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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulvereine.

anderseits hat die eigentümliche Regierungsform der Republik, die den ein¬
zelnen Kantonen und Gemeinden fast gänzliche Selbständigkeit überläßt, weit¬
gehende Verschiebungen der Nationalgrenzen hinangehalten. Zudem ist bekannt,
daß jeder echte Schweizer sich als Schweizer fühlt und von dem Zusammen¬
hange mit andern großen Völkern blutwenig weiß. Wie könnten da hitzige
Sprachenkämpfe entstehen, solche, die eine beträchtliche Veränderung für die
Zukunft erwarten ließen? Daß es an kleinen Schulzwistigkeiten nicht fehlt,
beweist allerdings das Vorhandensein des "Schweizerischen Schulvereins in
Zürich," der im Jahre 1882 gegründet wurde. Er sucht hauptsächlich der
Verwälschung der südlichen Kantone vorzubeugen, in denen ein langsames, aber
stetiges Zurückdrängen des Deutschtums schon seit längerer Zeit beobachtet
werden kann.

Nun gelangen wir zu einem ganz besonders wichtigen Grenznachbar, der
sich bis vor gar nicht langer Zeit im Besitze zwei deutscher Provinzen befand
und noch immer nicht daran glauben will, daß ihm diese auf ewige Zeiten ent¬
rissen sind. Die Sprachgrenze ist seit 1871 im ganzen und großen auch die
politische Grenze geworden und begünstigt eher das siegreiche Deutschland. Wer
wüßte nicht, wie tief sich der Groll darüber in alle französischen Herzen ein¬
gefressen hat, und wie mächtig der Ruf nach "Revanche" immer wieder erschallt,
wenn irgend ein Fünkchen aufblitzt, das bei gehöriger Schürung zum großen
Weltbrande auflodern könnte? Aber Deutschland ist weise, mächtig und groß,
und die französischen Staatsmänner sind vorsichtig geworden; so ist es denn
wahrscheinlich, daß das Elsaß und Lothringen schon längst wieder auch dem
Herzen nach zu Deutschland vollständig gehören werden, wenn Frankreich endlich
den "Befreiungskampf" vornimmt.

Bei so feindseligen Beziehungen ist es aber auch ganz unmöglich, daß in
diesen Grenzgebieten heftige Schulkämpfe entstehen könnten, oder daß irgend ein
Privatverein gegen die Oberhoheit des Staates sich auflehnte. Hier wie auf
der ganzen westlichen Grenzlinie wahrt sich Deutschland sein gutes Recht und
lenkt die Schulen nach eignem Gutdünken, nur von dem einzigen Streben beseelt,
ein an Kenntnissen tüchtiges und in der Liebe zum deutschen Vaterlande reiches
Volk heranzuziehen. Jede Gegenbestrebung muß als staatsfeindlich verfolgt
werden. Das begriffen schließlich auch die Franzosen und suchten auf andre
Weise Entschädigung. Sie begründeten einen Schulverein, der die ganze Welt
umspannen soll, in allen Erdteilen französische Sprache und Sympathien gro߬
zieht. Er besteht jetzt schon seit dem Jahre 1883.

Die ^lliWvö trg.neM8"z ist offenbar als Konkurrenz und Nachahmung der
deutschen Schulvereine gedacht worden und verfehlt daher bei keiner Gelegenheit,
in Hauptversammlungen, in propagandistischen Reden u. s. w. auf das Beispiel
Deutschlands hinzuweisen, als wirksamstes Mittel zur Anwerbung der noch
Unschlüssigen, denen vielleicht der kleinste Jahresbeitrag von sechs Franks noch


Die Schulvereine.

anderseits hat die eigentümliche Regierungsform der Republik, die den ein¬
zelnen Kantonen und Gemeinden fast gänzliche Selbständigkeit überläßt, weit¬
gehende Verschiebungen der Nationalgrenzen hinangehalten. Zudem ist bekannt,
daß jeder echte Schweizer sich als Schweizer fühlt und von dem Zusammen¬
hange mit andern großen Völkern blutwenig weiß. Wie könnten da hitzige
Sprachenkämpfe entstehen, solche, die eine beträchtliche Veränderung für die
Zukunft erwarten ließen? Daß es an kleinen Schulzwistigkeiten nicht fehlt,
beweist allerdings das Vorhandensein des „Schweizerischen Schulvereins in
Zürich," der im Jahre 1882 gegründet wurde. Er sucht hauptsächlich der
Verwälschung der südlichen Kantone vorzubeugen, in denen ein langsames, aber
stetiges Zurückdrängen des Deutschtums schon seit längerer Zeit beobachtet
werden kann.

Nun gelangen wir zu einem ganz besonders wichtigen Grenznachbar, der
sich bis vor gar nicht langer Zeit im Besitze zwei deutscher Provinzen befand
und noch immer nicht daran glauben will, daß ihm diese auf ewige Zeiten ent¬
rissen sind. Die Sprachgrenze ist seit 1871 im ganzen und großen auch die
politische Grenze geworden und begünstigt eher das siegreiche Deutschland. Wer
wüßte nicht, wie tief sich der Groll darüber in alle französischen Herzen ein¬
gefressen hat, und wie mächtig der Ruf nach „Revanche" immer wieder erschallt,
wenn irgend ein Fünkchen aufblitzt, das bei gehöriger Schürung zum großen
Weltbrande auflodern könnte? Aber Deutschland ist weise, mächtig und groß,
und die französischen Staatsmänner sind vorsichtig geworden; so ist es denn
wahrscheinlich, daß das Elsaß und Lothringen schon längst wieder auch dem
Herzen nach zu Deutschland vollständig gehören werden, wenn Frankreich endlich
den „Befreiungskampf" vornimmt.

Bei so feindseligen Beziehungen ist es aber auch ganz unmöglich, daß in
diesen Grenzgebieten heftige Schulkämpfe entstehen könnten, oder daß irgend ein
Privatverein gegen die Oberhoheit des Staates sich auflehnte. Hier wie auf
der ganzen westlichen Grenzlinie wahrt sich Deutschland sein gutes Recht und
lenkt die Schulen nach eignem Gutdünken, nur von dem einzigen Streben beseelt,
ein an Kenntnissen tüchtiges und in der Liebe zum deutschen Vaterlande reiches
Volk heranzuziehen. Jede Gegenbestrebung muß als staatsfeindlich verfolgt
werden. Das begriffen schließlich auch die Franzosen und suchten auf andre
Weise Entschädigung. Sie begründeten einen Schulverein, der die ganze Welt
umspannen soll, in allen Erdteilen französische Sprache und Sympathien gro߬
zieht. Er besteht jetzt schon seit dem Jahre 1883.

Die ^lliWvö trg.neM8«z ist offenbar als Konkurrenz und Nachahmung der
deutschen Schulvereine gedacht worden und verfehlt daher bei keiner Gelegenheit,
in Hauptversammlungen, in propagandistischen Reden u. s. w. auf das Beispiel
Deutschlands hinzuweisen, als wirksamstes Mittel zur Anwerbung der noch
Unschlüssigen, denen vielleicht der kleinste Jahresbeitrag von sechs Franks noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/557>, abgerufen am 24.08.2024.