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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.

habe" scheint. Der Maire von Reims hatte auf die Nachricht von den Vor¬
gängen, die am 4. September in Paris stattgefunden hatten, sein Amt nieder¬
gelegt, zugleich aber eine Kommission aus zehn Mitgliedern des Stadtrates ein¬
gesetzt, die unter seinem Vorsitz die Verwaltung fortführen sollte. Das sah, als
es von den dortigen Blättern veröffentlicht wurde, wie eine Anerkennung der
in Paris aufgerufenen Republik aus und konnte für andre Städte in den be¬
setzten Teilen Frankreichs Anlaß werden, ähnlich zu verfahren. Bismarck be¬
fahl deshalb Stieber, dem Direktor der Feldpolizei, dagegen einzuschreiten, und
das geschah, indem Stieber dem Maire erklärte, die Ereignisse in Paris gingen
ihn nichts an. Im Generalstabe nahm man das sehr übel, indem man hier
der Ansicht war, dergleichen Maßregeln dürften nur vom militärischen Ober¬
kommando verfügt werden, und keine nicht militärische Behörde oder Person sei
befugt, selbständig in den Gang der Dinge einzugreifen. Als Schneider am
nächsten Morgen dem Könige von dem Vorgehen gegen den Maire, wobei er
als Dolmetscher und Protokollführer gedient hatte, erzählte, fragte ihn der
König, ob ihn der Bundeskanzler oder Stieber dazu aufgefordert habe, und als
er antwortete, der letztere, von dem ihm jedoch bekannt sei, daß er stets im Auf¬
trage des Kanzlers handle, äußerte er nur ein "Hin!" Die Sache wurde da¬
mals von den Militärs und den Beamten Bismarcks vielfach und ungenirt be¬
sprochen. "Im Generalstabe schien man die Anwesenheit des Bundeskanzlers
im Hauptquartiere, in täglicher Berührung mit dem königlichen Oberfeldherrn
und sogar beim Generalsvortrage, nicht allein für überflüssig, sondern sogar für
hinderlich zu halten. Es spreche sich das, so behauptete man, schon in der
offiziellen Liste des großen Hauptquartiers aus, wo das gesamte Bundeskanzler¬
amt unter der Rubrik "Außerdem" verzeichnet sei. In der That könne ein fort¬
dauernder politischer Beirat die Kraft und Schnelligkeit der militärischen Aktion
nur hemmen und dem raschen Entschlüsse durch langsames Erwägen die Spitze
abbrechen. Habe Politik und Diplomatie einmal erklärt, nicht weiter zu können,
und dem Kriege die Entscheidung überlassen, so müsse ihre jeden Schritt be¬
gleitende Einwirkung auch aufhören. Der Soldat habe nur die Aufgabe, den
Feind zu überwinden und ihn so gebunden der nun wieder eintretenden poli¬
tischen Aktion zu Füßen zu legen, daß diese nach ihren Interessen mit ihm
schalten könne.... Im Bnndeskanzleramte hieß es dagegen, der Krieg sei doch
nie Selbstzweck, sondern nur eins der Mittel für die Politik, dürfe sich also
ihrer Leitung nicht entziehen. Sei er vorüber, so stecke der Soldat den Degen
ein, die Orden vor die Brust, die Dotation in die Tasche, und der Generalstab
habe nur noch die Aufgabe, sich für den nächsten Krieg vorzubereiten. Die Po¬
litik aber überdauere den Krieg, sie müsse mit dem überwundenen Nachbar
weiter leben, aus dem gedemütigten werde sehr bald wieder ein gleichberech¬
tigter Faktor in der> Familie der Staaten, und die Politik könne sich durch den
Krieg keine Verantwortlichkeiten aufbürden lassen, bei deren Herbeiführung sie


Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.

habe» scheint. Der Maire von Reims hatte auf die Nachricht von den Vor¬
gängen, die am 4. September in Paris stattgefunden hatten, sein Amt nieder¬
gelegt, zugleich aber eine Kommission aus zehn Mitgliedern des Stadtrates ein¬
gesetzt, die unter seinem Vorsitz die Verwaltung fortführen sollte. Das sah, als
es von den dortigen Blättern veröffentlicht wurde, wie eine Anerkennung der
in Paris aufgerufenen Republik aus und konnte für andre Städte in den be¬
setzten Teilen Frankreichs Anlaß werden, ähnlich zu verfahren. Bismarck be¬
fahl deshalb Stieber, dem Direktor der Feldpolizei, dagegen einzuschreiten, und
das geschah, indem Stieber dem Maire erklärte, die Ereignisse in Paris gingen
ihn nichts an. Im Generalstabe nahm man das sehr übel, indem man hier
der Ansicht war, dergleichen Maßregeln dürften nur vom militärischen Ober¬
kommando verfügt werden, und keine nicht militärische Behörde oder Person sei
befugt, selbständig in den Gang der Dinge einzugreifen. Als Schneider am
nächsten Morgen dem Könige von dem Vorgehen gegen den Maire, wobei er
als Dolmetscher und Protokollführer gedient hatte, erzählte, fragte ihn der
König, ob ihn der Bundeskanzler oder Stieber dazu aufgefordert habe, und als
er antwortete, der letztere, von dem ihm jedoch bekannt sei, daß er stets im Auf¬
trage des Kanzlers handle, äußerte er nur ein „Hin!" Die Sache wurde da¬
mals von den Militärs und den Beamten Bismarcks vielfach und ungenirt be¬
sprochen. „Im Generalstabe schien man die Anwesenheit des Bundeskanzlers
im Hauptquartiere, in täglicher Berührung mit dem königlichen Oberfeldherrn
und sogar beim Generalsvortrage, nicht allein für überflüssig, sondern sogar für
hinderlich zu halten. Es spreche sich das, so behauptete man, schon in der
offiziellen Liste des großen Hauptquartiers aus, wo das gesamte Bundeskanzler¬
amt unter der Rubrik »Außerdem« verzeichnet sei. In der That könne ein fort¬
dauernder politischer Beirat die Kraft und Schnelligkeit der militärischen Aktion
nur hemmen und dem raschen Entschlüsse durch langsames Erwägen die Spitze
abbrechen. Habe Politik und Diplomatie einmal erklärt, nicht weiter zu können,
und dem Kriege die Entscheidung überlassen, so müsse ihre jeden Schritt be¬
gleitende Einwirkung auch aufhören. Der Soldat habe nur die Aufgabe, den
Feind zu überwinden und ihn so gebunden der nun wieder eintretenden poli¬
tischen Aktion zu Füßen zu legen, daß diese nach ihren Interessen mit ihm
schalten könne.... Im Bnndeskanzleramte hieß es dagegen, der Krieg sei doch
nie Selbstzweck, sondern nur eins der Mittel für die Politik, dürfe sich also
ihrer Leitung nicht entziehen. Sei er vorüber, so stecke der Soldat den Degen
ein, die Orden vor die Brust, die Dotation in die Tasche, und der Generalstab
habe nur noch die Aufgabe, sich für den nächsten Krieg vorzubereiten. Die Po¬
litik aber überdauere den Krieg, sie müsse mit dem überwundenen Nachbar
weiter leben, aus dem gedemütigten werde sehr bald wieder ein gleichberech¬
tigter Faktor in der> Familie der Staaten, und die Politik könne sich durch den
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/542>, abgerufen am 22.07.2024.