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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched.

Tochter wurde auch zu Handarbeiten, namentlich zum Nähen und Spitzen¬
klöppeln, angehalten, und daß sie auch in der Hauswirtschaft mit zugreifen mußte,
darf man voraussetzen, wenn man von der spätern Hausfrau rühmen hört, daß
sie trotz der angestrengtesten Beschäftigung mit Wissenschaft und Kunst doch mit
ebensoviel Sorgfalt als Verständnis sich auch um ihr Hauswesen gekümmert habe.

Als Adelgunde älter wurde, hatte sie neben besondrer Anweisung zur
deutschen Poesie mich noch Privatunterricht in Geschichte, Geographie und
Zeichnen. Johann Christoph Reinholds "Perspektiv-Reißkunst" schrieb sie sich
vollständig ab, wie sie denn auch alle dazu gehörigen Risse abzeichnete. Für
ihren Vater schrieb sie sogar ein lateinisches Kollegienheft über Pathologie ab,
obgleich sie nichts davon verstand. Als eine Frucht ihrer Mußestunden entstand
die deutsche Übersetzung eines französischen Romans, die man später veröffent¬
lichen wollte, wozu sie aber nie ihre Einwilligung gab. Lieber als Romane
waren ihr französische Werke moralischen Inhalts. So las sie besonders gern
den Telemach des Fenelon und die von Dacier in Französische übersetzten Be¬
trachtungen Marc Aurels.

Auch dichterisch bethätigte sich Adelgunde frühzeitig. Erhalten sind uns
aus ihrem zwölften Jahre eine Ode auf den Namenstag ihrer Großmutter,
aus dem vierzehnten eine Elegie auf den Namenstag der Mutter. Im fünf¬
zehnten Jahre dichtete sie eine Ode auf den Sturz des russischen Ministers
Menschikoff. Sie spricht da von dem Ruhme der Welt:


Wenn er sich nur auf Glück, nicht auf Verdienste gründet,
Was Wunder, daß er auch so bald wie dies verschwindet?

Es sind wenigstens Gedanken in der Ode, wenn auch die Form mancherlei zu
wünschen übrig läßt. Aber es giebt in den Gedichtsammlungen der anerkanntesten
Dichter jener Zeit Gedichte, die um keinen Grad besser sind.

Die dichterischen Versuche des Mädchens gelangten durch Vermittlung eines
Freundes zur Kenntnis des Professors Gottsched in Leipzig, der davon ganz
entzückt war und am 19. Oktober 1727 an das vierzehnjährige Mädchen ein
poetisches Sendschreiben voll überschwänglicher Lobeserhebungen richtete. Es
beginnt:


Poetin, zürne nicht, daß sich ein Fremder wagt
Und dir den treusten Dank in schlechten Reimen sagt,
Den dein Geschenk verdient. Die allerliebsten Zeilen,
Die du durch unsern Freund mir neulich zu erteilen
Geneigt beliebet hast, erfordern zweifelsfrei,
Daß ich dir, schönes Kind, dasür erkenntlich sei.
Allein, wie stell' ichs an? Was giebt dein Knecht dir wieder?
Ich lese ganz entzückt die geisterfüllten Lieder,
Die du mir zugesandt, und seufz' in meinem Sinn:
Ach schade, daß ich doch so weit von Danzig bin!
Wie zärtlich wollt' ich dir allein zu danken wissen,
Wie zärtlich wollt' ich nicht die schönen Hände küssen,
Die ein so muntrer Geist belebt, bewegt und rührt,
Wann er den Dichtcrkiel trotz allen Männern führt.

Frau Gottsched.

Tochter wurde auch zu Handarbeiten, namentlich zum Nähen und Spitzen¬
klöppeln, angehalten, und daß sie auch in der Hauswirtschaft mit zugreifen mußte,
darf man voraussetzen, wenn man von der spätern Hausfrau rühmen hört, daß
sie trotz der angestrengtesten Beschäftigung mit Wissenschaft und Kunst doch mit
ebensoviel Sorgfalt als Verständnis sich auch um ihr Hauswesen gekümmert habe.

Als Adelgunde älter wurde, hatte sie neben besondrer Anweisung zur
deutschen Poesie mich noch Privatunterricht in Geschichte, Geographie und
Zeichnen. Johann Christoph Reinholds „Perspektiv-Reißkunst" schrieb sie sich
vollständig ab, wie sie denn auch alle dazu gehörigen Risse abzeichnete. Für
ihren Vater schrieb sie sogar ein lateinisches Kollegienheft über Pathologie ab,
obgleich sie nichts davon verstand. Als eine Frucht ihrer Mußestunden entstand
die deutsche Übersetzung eines französischen Romans, die man später veröffent¬
lichen wollte, wozu sie aber nie ihre Einwilligung gab. Lieber als Romane
waren ihr französische Werke moralischen Inhalts. So las sie besonders gern
den Telemach des Fenelon und die von Dacier in Französische übersetzten Be¬
trachtungen Marc Aurels.

Auch dichterisch bethätigte sich Adelgunde frühzeitig. Erhalten sind uns
aus ihrem zwölften Jahre eine Ode auf den Namenstag ihrer Großmutter,
aus dem vierzehnten eine Elegie auf den Namenstag der Mutter. Im fünf¬
zehnten Jahre dichtete sie eine Ode auf den Sturz des russischen Ministers
Menschikoff. Sie spricht da von dem Ruhme der Welt:


Wenn er sich nur auf Glück, nicht auf Verdienste gründet,
Was Wunder, daß er auch so bald wie dies verschwindet?

