Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frau Gottsched.

ob sie gleich unter deutschem Schutze stehen, den ihnen ihr Vaterland versagt,
dennoch eine Ehre darin suchen, Frankreich groß zu machen und alle anderen
Völker dagegen zu verkleinern." Gegen den Franzosen Maupertuis in Berlin
richtet sich die boshafte Bemerkung, daß er auf seiner mathematischen Expedition
nach dem Norden nur die alten Lehren von Huyghens und Newton bestätigt
gefunden und höchstens mehr gefroren habe als seine Vorgänger, was freilich
für einen Franzosen schon sehr viel sei.

Übrigens war Frau Gottsched auch mit den englischen Schriftstellern ihrer
Zeit keineswegs in allen Stücken einverstanden. Tiefe Blicke in Geist und Herz
der Frau Gottsched läßt uns die Vorrede zu ihrer Übersetzung des 6uMäiaii
thun, wo sie erklärt, daß es ihr darauf angekommen sei, den Religion und
Moral untergrabenden Schriften etlicher englischen Schriftsteller entgegenzu¬
wirken. "Man kennt die Freyheit einiger britischen Schriftsteller zur Genüge,
womit sie das Ansehen der sittlichen und göttlichen Wahrheiten zu untergraben
bemüht gewesen und zum Theil noch sind. Dieses Gift hat bey einigen, und
vielleicht nur bey gar zu vielen Gemüthern unter uns einen schnelleren Eingang
gefunden, als zum besten der zukünftigen Zeiten zu wünschen wäre. Es giebt
viele junge und bereits erwachsene Leute, welche glauben, ein großer Geist und
ein Freygeist, ein witziger Kopf und ein Religionsspötter, ein geistreicher Mann
und ein Wollüstling, das wäre einerley; und es ist zu bedauern, daß dieser
Irrtum nur gar zu oft solche Köpfe einnimmt, von denen das Vaterland außer
diesen die größten Vorteile und alle Ehre zu hoffen hätte. Dergleichen Leute
nun werden allhier einen Schriftsteller oder vielmehr einige der besten eng¬
lischen Schriftsteller erblicken, die alles ihr Vermögen anstrengen, diesem Un¬
heile zu steuern. Es sind tiefsinnige Weltweise, die sichs für keinen Schimpf
halten, Christen zu sein. Es sind witzerfüllte Männer, die diese Gabe nicht
zur Verachtung der Diener des Herrn anwenden. Es sind Leute, die den
feinsten Spott in ihrer Gewalt haben und dennoch damit weder der Unschuld
noch den guten Sitten zu nahe treten. Es sind Leute, welche die Welt, ja
die große und reizende Welt gesehen haben und dennoch nicht glauben, daß es
ein Übelstand sey, mäßig, bescheiden und keusch in Thaten und Ausdrücken zu
seyn. Es sind Personen, die gewiß unter den Geschöpfen ihrer Art im ersten
Range stehen und dennoch keinen Ruhm der Tiefsiunigkeit darinnen suchen,
an dem Daseyn ihres große" Urhebers zu zweifeln. Es sind endlich große
Geister, die es für kein Zeichen der Dummheit halten, eine ewige Glückseligkeit
oder Unglückseligkeit zu glauben. Wer weiß nun, ob ein solcher Anblick nicht
einige von unseren neuern Freygeistern auf bessere Gedanken bringt?"

Fleißig beteiligte sich Frau Gottsched auch an den Arbeiten ihres Gatten,
die ans Förderung der deutschen Litteratur und auf die Geschichte derselben
gerichtet waren. Die Bände der drei kritischen Zeitschriften, die Gottsched nach
einander herausgab, der "Beyträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache,


Frau Gottsched.

ob sie gleich unter deutschem Schutze stehen, den ihnen ihr Vaterland versagt,
dennoch eine Ehre darin suchen, Frankreich groß zu machen und alle anderen
Völker dagegen zu verkleinern." Gegen den Franzosen Maupertuis in Berlin
richtet sich die boshafte Bemerkung, daß er auf seiner mathematischen Expedition
nach dem Norden nur die alten Lehren von Huyghens und Newton bestätigt
gefunden und höchstens mehr gefroren habe als seine Vorgänger, was freilich
für einen Franzosen schon sehr viel sei.

