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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

liehen, die einem einstmals stolzen, nun elend verfallenden Schloßbau glich. Man
kann nicht auf die Länge in einem solchen Bau ruhig weiter wohnen und sich
die zerbröckelnder Mauern und Dächer gutmütig nur ganz träumen und in dem
alten Schmuck. Das Ahnen und Sehnen nach einem Neubau des Reiches war
nicht zu ersticken. Das legten uns gerade die Franzosen nahe genug, als sie
im siebzehnten Jahrhundert straflos verwüstend und raubend in das Reich ein¬
brachen. Daher denn mahnende, spornende Stimmen, wie in einem Gedichte
von Abschatz (Eisenhütel) mit Bezug auf das Unerhörte, was da in der Pfalz,
in Schwaben, im Elsaß geschah:


Wollt ihr ^Deutsche) euch unterwinden,
Zu thun, was sich gebührt,
Ein Hermann wird sich finden,
Der euch an Reihen führt.

Ein Hermann, wie man sich den römischen Namen Arminius schon seit dem
sechzehnten Jahrhundert deutsch zurecht machte. Der große Cheruskerfürst, der
einst die römische Flut zuerst zum stauen und Rückfluß gebracht hatte, als sie
nach Verschlingung Galliens nun auch Germanien verschlingen wollte, war erst
im sechzehnten Jahrhundert wieder aufgetaucht aus der Tiefe der Vergessenheit,
in die er für das deutsche Bewußtsein lange Jahrhunderte versunken war. Die
Humanisten haben ihn aus römischer Quelle wieder erweckt, er trat nun im
gelehrten Bewußtsein auf als wunderbar glänzende Gestalt, kam von da nachher
auch ins Volksbewußtsein und trat eigentlich an die Stelle des Friedrich der
nationalen Weissagungen und Hoffnungen, den die Gelehrten schon seit dem
fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert dem Volke überließen wie ein Kinder¬
märchen. Nun ward der Cherusker der deutsche Held, an dem sich der Glaube
an deutsche Kraft und Größe und Zukunft anklammerte, für die Heldengestalt
aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert trat eine um mehr als ein
Jahrtausend ältere aus dem ersten Jahrhundert ein, eine gewaltige Ausweitung
des geschichtlichen Selbstbewußtseins, und der Held hatte es ja mit Rom, der
Weltherrin, auf der Höhe ihrer Macht siegreich aufgenommen, was auch der
Römer Tacitus mit bewundernden Worten ausspricht, und hatte dazu das
Wunder vollbracht, die deutschen Stämme aus ihrer herkömmlichen Zwietracht
einmal zu gemeinsamer Kraftwirkung zusammenzufassen; sein tragisches Ende
aber, auch so recht deutsch, indem er eben an dem Versuche, die deutschen Kräfte
anch beisammen zu halten, zu Grunde ging, gab der Heldengestalt eine Weihe
des Schmerzes von höchster Poesie und mahnender Lehre zugleich. So lebte er,
sechzehn oder siebzehn Jahrhunderte nach seinem wirklichen Leben, wieder auf im
deutschen Geiste als Mahner und Ermutiger mit lebendig wirkender Kraft, wie
ihn die zwischen fortschreitendem Verfall und frischem Aufschwung, zwischen
großer Angst und großer Hoffnung kämpfende Zeit gerade brauchte.


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

liehen, die einem einstmals stolzen, nun elend verfallenden Schloßbau glich. Man
kann nicht auf die Länge in einem solchen Bau ruhig weiter wohnen und sich
die zerbröckelnder Mauern und Dächer gutmütig nur ganz träumen und in dem
alten Schmuck. Das Ahnen und Sehnen nach einem Neubau des Reiches war
nicht zu ersticken. Das legten uns gerade die Franzosen nahe genug, als sie
im siebzehnten Jahrhundert straflos verwüstend und raubend in das Reich ein¬
brachen. Daher denn mahnende, spornende Stimmen, wie in einem Gedichte
von Abschatz (Eisenhütel) mit Bezug auf das Unerhörte, was da in der Pfalz,
in Schwaben, im Elsaß geschah:


Wollt ihr ^Deutsche) euch unterwinden,
Zu thun, was sich gebührt,
Ein Hermann wird sich finden,
Der euch an Reihen führt.

Ein Hermann, wie man sich den römischen Namen Arminius schon seit dem
sechzehnten Jahrhundert deutsch zurecht machte. Der große Cheruskerfürst, der
einst die römische Flut zuerst zum stauen und Rückfluß gebracht hatte, als sie
nach Verschlingung Galliens nun auch Germanien verschlingen wollte, war erst
im sechzehnten Jahrhundert wieder aufgetaucht aus der Tiefe der Vergessenheit,
in die er für das deutsche Bewußtsein lange Jahrhunderte versunken war. Die
Humanisten haben ihn aus römischer Quelle wieder erweckt, er trat nun im
gelehrten Bewußtsein auf als wunderbar glänzende Gestalt, kam von da nachher
auch ins Volksbewußtsein und trat eigentlich an die Stelle des Friedrich der
nationalen Weissagungen und Hoffnungen, den die Gelehrten schon seit dem
fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert dem Volke überließen wie ein Kinder¬
märchen. Nun ward der Cherusker der deutsche Held, an dem sich der Glaube
an deutsche Kraft und Größe und Zukunft anklammerte, für die Heldengestalt
aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert trat eine um mehr als ein
Jahrtausend ältere aus dem ersten Jahrhundert ein, eine gewaltige Ausweitung
des geschichtlichen Selbstbewußtseins, und der Held hatte es ja mit Rom, der
Weltherrin, auf der Höhe ihrer Macht siegreich aufgenommen, was auch der
Römer Tacitus mit bewundernden Worten ausspricht, und hatte dazu das
Wunder vollbracht, die deutschen Stämme aus ihrer herkömmlichen Zwietracht
einmal zu gemeinsamer Kraftwirkung zusammenzufassen; sein tragisches Ende
aber, auch so recht deutsch, indem er eben an dem Versuche, die deutschen Kräfte
anch beisammen zu halten, zu Grunde ging, gab der Heldengestalt eine Weihe
des Schmerzes von höchster Poesie und mahnender Lehre zugleich. So lebte er,
sechzehn oder siebzehn Jahrhunderte nach seinem wirklichen Leben, wieder auf im
deutschen Geiste als Mahner und Ermutiger mit lebendig wirkender Kraft, wie
ihn die zwischen fortschreitendem Verfall und frischem Aufschwung, zwischen
großer Angst und großer Hoffnung kämpfende Zeit gerade brauchte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/79>, abgerufen am 22.07.2024.