Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Finn Gottsched.

Herz ausgeschüttet, diese aber hat bei der Veröffentlichung der Briefe ihrer
Freundin gerade die betreffenden Briefe weggelassen.

So lohnte ihr ein Mann, dem sie in ihrer Treue Gesundheit und Leben
aufgeopfert, für dessen Ruhm sie gearbeitet, für dessen Ruhm sie gezittert hatte,
als sie sah, daß seine litterarischen Gegner immer mehr Einfluß gewannen,
während ihr Gatte von der hohen Stellung, die er in Gelehrten- und Dichter¬
kreise eingenommen, immer tiefer herabsank. In zärtlicher Sorgfalt hatte sie
Schriften, in denen ihr Gatte angegriffen wurde, ihm verheimlicht, um ihm
Kummer zu ersparen; umso größer war ihr Kummer, als sich nichts mehr
verheimlichen ließ. Einen tiefen Blick in ihr sorgengequültes, nur auf das Wohl
und die Ehre des Gatten bedachtes Herz gewährt einer ihrer Briefe an den
Grafen Manteuffel, wo sie von einer erst nach Überwindung zahlreicher Hin¬
dernisse durchgesetzten Beförderung des Professor Winkler in Leipzig berichtet.
Sie schreibt da: "Die ganze Akademie beneidet Professor Winklern den mäch¬
tigen und fast unerhörten Beystand, den er in dieser Sache bei den Großen
erhalte. Ich beneide nicht ihn, sondern seine Frau. Es muß unfehlbar ein
großes Vergnügen seyn, einen Gatten zu haben, dessen Verdienste um das
gemeine Wesen wider alle Anfälle so gewaltig beschützet werden, und ich wüßte
sehr wohl, wem ich ein gleiches Glück wünschen würde, wenn nicht schon seit
langer Zeit die billigsten Wünsche die fruchtlosesten wären."

Am 26. Juni 1762 starb Frau Gottsched nach langem Leiden. Der Tod
kam ihr erwünscht. Noch am 10. Juni hatte sie Frau Runkcl durch ihre Nichte
schreiben lassen: "Liebste Freundin, diesesmal muß ich mich einer fremden Hand
bedienen, um Ihnen zu sagen, daß ich zu allem untüchtig bin. Erschrecken Sie
nicht; freylich bin ich matt, sehr matt, aber nach Aussage des Arztes soll ich
meinem Ende noch nicht so nahe sein, als ich es wünsche."

Und wer wollte ihr verdenken, daß sie sich nach ihrem Ende sehnte! Ihre
Krankheit war so wenig zu heilen, wie die Ursachen derselben ungeschehen zu
machen. Von diesen Ursachen aber sagt sie selbst in einem Briefe an die ver¬
traute Freundin: "Sie fragen nach der Ursache meiner Krankheit? Hier ist
sie. Achtundzwanzig Jahre ununterbrochener Arbeit, Gram im Verborgenen
und sechs Jahre lang unzählige Thränen sonder Zeugen, die Gott allein hat
fließen sehen."

Gottsched schloß die 1763 veröffentlichte Lebensbeschreibung seiner Gattin
mit den Versen:


Du hast mein ganzes Herz besessen:
Hinfort besitzt es keine mehr.

Das hielt ihn aber nicht ab, sich am 1. August 1765 wieder zu vermählen,
und zwar mit Ernestine Susanne Katharine Neueneß, "einer Jungfer Oberst¬
leutnantin," wie der Student Goethe schreibt.




Finn Gottsched.

Herz ausgeschüttet, diese aber hat bei der Veröffentlichung der Briefe ihrer
Freundin gerade die betreffenden Briefe weggelassen.

So lohnte ihr ein Mann, dem sie in ihrer Treue Gesundheit und Leben
aufgeopfert, für dessen Ruhm sie gearbeitet, für dessen Ruhm sie gezittert hatte,
als sie sah, daß seine litterarischen Gegner immer mehr Einfluß gewannen,
während ihr Gatte von der hohen Stellung, die er in Gelehrten- und Dichter¬
kreise eingenommen, immer tiefer herabsank. In zärtlicher Sorgfalt hatte sie
Schriften, in denen ihr Gatte angegriffen wurde, ihm verheimlicht, um ihm
Kummer zu ersparen; umso größer war ihr Kummer, als sich nichts mehr
verheimlichen ließ. Einen tiefen Blick in ihr sorgengequültes, nur auf das Wohl
und die Ehre des Gatten bedachtes Herz gewährt einer ihrer Briefe an den
Grafen Manteuffel, wo sie von einer erst nach Überwindung zahlreicher Hin¬
dernisse durchgesetzten Beförderung des Professor Winkler in Leipzig berichtet.
Sie schreibt da: „Die ganze Akademie beneidet Professor Winklern den mäch¬
tigen und fast unerhörten Beystand, den er in dieser Sache bei den Großen
erhalte. Ich beneide nicht ihn, sondern seine Frau. Es muß unfehlbar ein
großes Vergnügen seyn, einen Gatten zu haben, dessen Verdienste um das
gemeine Wesen wider alle Anfälle so gewaltig beschützet werden, und ich wüßte
sehr wohl, wem ich ein gleiches Glück wünschen würde, wenn nicht schon seit
langer Zeit die billigsten Wünsche die fruchtlosesten wären."