Es sind wenigstens Gedanken in der Ode, wenn auch die Form mancherlei zu
wünschen übrig läßt. Aber es giebt in den Gedichtsammlungen der anerkanntesten
Dichter jener Zeit Gedichte, die um keinen Grad besser sind.

Die dichterischen Versuche des Mädchens gelangten durch Vermittlung eines
Freundes zur Kenntnis des Professors Gottsched in Leipzig, der davon ganz
entzückt war und am 19. Oktober 1727 an das vierzehnjährige Mädchen ein
poetisches Sendschreiben voll überschwänglicher Lobeserhebungen richtete. Es
beginnt:


Poetin, zürne nicht, daß sich ein Fremder wagt
Und dir den treusten Dank in schlechten Reimen sagt,
Den dein Geschenk verdient. Die allerliebsten Zeilen,
Die du durch unsern Freund mir neulich zu erteilen
Geneigt beliebet hast, erfordern zweifelsfrei,
Daß ich dir, schönes Kind, dasür erkenntlich sei.
Allein, wie stell' ichs an? Was giebt dein Knecht dir wieder?
Ich lese ganz entzückt die geisterfüllten Lieder,
Die du mir zugesandt, und seufz' in meinem Sinn:
Ach schade, daß ich doch so weit von Danzig bin!
Wie zärtlich wollt' ich dir allein zu danken wissen,
Wie zärtlich wollt' ich nicht die schönen Hände küssen,
Die ein so muntrer Geist belebt, bewegt und rührt,
Wann er den Dichtcrkiel trotz allen Männern führt.

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[0604] Frau Gottsched. Tochter wurde auch zu Handarbeiten, namentlich zum Nähen und Spitzen¬ klöppeln, angehalten, und daß sie auch in der Hauswirtschaft mit zugreifen mußte, darf man voraussetzen, wenn man von der spätern Hausfrau rühmen hört, daß sie trotz der angestrengtesten Beschäftigung mit Wissenschaft und Kunst doch mit ebensoviel Sorgfalt als Verständnis sich auch um ihr Hauswesen gekümmert habe. Als Adelgunde älter wurde, hatte sie neben besondrer Anweisung zur deutschen Poesie mich noch Privatunterricht in Geschichte, Geographie und Zeichnen. Johann Christoph Reinholds „Perspektiv-Reißkunst" schrieb sie sich vollständig ab, wie sie denn auch alle dazu gehörigen Risse abzeichnete. Für ihren Vater schrieb sie sogar ein lateinisches Kollegienheft über Pathologie ab, obgleich sie nichts davon verstand. Als eine Frucht ihrer Mußestunden entstand die deutsche Übersetzung eines französischen Romans, die man später veröffent¬ lichen wollte, wozu sie aber nie ihre Einwilligung gab. Lieber als Romane waren ihr französische Werke moralischen Inhalts. So las sie besonders gern den Telemach des Fenelon und die von Dacier in Französische übersetzten Be¬ trachtungen Marc Aurels. Auch dichterisch bethätigte sich Adelgunde frühzeitig. Erhalten sind uns aus ihrem zwölften Jahre eine Ode auf den Namenstag ihrer Großmutter, aus dem vierzehnten eine Elegie auf den Namenstag der Mutter. Im fünf¬ zehnten Jahre dichtete sie eine Ode auf den Sturz des russischen Ministers Menschikoff. Sie spricht da von dem Ruhme der Welt: Wenn er sich nur auf Glück, nicht auf Verdienste gründet, Was Wunder, daß er auch so bald wie dies verschwindet? Es sind wenigstens Gedanken in der Ode, wenn auch die Form mancherlei zu wünschen übrig läßt. Aber es giebt in den Gedichtsammlungen der anerkanntesten Dichter jener Zeit Gedichte, die um keinen Grad besser sind. Die dichterischen Versuche des Mädchens gelangten durch Vermittlung eines Freundes zur Kenntnis des Professors Gottsched in Leipzig, der davon ganz entzückt war und am 19. Oktober 1727 an das vierzehnjährige Mädchen ein poetisches Sendschreiben voll überschwänglicher Lobeserhebungen richtete. Es beginnt: Poetin, zürne nicht, daß sich ein Fremder wagt Und dir den treusten Dank in schlechten Reimen sagt, Den dein Geschenk verdient. Die allerliebsten Zeilen, Die du durch unsern Freund mir neulich zu erteilen Geneigt beliebet hast, erfordern zweifelsfrei, Daß ich dir, schönes Kind, dasür erkenntlich sei. Allein, wie stell' ichs an? Was giebt dein Knecht dir wieder? Ich lese ganz entzückt die geisterfüllten Lieder, Die du mir zugesandt, und seufz' in meinem Sinn: Ach schade, daß ich doch so weit von Danzig bin! Wie zärtlich wollt' ich dir allein zu danken wissen, Wie zärtlich wollt' ich nicht die schönen Hände küssen, Die ein so muntrer Geist belebt, bewegt und rührt, Wann er den Dichtcrkiel trotz allen Männern führt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/604>, abgerufen am 22.07.2024.