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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Tyhne.

Tag viel an sie, aber immer störte ihn der wunderbar kühle Blick, den sie ge¬
habt hatte, c^s er sie zum letzten male in die Arme schloß. Wie schön wäre
es nicht gewesen, wie schmerzlich schön, wenn sie sich bis zuletzt an ihn ge¬
klammert und ihn nicht aus den Augen gelassen hätte, ehe der Tod es matt
gemacht, wenn es ihr genügt hätte, ihr Leben bis zum letzten Atemzuge an dem
Herzen zu Leben, das sie so sehr liebte, statt sich in der letzten Stunde von
ihm abzuwenden, um sich noch mehr Leben zu sichern, noch mehr Leben.

Den zweiten Tag im Lazarett) wurde Ricks schwermütiger infolge der
dumpfen Atmosphäre, die die Sehnsucht nach frischer Luft und
der Wunsch zu leben waren in s^n Gedanken seltsam mit einander verwoben.
Das Leben hatte doch viel Schönes gehabt, dachte er, wenn er sich die frische
Brise am heimatliche" Strande zurückrief, das leise Säuseln in Seelands
Buchenwaldungei^ die reine Bergluft in Clarens und die weichen Abendwinde
am Gardasee. Aber sobald er an die Menschen dachte, ward ihm wieder elend
zu Mute, Er rief sie sich einzeln ins Gedächtnis, und alle gingen sie an ihm
vorüber und ließen ihn allein; auch nicht einer blieb bei ihm zurück. Aber
wie hatte denn er a" ihnen festgehalten, war er denn etwa treu geMsen? Da
war nur der eine Unterschied, daß er sie langsamer hatte fällen lassen. Nein,
das war es nicht. Es war das unsäglich Traurige, daß eine Seele stets allein
ist. Jeder Glaube an ein Zusammenschmelzen zweier Seelen war eine Lüge.
Nicht die Mutter, die uns auf dem Schoße., gehalten, nich^der Freund, nicht
die Gattin, sie an unserm Herzen^Heruht --
'

Gegen Abend-wunde er unruhig, und die Schmerzen in der Wunde
nahmen^u. "

Hjerrild kam und saß am Abend einen Augenblick neben ihm; gegen
Mittemack^kam er wrdder und saß lange da. 5Hicks litt sehr und stöhnte vor
Schmerzen. ,^ . ,

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Ein Wort in aAem Ernst, Lhhne^. sagt^Hjerrild, wünschen Sie nM einem
Pfarrer zu sprechen? ' "5 " ."
'

Ich hab^nicht mehr mit"ties?n Leuten zu thun,^tvie Sie, stöhnte Ricks
erbittert. ' > , ^ ^

Von mir ist "jetzt^licht die Ne^e, ich lese uno^bH, gesjMH. Quälen'Sie
sich doch jetzt nicht mit Ihren AAischMungen^ "LeM, M haben
keine Anschauungen in^hrjAtind A ist auch einerlei' 'ob Sie"'fiB haben; An¬
schauungen sind nur daz"'da, um"8arnach zu. leben; ^im Le^en, ^i"ä ^hab^sie
einen Ziveck. Kann es -ivohl-^tHem ^einzigen Menschen- nützen^aß^r ^in dieser
oder in jener Anschauung""stMbt? Glauben Sie nHr nur^, wir haben ja- alle
lichte, weiche ErinneMngeir aus unsrer Kinderzeit; ich habe die, Menschen in
Dutzenden sterben sehen, es ist inMßr^ein Tr^ost, die. ajtÄi Erinnerungen, hervor¬
zuholen. Laß uns ehrlich gegen einander sein, wir mögen nun> seist ^Me wir
wollen, wir können doch niemals den Gott ganz aus dem HirKmel verbannen;


Ricks Tyhne.

Tag viel an sie, aber immer störte ihn der wunderbar kühle Blick, den sie ge¬
habt hatte, c^s er sie zum letzten male in die Arme schloß. Wie schön wäre
es nicht gewesen, wie schmerzlich schön, wenn sie sich bis zuletzt an ihn ge¬
klammert und ihn nicht aus den Augen gelassen hätte, ehe der Tod es matt
gemacht, wenn es ihr genügt hätte, ihr Leben bis zum letzten Atemzuge an dem
Herzen zu Leben, das sie so sehr liebte, statt sich in der letzten Stunde von
ihm abzuwenden, um sich noch mehr Leben zu sichern, noch mehr Leben.

Den zweiten Tag im Lazarett) wurde Ricks schwermütiger infolge der
dumpfen Atmosphäre, die die Sehnsucht nach frischer Luft und
der Wunsch zu leben waren in s^n Gedanken seltsam mit einander verwoben.
Das Leben hatte doch viel Schönes gehabt, dachte er, wenn er sich die frische
Brise am heimatliche» Strande zurückrief, das leise Säuseln in Seelands
Buchenwaldungei^ die reine Bergluft in Clarens und die weichen Abendwinde
am Gardasee. Aber sobald er an die Menschen dachte, ward ihm wieder elend
zu Mute, Er rief sie sich einzeln ins Gedächtnis, und alle gingen sie an ihm
vorüber und ließen ihn allein; auch nicht einer blieb bei ihm zurück. Aber
wie hatte denn er a« ihnen festgehalten, war er denn etwa treu geMsen? Da
war nur der eine Unterschied, daß er sie langsamer hatte fällen lassen. Nein,
das war es nicht. Es war das unsäglich Traurige, daß eine Seele stets allein
ist. Jeder Glaube an ein Zusammenschmelzen zweier Seelen war eine Lüge.
Nicht die Mutter, die uns auf dem Schoße., gehalten, nich^der Freund, nicht
die Gattin, sie an unserm Herzen^Heruht —
'