Am 26. Juni 1762 starb Frau Gottsched nach langem Leiden. Der Tod
kam ihr erwünscht. Noch am 10. Juni hatte sie Frau Runkcl durch ihre Nichte
schreiben lassen: „Liebste Freundin, diesesmal muß ich mich einer fremden Hand
bedienen, um Ihnen zu sagen, daß ich zu allem untüchtig bin. Erschrecken Sie
nicht; freylich bin ich matt, sehr matt, aber nach Aussage des Arztes soll ich
meinem Ende noch nicht so nahe sein, als ich es wünsche."

Und wer wollte ihr verdenken, daß sie sich nach ihrem Ende sehnte! Ihre
Krankheit war so wenig zu heilen, wie die Ursachen derselben ungeschehen zu
machen. Von diesen Ursachen aber sagt sie selbst in einem Briefe an die ver¬
traute Freundin: „Sie fragen nach der Ursache meiner Krankheit? Hier ist
sie. Achtundzwanzig Jahre ununterbrochener Arbeit, Gram im Verborgenen
und sechs Jahre lang unzählige Thränen sonder Zeugen, die Gott allein hat
fließen sehen."

Gottsched schloß die 1763 veröffentlichte Lebensbeschreibung seiner Gattin
mit den Versen:


Du hast mein ganzes Herz besessen:
Hinfort besitzt es keine mehr.

