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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

einem Wunder entgegen, dann ward es einen Augenblick klar und still, und in
dieser Klarheit trat er vom Fenster und warf sich über einen Tisch, der dort
stand, und brach in Schluchzen aus, ohne jedoch eine einzige Thräne hervor¬
zubringen.

Als er wieder in das Krankenzimmer kam, hatte das Kind Krämpfe. Er
sah es an, als wollte er sich damit töten. Es war entsetzlich, und doch war
es noch nicht das Schlimmste. Als der Krampf nachließ und der Körper wieder
weich und biegsam wurde, und sich dem Glücke, weniger Schmerzen zu em¬
pfinden, hingab, da die Angst zu sehen, die der Blick des Kindes annahm, als
es in der Ferne bemerkte, daß der Krampf wieder kam, dies steigende Flehen
um Hilfe, je näher die Pein kam, nein, das ansehen zu müssen und nicht helfen
zu können, nicht mit dem eignen Herzblute, nicht mit allem, was er besaß, was
er hatte -- er erhob seine geballten Hände drohend gen Himmel, er griff in
dem wahnsinnigen Gedanken an eine Flucht nach dem Kinde, und dann warf
er sich auf die Erde, auf seine Kniee und betete zu dem Gott da droben im
Himmel, der das Erdreich durch Prüfungen und Züchtigungen in Angst erhält,
der Not und Krankheit, Leiden und Tod sendet, der da will, daß sich alle Kniee
zitternd vor ihm beuge" sollen, und vor dem kein Entfliehen möglich ist, weder
ans äußerste Meer noch in die tiefsten Tiefen hinab, der, wenn es ihm ge¬
fällt, den, welchen dn am heißesten auf der ganzen Welt liebst, mit Füßen
treten und ihn zu dem Staube zermalmen wird, woraus er selber ihn ge¬
schaffen hat.

Mit solche" Gedanken betete Ricks Lyhne zu Gott, warf sich in seiner
Ohnmacht vor dem Himmelsthrone nieder und bekannte, daß die Macht sein
sei, sein alleiniges Eigentum.

Aber das Kind litt nach wie vor. Gegen Morgen, als der alte Sanitäts¬
rat, der Hausarzt, durch das Hofthor fuhr, war Ricks Lyhne allein.

(Schluß folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Prozeßkostcn.

Anknüpfend an einen Fall, wo ein einfacher Prozeß, der ledig¬
lich die Rückzahlung von 20 Mark betraf, zu seiner Erledigung nahezu ein Dutzend
Termine und anderthalb Jahre Zeit gebraucht und 25 Mark Änwaltsgebühren ge¬
kostet haben soll, urteilt der Verfasser eines in Ur. 30 der Grenzboten enthal¬
tenen Aufsatzes "Ein Notschrei" über den amtsgerichtlichen Zivilprozeß in einer
Art und Weise, die einer Berichtigung bedarf, um dieses Institut bei den nicht-


Kleinere Mitteilungen.

einem Wunder entgegen, dann ward es einen Augenblick klar und still, und in
dieser Klarheit trat er vom Fenster und warf sich über einen Tisch, der dort
stand, und brach in Schluchzen aus, ohne jedoch eine einzige Thräne hervor¬
zubringen.

Als er wieder in das Krankenzimmer kam, hatte das Kind Krämpfe. Er
sah es an, als wollte er sich damit töten. Es war entsetzlich, und doch war
es noch nicht das Schlimmste. Als der Krampf nachließ und der Körper wieder
weich und biegsam wurde, und sich dem Glücke, weniger Schmerzen zu em¬
pfinden, hingab, da die Angst zu sehen, die der Blick des Kindes annahm, als
es in der Ferne bemerkte, daß der Krampf wieder kam, dies steigende Flehen
um Hilfe, je näher die Pein kam, nein, das ansehen zu müssen und nicht helfen
zu können, nicht mit dem eignen Herzblute, nicht mit allem, was er besaß, was
er hatte — er erhob seine geballten Hände drohend gen Himmel, er griff in
dem wahnsinnigen Gedanken an eine Flucht nach dem Kinde, und dann warf
er sich auf die Erde, auf seine Kniee und betete zu dem Gott da droben im
Himmel, der das Erdreich durch Prüfungen und Züchtigungen in Angst erhält,
der Not und Krankheit, Leiden und Tod sendet, der da will, daß sich alle Kniee
zitternd vor ihm beuge» sollen, und vor dem kein Entfliehen möglich ist, weder
ans äußerste Meer noch in die tiefsten Tiefen hinab, der, wenn es ihm ge¬
fällt, den, welchen dn am heißesten auf der ganzen Welt liebst, mit Füßen
treten und ihn zu dem Staube zermalmen wird, woraus er selber ihn ge¬
schaffen hat.

