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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched.

"Den ersten Tag fuhren wir sechs Meilen, den andern wegen widriger Winde
gar nur vier, und heute haben wir acht Meilen gemacht. Das sind also in
drey Tagen achtzehn Meilen. Wahrlich eine sehr langsame Post! Großer
Gott! mein Leben ist mir von Kindheit an so kurz vorgekommen, daß ich nie
Zeit genug vor mir zu haben glaube; und jetzo muß ich sie mit vollen Händen
zum Fenster hinauswerfen! Sechs Wochen bin ich von zu Hause, und in der
ganzen Zeit habe ich nur fünf Tage gelebt, die übrigen muß ich auf ewig für
verloren schätzen. Wie wird es nicht erst in Wien gehen? Der Schiffer tröstet
uns, daß wir dennoch den 12. September in Wien seyn sollen. Ich wünsche
es von Herzen aus keiner andern Ursache, als daß wir desto eher wieder nach
Leipzig kommen, und ich meine vertrauten vier Wände wieder sehen möge, denen
ich hunderttausend Dinge zu sagen habe."

Der Gatte scheint die unermüdliche Thätigkeit seiner gelehrten Gehilfin
und die treue Sorge der wackeren Hausfrau nicht immer mit Rücksicht und
Anerkennung gelohnt zu haben. Wenigstens scherzt Frau Gottsched einmal in
einem Briefe an ihre Herzensfreundin: "Meinen Mann habe ich niemals frömmer
gesehen, als er das Podagica hatte. Ich möchte wohl wissen, ob dieses Übel
bei allen Männern gleiche Wirkung thut? In diesem Falle könnte manche Frau
verleitet werden, diese Prüfung der Geduld ihrem Manne zu wünschen, die
ihrige würde zugleich mit bewährt und doppelter Nutzen aus einem einfachen
Übel entstehen."

In demselben Briefe, den sie am 19. September 1753 nach der Rückkehr
von einer Reise an den Hof von Kassel schrieb, spricht sie über ihre Stellung
zu den Großen der Erde: "Sie haben gefürchtet, mich auf dieser Reise zu
verlieren? Und wem haben sie mich zugedacht? Wenn irgend eine von denen
fürstlichen Personen, die ich auf dieser Reise gesprochen, mir eine Lust zur
Sclaverey des Hoflebens erwecken könnte, so wäre es die Herzogin von Braun¬
schweig. Allein ich wünsche mir nie, einen Hof genauer als aus der Beschrei¬
bung oder höchstens einem kurzen Aufenthalte zu kennen." Und in einem an¬
deren Briefe an dieselbe Freundin schreibt sie: "Wie unvollkommen sind die
Freuden der Großen, die mit allen Vorzügen oft viel Unannehmlichkeiten aus¬
gesetzt sind! Wer möchte sie wohl beneiden? Nein,


Das was allein mit Recht beneideuswürdig heißt,
Ist die Zufriedenheit und ein acschter Geist.

Mit solchen Ansichten stand sie freilich im Gegensatz zu ihrem Gatten, der
sich gar zu gern in den Strahlen der Hofgunst sonnte. Als Gottsched von
Friedrich dem Großen eine goldene Dose geschenkt erhaltet, hatte, schrieb seine
Gattin an Frau von Nunkel: "Beste Freundin, die Ode aus dem Horaz, die
mein Freund übersetzt und dem Könige nach Breslau geschickt, hat Beyfall ge¬
funden. Ich soll Ihnen noch mehr sagen, daß sie sehr gnädig aufgenommen
und der Übersetzer königlich belohnet worden. Eine goldene Dose ist der Be-


Frau Gottsched.

„Den ersten Tag fuhren wir sechs Meilen, den andern wegen widriger Winde
gar nur vier, und heute haben wir acht Meilen gemacht. Das sind also in
drey Tagen achtzehn Meilen. Wahrlich eine sehr langsame Post! Großer
Gott! mein Leben ist mir von Kindheit an so kurz vorgekommen, daß ich nie
Zeit genug vor mir zu haben glaube; und jetzo muß ich sie mit vollen Händen
zum Fenster hinauswerfen! Sechs Wochen bin ich von zu Hause, und in der
ganzen Zeit habe ich nur fünf Tage gelebt, die übrigen muß ich auf ewig für
verloren schätzen. Wie wird es nicht erst in Wien gehen? Der Schiffer tröstet
uns, daß wir dennoch den 12. September in Wien seyn sollen. Ich wünsche
es von Herzen aus keiner andern Ursache, als daß wir desto eher wieder nach
Leipzig kommen, und ich meine vertrauten vier Wände wieder sehen möge, denen
ich hunderttausend Dinge zu sagen habe."

Der Gatte scheint die unermüdliche Thätigkeit seiner gelehrten Gehilfin
und die treue Sorge der wackeren Hausfrau nicht immer mit Rücksicht und
Anerkennung gelohnt zu haben. Wenigstens scherzt Frau Gottsched einmal in
einem Briefe an ihre Herzensfreundin: „Meinen Mann habe ich niemals frömmer
gesehen, als er das Podagica hatte. Ich möchte wohl wissen, ob dieses Übel
bei allen Männern gleiche Wirkung thut? In diesem Falle könnte manche Frau
verleitet werden, diese Prüfung der Geduld ihrem Manne zu wünschen, die
ihrige würde zugleich mit bewährt und doppelter Nutzen aus einem einfachen
Übel entstehen."

