankbar genug können wir daher
Kaiser Wilhelm I. und seinem Kanzler sein, daß sie die Positive Sozialreform trotz
aller Schwierigkeiten, die sich ihnen bei der auch in den gebildeten Kreisen fast
allgemein verbreiteten Unkenntnis über die einschlagenden Fragen boten, nicht nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/102>, abgerufen am 22.07.2024.