Mit solche» Gedanken betete Ricks Lyhne zu Gott, warf sich in seiner
Ohnmacht vor dem Himmelsthrone nieder und bekannte, daß die Macht sein
sei, sein alleiniges Eigentum.

Aber das Kind litt nach wie vor. Gegen Morgen, als der alte Sanitäts¬
rat, der Hausarzt, durch das Hofthor fuhr, war Ricks Lyhne allein.

(Schluß folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Prozeßkostcn.

Anknüpfend an einen Fall, wo ein einfacher Prozeß, der ledig¬
lich die Rückzahlung von 20 Mark betraf, zu seiner Erledigung nahezu ein Dutzend
Termine und anderthalb Jahre Zeit gebraucht und 25 Mark Änwaltsgebühren ge¬
kostet haben soll, urteilt der Verfasser eines in Ur. 30 der Grenzboten enthal¬
tenen Aufsatzes „Ein Notschrei" über den amtsgerichtlichen Zivilprozeß in einer
Art und Weise, die einer Berichtigung bedarf, um dieses Institut bei den nicht-


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[0572] Kleinere Mitteilungen. einem Wunder entgegen, dann ward es einen Augenblick klar und still, und in dieser Klarheit trat er vom Fenster und warf sich über einen Tisch, der dort stand, und brach in Schluchzen aus, ohne jedoch eine einzige Thräne hervor¬ zubringen. Als er wieder in das Krankenzimmer kam, hatte das Kind Krämpfe. Er sah es an, als wollte er sich damit töten. Es war entsetzlich, und doch war es noch nicht das Schlimmste. Als der Krampf nachließ und der Körper wieder weich und biegsam wurde, und sich dem Glücke, weniger Schmerzen zu em¬ pfinden, hingab, da die Angst zu sehen, die der Blick des Kindes annahm, als es in der Ferne bemerkte, daß der Krampf wieder kam, dies steigende Flehen um Hilfe, je näher die Pein kam, nein, das ansehen zu müssen und nicht helfen zu können, nicht mit dem eignen Herzblute, nicht mit allem, was er besaß, was er hatte — er erhob seine geballten Hände drohend gen Himmel, er griff in dem wahnsinnigen Gedanken an eine Flucht nach dem Kinde, und dann warf er sich auf die Erde, auf seine Kniee und betete zu dem Gott da droben im Himmel, der das Erdreich durch Prüfungen und Züchtigungen in Angst erhält, der Not und Krankheit, Leiden und Tod sendet, der da will, daß sich alle Kniee zitternd vor ihm beuge» sollen, und vor dem kein Entfliehen möglich ist, weder ans äußerste Meer noch in die tiefsten Tiefen hinab, der, wenn es ihm ge¬ fällt, den, welchen dn am heißesten auf der ganzen Welt liebst, mit Füßen treten und ihn zu dem Staube zermalmen wird, woraus er selber ihn ge¬ schaffen hat. Mit solche» Gedanken betete Ricks Lyhne zu Gott, warf sich in seiner Ohnmacht vor dem Himmelsthrone nieder und bekannte, daß die Macht sein sei, sein alleiniges Eigentum. Aber das Kind litt nach wie vor. Gegen Morgen, als der alte Sanitäts¬ rat, der Hausarzt, durch das Hofthor fuhr, war Ricks Lyhne allein. (Schluß folgt.) Kleinere Mitteilungen. Prozeßkostcn. Anknüpfend an einen Fall, wo ein einfacher Prozeß, der ledig¬ lich die Rückzahlung von 20 Mark betraf, zu seiner Erledigung nahezu ein Dutzend Termine und anderthalb Jahre Zeit gebraucht und 25 Mark Änwaltsgebühren ge¬ kostet haben soll, urteilt der Verfasser eines in Ur. 30 der Grenzboten enthal¬ tenen Aufsatzes „Ein Notschrei" über den amtsgerichtlichen Zivilprozeß in einer Art und Weise, die einer Berichtigung bedarf, um dieses Institut bei den nicht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/572>, abgerufen am 22.07.2024.