In demselben Briefe, den sie am 19. September 1753 nach der Rückkehr
von einer Reise an den Hof von Kassel schrieb, spricht sie über ihre Stellung
zu den Großen der Erde: „Sie haben gefürchtet, mich auf dieser Reise zu
verlieren? Und wem haben sie mich zugedacht? Wenn irgend eine von denen
fürstlichen Personen, die ich auf dieser Reise gesprochen, mir eine Lust zur
Sclaverey des Hoflebens erwecken könnte, so wäre es die Herzogin von Braun¬
schweig. Allein ich wünsche mir nie, einen Hof genauer als aus der Beschrei¬
bung oder höchstens einem kurzen Aufenthalte zu kennen." Und in einem an¬
deren Briefe an dieselbe Freundin schreibt sie: „Wie unvollkommen sind die
Freuden der Großen, die mit allen Vorzügen oft viel Unannehmlichkeiten aus¬
gesetzt sind! Wer möchte sie wohl beneiden? Nein,


Das was allein mit Recht beneideuswürdig heißt,
Ist die Zufriedenheit und ein acschter Geist.

Mit solchen Ansichten stand sie freilich im Gegensatz zu ihrem Gatten, der
sich gar zu gern in den Strahlen der Hofgunst sonnte. Als Gottsched von
Friedrich dem Großen eine goldene Dose geschenkt erhaltet, hatte, schrieb seine
Gattin an Frau von Nunkel: „Beste Freundin, die Ode aus dem Horaz, die
mein Freund übersetzt und dem Könige nach Breslau geschickt, hat Beyfall ge¬
funden. Ich soll Ihnen noch mehr sagen, daß sie sehr gnädig aufgenommen
und der Übersetzer königlich belohnet worden. Eine goldene Dose ist der Be-


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[0618] Frau Gottsched. „Den ersten Tag fuhren wir sechs Meilen, den andern wegen widriger Winde gar nur vier, und heute haben wir acht Meilen gemacht. Das sind also in drey Tagen achtzehn Meilen. Wahrlich eine sehr langsame Post! Großer Gott! mein Leben ist mir von Kindheit an so kurz vorgekommen, daß ich nie Zeit genug vor mir zu haben glaube; und jetzo muß ich sie mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen! Sechs Wochen bin ich von zu Hause, und in der ganzen Zeit habe ich nur fünf Tage gelebt, die übrigen muß ich auf ewig für verloren schätzen. Wie wird es nicht erst in Wien gehen? Der Schiffer tröstet uns, daß wir dennoch den 12. September in Wien seyn sollen. Ich wünsche es von Herzen aus keiner andern Ursache, als daß wir desto eher wieder nach Leipzig kommen, und ich meine vertrauten vier Wände wieder sehen möge, denen ich hunderttausend Dinge zu sagen habe." Der Gatte scheint die unermüdliche Thätigkeit seiner gelehrten Gehilfin und die treue Sorge der wackeren Hausfrau nicht immer mit Rücksicht und Anerkennung gelohnt zu haben. Wenigstens scherzt Frau Gottsched einmal in einem Briefe an ihre Herzensfreundin: „Meinen Mann habe ich niemals frömmer gesehen, als er das Podagica hatte. Ich möchte wohl wissen, ob dieses Übel bei allen Männern gleiche Wirkung thut? In diesem Falle könnte manche Frau verleitet werden, diese Prüfung der Geduld ihrem Manne zu wünschen, die ihrige würde zugleich mit bewährt und doppelter Nutzen aus einem einfachen Übel entstehen." In demselben Briefe, den sie am 19. September 1753 nach der Rückkehr von einer Reise an den Hof von Kassel schrieb, spricht sie über ihre Stellung zu den Großen der Erde: „Sie haben gefürchtet, mich auf dieser Reise zu verlieren? Und wem haben sie mich zugedacht? Wenn irgend eine von denen fürstlichen Personen, die ich auf dieser Reise gesprochen, mir eine Lust zur Sclaverey des Hoflebens erwecken könnte, so wäre es die Herzogin von Braun¬ schweig. Allein ich wünsche mir nie, einen Hof genauer als aus der Beschrei¬ bung oder höchstens einem kurzen Aufenthalte zu kennen." Und in einem an¬ deren Briefe an dieselbe Freundin schreibt sie: „Wie unvollkommen sind die Freuden der Großen, die mit allen Vorzügen oft viel Unannehmlichkeiten aus¬ gesetzt sind! Wer möchte sie wohl beneiden? Nein, Das was allein mit Recht beneideuswürdig heißt, Ist die Zufriedenheit und ein acschter Geist. Mit solchen Ansichten stand sie freilich im Gegensatz zu ihrem Gatten, der sich gar zu gern in den Strahlen der Hofgunst sonnte. Als Gottsched von Friedrich dem Großen eine goldene Dose geschenkt erhaltet, hatte, schrieb seine Gattin an Frau von Nunkel: „Beste Freundin, die Ode aus dem Horaz, die mein Freund übersetzt und dem Könige nach Breslau geschickt, hat Beyfall ge¬ funden. Ich soll Ihnen noch mehr sagen, daß sie sehr gnädig aufgenommen und der Übersetzer königlich belohnet worden. Eine goldene Dose ist der Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/618>, abgerufen am 23.07.2024.