Gegen Abend-wunde er unruhig, und die Schmerzen in der Wunde
nahmen^u. »

Hjerrild kam und saß am Abend einen Augenblick neben ihm; gegen
Mittemack^kam er wrdder und saß lange da. 5Hicks litt sehr und stöhnte vor
Schmerzen. ,^ . ,

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Ein Wort in aAem Ernst, Lhhne^. sagt^Hjerrild, wünschen Sie nM einem
Pfarrer zu sprechen? ' "5 " .«
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Ich hab^nicht mehr mit«ties?n Leuten zu thun,^tvie Sie, stöhnte Ricks
erbittert. ' > , ^ ^

Von mir ist »jetzt^licht die Ne^e, ich lese uno^bH, gesjMH. Quälen'Sie
sich doch jetzt nicht mit Ihren AAischMungen^ »LeM, M haben
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schauungen sind nur daz»'da, um"8arnach zu. leben; ^im Le^en, ^i»ä ^hab^sie
einen Ziveck. Kann es -ivohl-^tHem ^einzigen Menschen- nützen^aß^r ^in dieser
oder in jener Anschauung»»stMbt? Glauben Sie nHr nur^, wir haben ja- alle
lichte, weiche ErinneMngeir aus unsrer Kinderzeit; ich habe die, Menschen in
Dutzenden sterben sehen, es ist inMßr^ein Tr^ost, die. ajtÄi Erinnerungen, hervor¬
zuholen. Laß uns ehrlich gegen einander sein, wir mögen nun> seist ^Me wir
wollen, wir können doch niemals den Gott ganz aus dem HirKmel verbannen;


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[0635] Ricks Tyhne. Tag viel an sie, aber immer störte ihn der wunderbar kühle Blick, den sie ge¬ habt hatte, c^s er sie zum letzten male in die Arme schloß. Wie schön wäre es nicht gewesen, wie schmerzlich schön, wenn sie sich bis zuletzt an ihn ge¬ klammert und ihn nicht aus den Augen gelassen hätte, ehe der Tod es matt gemacht, wenn es ihr genügt hätte, ihr Leben bis zum letzten Atemzuge an dem Herzen zu Leben, das sie so sehr liebte, statt sich in der letzten Stunde von ihm abzuwenden, um sich noch mehr Leben zu sichern, noch mehr Leben. Den zweiten Tag im Lazarett) wurde Ricks schwermütiger infolge der dumpfen Atmosphäre, die die Sehnsucht nach frischer Luft und der Wunsch zu leben waren in s^n Gedanken seltsam mit einander verwoben. Das Leben hatte doch viel Schönes gehabt, dachte er, wenn er sich die frische Brise am heimatliche» Strande zurückrief, das leise Säuseln in Seelands Buchenwaldungei^ die reine Bergluft in Clarens und die weichen Abendwinde am Gardasee. Aber sobald er an die Menschen dachte, ward ihm wieder elend zu Mute, Er rief sie sich einzeln ins Gedächtnis, und alle gingen sie an ihm vorüber und ließen ihn allein; auch nicht einer blieb bei ihm zurück. Aber wie hatte denn er a« ihnen festgehalten, war er denn etwa treu geMsen? Da war nur der eine Unterschied, daß er sie langsamer hatte fällen lassen. Nein, das war es nicht. Es war das unsäglich Traurige, daß eine Seele stets allein ist. Jeder Glaube an ein Zusammenschmelzen zweier Seelen war eine Lüge. Nicht die Mutter, die uns auf dem Schoße., gehalten, nich^der Freund, nicht die Gattin, sie an unserm Herzen^Heruht — ' Gegen Abend-wunde er unruhig, und die Schmerzen in der Wunde nahmen^u. » Hjerrild kam und saß am Abend einen Augenblick neben ihm; gegen Mittemack^kam er wrdder und saß lange da. 5Hicks litt sehr und stöhnte vor Schmerzen. ,^ . , 5 Ein Wort in aAem Ernst, Lhhne^. sagt^Hjerrild, wünschen Sie nM einem Pfarrer zu sprechen? ' "5 " .« ' Ich hab^nicht mehr mit«ties?n Leuten zu thun,^tvie Sie, stöhnte Ricks erbittert. ' > , ^ ^ Von mir ist »jetzt^licht die Ne^e, ich lese uno^bH, gesjMH. Quälen'Sie sich doch jetzt nicht mit Ihren AAischMungen^ »LeM, M haben keine Anschauungen in^hrjAtind A ist auch einerlei' 'ob Sie«'fiB haben; An¬ schauungen sind nur daz»'da, um"8arnach zu. leben; ^im Le^en, ^i»ä ^hab^sie einen Ziveck. Kann es -ivohl-^tHem ^einzigen Menschen- nützen^aß^r ^in dieser oder in jener Anschauung»»stMbt? Glauben Sie nHr nur^, wir haben ja- alle lichte, weiche ErinneMngeir aus unsrer Kinderzeit; ich habe die, Menschen in Dutzenden sterben sehen, es ist inMßr^ein Tr^ost, die. ajtÄi Erinnerungen, hervor¬ zuholen. Laß uns ehrlich gegen einander sein, wir mögen nun> seist ^Me wir wollen, wir können doch niemals den Gott ganz aus dem HirKmel verbannen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/635>, abgerufen am 24.08.2024.