Übrigens war Frau Gottsched auch mit den englischen Schriftstellern ihrer
Zeit keineswegs in allen Stücken einverstanden. Tiefe Blicke in Geist und Herz
der Frau Gottsched läßt uns die Vorrede zu ihrer Übersetzung des 6uMäiaii
thun, wo sie erklärt, daß es ihr darauf angekommen sei, den Religion und
Moral untergrabenden Schriften etlicher englischen Schriftsteller entgegenzu¬
wirken. „Man kennt die Freyheit einiger britischen Schriftsteller zur Genüge,
womit sie das Ansehen der sittlichen und göttlichen Wahrheiten zu untergraben
bemüht gewesen und zum Theil noch sind. Dieses Gift hat bey einigen, und
vielleicht nur bey gar zu vielen Gemüthern unter uns einen schnelleren Eingang
gefunden, als zum besten der zukünftigen Zeiten zu wünschen wäre. Es giebt
viele junge und bereits erwachsene Leute, welche glauben, ein großer Geist und
ein Freygeist, ein witziger Kopf und ein Religionsspötter, ein geistreicher Mann
und ein Wollüstling, das wäre einerley; und es ist zu bedauern, daß dieser
Irrtum nur gar zu oft solche Köpfe einnimmt, von denen das Vaterland außer
diesen die größten Vorteile und alle Ehre zu hoffen hätte. Dergleichen Leute
nun werden allhier einen Schriftsteller oder vielmehr einige der besten eng¬
lischen Schriftsteller erblicken, die alles ihr Vermögen anstrengen, diesem Un¬
heile zu steuern. Es sind tiefsinnige Weltweise, die sichs für keinen Schimpf
halten, Christen zu sein. Es sind witzerfüllte Männer, die diese Gabe nicht
zur Verachtung der Diener des Herrn anwenden. Es sind Leute, die den
feinsten Spott in ihrer Gewalt haben und dennoch damit weder der Unschuld
noch den guten Sitten zu nahe treten. Es sind Leute, welche die Welt, ja
die große und reizende Welt gesehen haben und dennoch nicht glauben, daß es
ein Übelstand sey, mäßig, bescheiden und keusch in Thaten und Ausdrücken zu
seyn. Es sind Personen, die gewiß unter den Geschöpfen ihrer Art im ersten
Range stehen und dennoch keinen Ruhm der Tiefsiunigkeit darinnen suchen,
an dem Daseyn ihres große» Urhebers zu zweifeln. Es sind endlich große
Geister, die es für kein Zeichen der Dummheit halten, eine ewige Glückseligkeit
oder Unglückseligkeit zu glauben. Wer weiß nun, ob ein solcher Anblick nicht
einige von unseren neuern Freygeistern auf bessere Gedanken bringt?"