Das hielt ihn aber nicht ab, sich am 1. August 1765 wieder zu vermählen,
und zwar mit Ernestine Susanne Katharine Neueneß, „einer Jungfer Oberst¬
leutnantin," wie der Student Goethe schreibt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0622" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289745"/>
          <fw type="header" place="top"> Finn Gottsched.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2115" prev="#ID_2114"> Herz ausgeschüttet, diese aber hat bei der Veröffentlichung der Briefe ihrer<lb/>
Freundin gerade die betreffenden Briefe weggelassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2116"> So lohnte ihr ein Mann, dem sie in ihrer Treue Gesundheit und Leben<lb/>
aufgeopfert, für dessen Ruhm sie gearbeitet, für dessen Ruhm sie gezittert hatte,<lb/>
als sie sah, daß seine litterarischen Gegner immer mehr Einfluß gewannen,<lb/>
während ihr Gatte von der hohen Stellung, die er in Gelehrten- und Dichter¬<lb/>
kreise eingenommen, immer tiefer herabsank. In zärtlicher Sorgfalt hatte sie<lb/>
Schriften, in denen ihr Gatte angegriffen wurde, ihm verheimlicht, um ihm<lb/>
Kummer zu ersparen; umso größer war ihr Kummer, als sich nichts mehr<lb/>
verheimlichen ließ. Einen tiefen Blick in ihr sorgengequültes, nur auf das Wohl<lb/>
und die Ehre des Gatten bedachtes Herz gewährt einer ihrer Briefe an den<lb/>
Grafen Manteuffel, wo sie von einer erst nach Überwindung zahlreicher Hin¬<lb/>
dernisse durchgesetzten Beförderung des Professor Winkler in Leipzig berichtet.<lb/>
Sie schreibt da: &#x201E;Die ganze Akademie beneidet Professor Winklern den mäch¬<lb/>
tigen und fast unerhörten Beystand, den er in dieser Sache bei den Großen<lb/>
erhalte. Ich beneide nicht ihn, sondern seine Frau. Es muß unfehlbar ein<lb/>
großes Vergnügen seyn, einen Gatten zu haben, dessen Verdienste um das<lb/>
gemeine Wesen wider alle Anfälle so gewaltig beschützet werden, und ich wüßte<lb/>
sehr wohl, wem ich ein gleiches Glück wünschen würde, wenn nicht schon seit<lb/>
langer Zeit die billigsten Wünsche die fruchtlosesten wären."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2117"> Am 26. Juni 1762 starb Frau Gottsched nach langem Leiden. Der Tod<lb/>
kam ihr erwünscht. Noch am 10. Juni hatte sie Frau Runkcl durch ihre Nichte<lb/>
schreiben lassen: &#x201E;Liebste Freundin, diesesmal muß ich mich einer fremden Hand<lb/>
bedienen, um Ihnen zu sagen, daß ich zu allem untüchtig bin. Erschrecken Sie<lb/>
nicht; freylich bin ich matt, sehr matt, aber nach Aussage des Arztes soll ich<lb/>
meinem Ende noch nicht so nahe sein, als ich es wünsche."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2118"> Und wer wollte ihr verdenken, daß sie sich nach ihrem Ende sehnte! Ihre<lb/>
Krankheit war so wenig zu heilen, wie die Ursachen derselben ungeschehen zu<lb/>
machen. Von diesen Ursachen aber sagt sie selbst in einem Briefe an die ver¬<lb/>
traute Freundin: &#x201E;Sie fragen nach der Ursache meiner Krankheit? Hier ist<lb/>
sie. Achtundzwanzig Jahre ununterbrochener Arbeit, Gram im Verborgenen<lb/>
und sechs Jahre lang unzählige Thränen sonder Zeugen, die Gott allein hat<lb/>
fließen sehen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2119" next="#ID_2120"> Gottsched schloß die 1763 veröffentlichte Lebensbeschreibung seiner Gattin<lb/>
mit den Versen:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_56" type="poem">
              <l> Du hast mein ganzes Herz besessen:<lb/>
Hinfort besitzt es keine mehr.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_2120" prev="#ID_2119"> Das hielt ihn aber nicht ab, sich am 1. August 1765 wieder zu vermählen,<lb/>
und zwar mit Ernestine Susanne Katharine Neueneß, &#x201E;einer Jungfer Oberst¬<lb/>
leutnantin," wie der Student Goethe schreibt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0622] Finn Gottsched. Herz ausgeschüttet, diese aber hat bei der Veröffentlichung der Briefe ihrer Freundin gerade die betreffenden Briefe weggelassen. So lohnte ihr ein Mann, dem sie in ihrer Treue Gesundheit und Leben aufgeopfert, für dessen Ruhm sie gearbeitet, für dessen Ruhm sie gezittert hatte, als sie sah, daß seine litterarischen Gegner immer mehr Einfluß gewannen, während ihr Gatte von der hohen Stellung, die er in Gelehrten- und Dichter¬ kreise eingenommen, immer tiefer herabsank. In zärtlicher Sorgfalt hatte sie Schriften, in denen ihr Gatte angegriffen wurde, ihm verheimlicht, um ihm Kummer zu ersparen; umso größer war ihr Kummer, als sich nichts mehr verheimlichen ließ. Einen tiefen Blick in ihr sorgengequültes, nur auf das Wohl und die Ehre des Gatten bedachtes Herz gewährt einer ihrer Briefe an den Grafen Manteuffel, wo sie von einer erst nach Überwindung zahlreicher Hin¬ dernisse durchgesetzten Beförderung des Professor Winkler in Leipzig berichtet. Sie schreibt da: „Die ganze Akademie beneidet Professor Winklern den mäch¬ tigen und fast unerhörten Beystand, den er in dieser Sache bei den Großen erhalte. Ich beneide nicht ihn, sondern seine Frau. Es muß unfehlbar ein großes Vergnügen seyn, einen Gatten zu haben, dessen Verdienste um das gemeine Wesen wider alle Anfälle so gewaltig beschützet werden, und ich wüßte sehr wohl, wem ich ein gleiches Glück wünschen würde, wenn nicht schon seit langer Zeit die billigsten Wünsche die fruchtlosesten wären." Am 26. Juni 1762 starb Frau Gottsched nach langem Leiden. Der Tod kam ihr erwünscht. Noch am 10. Juni hatte sie Frau Runkcl durch ihre Nichte schreiben lassen: „Liebste Freundin, diesesmal muß ich mich einer fremden Hand bedienen, um Ihnen zu sagen, daß ich zu allem untüchtig bin. Erschrecken Sie nicht; freylich bin ich matt, sehr matt, aber nach Aussage des Arztes soll ich meinem Ende noch nicht so nahe sein, als ich es wünsche." Und wer wollte ihr verdenken, daß sie sich nach ihrem Ende sehnte! Ihre Krankheit war so wenig zu heilen, wie die Ursachen derselben ungeschehen zu machen. Von diesen Ursachen aber sagt sie selbst in einem Briefe an die ver¬ traute Freundin: „Sie fragen nach der Ursache meiner Krankheit? Hier ist sie. Achtundzwanzig Jahre ununterbrochener Arbeit, Gram im Verborgenen und sechs Jahre lang unzählige Thränen sonder Zeugen, die Gott allein hat fließen sehen." Gottsched schloß die 1763 veröffentlichte Lebensbeschreibung seiner Gattin mit den Versen: Du hast mein ganzes Herz besessen: Hinfort besitzt es keine mehr. Das hielt ihn aber nicht ab, sich am 1. August 1765 wieder zu vermählen, und zwar mit Ernestine Susanne Katharine Neueneß, „einer Jungfer Oberst¬ leutnantin," wie der Student Goethe schreibt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/622
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/622>, abgerufen am 22.07.2024.