Fleißig beteiligte sich Frau Gottsched auch an den Arbeiten ihres Gatten,
die ans Förderung der deutschen Litteratur und auf die Geschichte derselben
gerichtet waren. Die Bände der drei kritischen Zeitschriften, die Gottsched nach
einander herausgab, der „Beyträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0611" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289734"/>
          <fw type="header" place="top"> Frau Gottsched.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2072" prev="#ID_2071"> ob sie gleich unter deutschem Schutze stehen, den ihnen ihr Vaterland versagt,<lb/>
dennoch eine Ehre darin suchen, Frankreich groß zu machen und alle anderen<lb/>
Völker dagegen zu verkleinern." Gegen den Franzosen Maupertuis in Berlin<lb/>
richtet sich die boshafte Bemerkung, daß er auf seiner mathematischen Expedition<lb/>
nach dem Norden nur die alten Lehren von Huyghens und Newton bestätigt<lb/>
gefunden und höchstens mehr gefroren habe als seine Vorgänger, was freilich<lb/>
für einen Franzosen schon sehr viel sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2073"> Übrigens war Frau Gottsched auch mit den englischen Schriftstellern ihrer<lb/>
Zeit keineswegs in allen Stücken einverstanden. Tiefe Blicke in Geist und Herz<lb/>
der Frau Gottsched läßt uns die Vorrede zu ihrer Übersetzung des 6uMäiaii<lb/>
thun, wo sie erklärt, daß es ihr darauf angekommen sei, den Religion und<lb/>
Moral untergrabenden Schriften etlicher englischen Schriftsteller entgegenzu¬<lb/>
wirken. &#x201E;Man kennt die Freyheit einiger britischen Schriftsteller zur Genüge,<lb/>
womit sie das Ansehen der sittlichen und göttlichen Wahrheiten zu untergraben<lb/>
bemüht gewesen und zum Theil noch sind. Dieses Gift hat bey einigen, und<lb/>
vielleicht nur bey gar zu vielen Gemüthern unter uns einen schnelleren Eingang<lb/>
gefunden, als zum besten der zukünftigen Zeiten zu wünschen wäre. Es giebt<lb/>
viele junge und bereits erwachsene Leute, welche glauben, ein großer Geist und<lb/>
ein Freygeist, ein witziger Kopf und ein Religionsspötter, ein geistreicher Mann<lb/>
und ein Wollüstling, das wäre einerley; und es ist zu bedauern, daß dieser<lb/>
Irrtum nur gar zu oft solche Köpfe einnimmt, von denen das Vaterland außer<lb/>
diesen die größten Vorteile und alle Ehre zu hoffen hätte. Dergleichen Leute<lb/>
nun werden allhier einen Schriftsteller oder vielmehr einige der besten eng¬<lb/>
lischen Schriftsteller erblicken, die alles ihr Vermögen anstrengen, diesem Un¬<lb/>
heile zu steuern. Es sind tiefsinnige Weltweise, die sichs für keinen Schimpf<lb/>
halten, Christen zu sein. Es sind witzerfüllte Männer, die diese Gabe nicht<lb/>
zur Verachtung der Diener des Herrn anwenden. Es sind Leute, die den<lb/>
feinsten Spott in ihrer Gewalt haben und dennoch damit weder der Unschuld<lb/>
noch den guten Sitten zu nahe treten. Es sind Leute, welche die Welt, ja<lb/>
die große und reizende Welt gesehen haben und dennoch nicht glauben, daß es<lb/>
ein Übelstand sey, mäßig, bescheiden und keusch in Thaten und Ausdrücken zu<lb/>
seyn. Es sind Personen, die gewiß unter den Geschöpfen ihrer Art im ersten<lb/>
Range stehen und dennoch keinen Ruhm der Tiefsiunigkeit darinnen suchen,<lb/>
an dem Daseyn ihres große» Urhebers zu zweifeln. Es sind endlich große<lb/>
Geister, die es für kein Zeichen der Dummheit halten, eine ewige Glückseligkeit<lb/>
oder Unglückseligkeit zu glauben. Wer weiß nun, ob ein solcher Anblick nicht<lb/>
einige von unseren neuern Freygeistern auf bessere Gedanken bringt?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2074" next="#ID_2075"> Fleißig beteiligte sich Frau Gottsched auch an den Arbeiten ihres Gatten,<lb/>
die ans Förderung der deutschen Litteratur und auf die Geschichte derselben<lb/>
gerichtet waren. Die Bände der drei kritischen Zeitschriften, die Gottsched nach<lb/>
einander herausgab, der &#x201E;Beyträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0611] Frau Gottsched. ob sie gleich unter deutschem Schutze stehen, den ihnen ihr Vaterland versagt, dennoch eine Ehre darin suchen, Frankreich groß zu machen und alle anderen Völker dagegen zu verkleinern." Gegen den Franzosen Maupertuis in Berlin richtet sich die boshafte Bemerkung, daß er auf seiner mathematischen Expedition nach dem Norden nur die alten Lehren von Huyghens und Newton bestätigt gefunden und höchstens mehr gefroren habe als seine Vorgänger, was freilich für einen Franzosen schon sehr viel sei. Übrigens war Frau Gottsched auch mit den englischen Schriftstellern ihrer Zeit keineswegs in allen Stücken einverstanden. Tiefe Blicke in Geist und Herz der Frau Gottsched läßt uns die Vorrede zu ihrer Übersetzung des 6uMäiaii thun, wo sie erklärt, daß es ihr darauf angekommen sei, den Religion und Moral untergrabenden Schriften etlicher englischen Schriftsteller entgegenzu¬ wirken. „Man kennt die Freyheit einiger britischen Schriftsteller zur Genüge, womit sie das Ansehen der sittlichen und göttlichen Wahrheiten zu untergraben bemüht gewesen und zum Theil noch sind. Dieses Gift hat bey einigen, und vielleicht nur bey gar zu vielen Gemüthern unter uns einen schnelleren Eingang gefunden, als zum besten der zukünftigen Zeiten zu wünschen wäre. Es giebt viele junge und bereits erwachsene Leute, welche glauben, ein großer Geist und ein Freygeist, ein witziger Kopf und ein Religionsspötter, ein geistreicher Mann und ein Wollüstling, das wäre einerley; und es ist zu bedauern, daß dieser Irrtum nur gar zu oft solche Köpfe einnimmt, von denen das Vaterland außer diesen die größten Vorteile und alle Ehre zu hoffen hätte. Dergleichen Leute nun werden allhier einen Schriftsteller oder vielmehr einige der besten eng¬ lischen Schriftsteller erblicken, die alles ihr Vermögen anstrengen, diesem Un¬ heile zu steuern. Es sind tiefsinnige Weltweise, die sichs für keinen Schimpf halten, Christen zu sein. Es sind witzerfüllte Männer, die diese Gabe nicht zur Verachtung der Diener des Herrn anwenden. Es sind Leute, die den feinsten Spott in ihrer Gewalt haben und dennoch damit weder der Unschuld noch den guten Sitten zu nahe treten. Es sind Leute, welche die Welt, ja die große und reizende Welt gesehen haben und dennoch nicht glauben, daß es ein Übelstand sey, mäßig, bescheiden und keusch in Thaten und Ausdrücken zu seyn. Es sind Personen, die gewiß unter den Geschöpfen ihrer Art im ersten Range stehen und dennoch keinen Ruhm der Tiefsiunigkeit darinnen suchen, an dem Daseyn ihres große» Urhebers zu zweifeln. Es sind endlich große Geister, die es für kein Zeichen der Dummheit halten, eine ewige Glückseligkeit oder Unglückseligkeit zu glauben. Wer weiß nun, ob ein solcher Anblick nicht einige von unseren neuern Freygeistern auf bessere Gedanken bringt?" Fleißig beteiligte sich Frau Gottsched auch an den Arbeiten ihres Gatten, die ans Förderung der deutschen Litteratur und auf die Geschichte derselben gerichtet waren. Die Bände der drei kritischen Zeitschriften, die Gottsched nach einander herausgab, der „Beyträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/611
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/611>, abgerufen am 23.07.2024.