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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur.

Dreikart mit zwei Trümphen; die Frau und die Töchter des Wirts sahen zu
und sorgte" für die Bedienung dieses Tisches, nicht aber für sie. Einer der
Kellner brachte ihnen endlich das Verlangte. Sie beeilten sich mit ihrem Ge¬
tränke, denn sie fühlten, daß sie störten, man sprach weniger laut, und der Wirt,
der vorhin in Hemdsärmeln dagesessen hatte, hatte sich nicht überwinden können,
sitzen zu bleiben, sondern war in seinen Rock gefahren.

(Fortsetzung folgt.)




Litteratur.
Aus Schuberts Leben und Wirken. Von Eugen Nägele. Mit einem Anhang:
SchubmtS Erstlingswerke und Schuldiktate. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1888.

Diese reichhaltige, auf ihrem eignen Schauplatze entstandene und auf That¬
sachen und Ueberlieferungen fast peinlich beschränkte Lebensbeschreibung des ur¬
wüchsigsten der "Originalgenies" wird auch außerhalb seiner engern Heimat
Schwaben, wo das Interesse für Schubart noch rege ist, auf die Aufmerksamkeit
eines nicht bloß literarhistorisch fachmäßigen Leserkreises Anspruch machen dürfen.
Der Geistersturm, der im vorigen Jahrhundert bis in die verlorensten Winkel des
Vaterlandes wehte, kann nicht eigenartiger, für die deutschen Verhältnisse bezeich¬
nender dargestellt werden, als durch das brausende Dichterleben dieses Schulmeisters
einer schwäbischen Unterstadt, dessen Phantasie und Pindarischer Versschwung sich
in -- Schuldiktaten und Festliedern austobt, der schon dem ersten Anhauch freiern
Lebens moralisch erliegt und den ersten zahmen Versuch einer Erhebung über
Amts- und Schulstaub mit dem Martyrium einer grünt- und zwecklosen elfjährigen
Kerkerhaft bezahlen muß. Als der Gefangene auf dem Hohenasperg, als der Jo¬
hannes seines Landsmanns Schiller ist Schubart dem deutschen Volke meist bekannt.
Strauß hat sein Lebensbild dazu benutzt, um den Zwiespalt der eignen Natur
darin zu spiegeln. Aber Schubart ist weniger und mehr als ein litterarischer
Frühlingsbote, sicherlich alles andre als ein versprengter, in der Welt und in sich
selbst geirrter Ritter vom Geist, das zwiefache Opfer verknöcherter Lebensformen.
Er ist zunächst eine merkwürdige Persönlichkeit an sich mit seiner polyhistorischen
Vielseitigkeit und seiner oft geradezu kindischen Musikantenuatur, seinen moralischen
Anschauungen und seiner grenzenlosen Lüderlichkeit, seiner Klopstockscher Religiosität
und seiner Wiclandschen Freigeisterei. Er giebt seinen etwas ältern Zeitgenossen
Rousseau in verjüngtem Maßstabe wieder. Den eigentlichen Schlüssel zum Be¬
greifen dieser litterarischen Erscheinungsform aber giebt der deutsche Schubart.
Als Deutscher gehört er in eine Reihe für Deutschland charakteristischer Geister,
die sich schon im Mittelalter ankündigen, in den neuern Zeiten in den
Hütten, Christian Günther, Heinrich von Kleist u. a. immer wiederkehren. Ihr
Grundzug ist Widerstandsunfähigkeit gegen die eignen Lebensformen, ein Durch¬
gehen des Kopfes mit dem Herzen, ein trotziges Sichselbstvergessen im Ge¬
fühl der eignen Überlegenheit, ein Sichberauschen im neuen Wissen, im jungen


Litteratur.

Dreikart mit zwei Trümphen; die Frau und die Töchter des Wirts sahen zu
und sorgte» für die Bedienung dieses Tisches, nicht aber für sie. Einer der
Kellner brachte ihnen endlich das Verlangte. Sie beeilten sich mit ihrem Ge¬
tränke, denn sie fühlten, daß sie störten, man sprach weniger laut, und der Wirt,
der vorhin in Hemdsärmeln dagesessen hatte, hatte sich nicht überwinden können,
sitzen zu bleiben, sondern war in seinen Rock gefahren.

(Fortsetzung folgt.)




Litteratur.
Aus Schuberts Leben und Wirken. Von Eugen Nägele. Mit einem Anhang:
SchubmtS Erstlingswerke und Schuldiktate. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1888.

Diese reichhaltige, auf ihrem eignen Schauplatze entstandene und auf That¬
sachen und Ueberlieferungen fast peinlich beschränkte Lebensbeschreibung des ur¬
wüchsigsten der „Originalgenies" wird auch außerhalb seiner engern Heimat
Schwaben, wo das Interesse für Schubart noch rege ist, auf die Aufmerksamkeit
eines nicht bloß literarhistorisch fachmäßigen Leserkreises Anspruch machen dürfen.
Der Geistersturm, der im vorigen Jahrhundert bis in die verlorensten Winkel des
Vaterlandes wehte, kann nicht eigenartiger, für die deutschen Verhältnisse bezeich¬
nender dargestellt werden, als durch das brausende Dichterleben dieses Schulmeisters
einer schwäbischen Unterstadt, dessen Phantasie und Pindarischer Versschwung sich
in — Schuldiktaten und Festliedern austobt, der schon dem ersten Anhauch freiern
Lebens moralisch erliegt und den ersten zahmen Versuch einer Erhebung über
Amts- und Schulstaub mit dem Martyrium einer grünt- und zwecklosen elfjährigen
Kerkerhaft bezahlen muß. Als der Gefangene auf dem Hohenasperg, als der Jo¬
hannes seines Landsmanns Schiller ist Schubart dem deutschen Volke meist bekannt.
Strauß hat sein Lebensbild dazu benutzt, um den Zwiespalt der eignen Natur
darin zu spiegeln. Aber Schubart ist weniger und mehr als ein litterarischer
Frühlingsbote, sicherlich alles andre als ein versprengter, in der Welt und in sich
selbst geirrter Ritter vom Geist, das zwiefache Opfer verknöcherter Lebensformen.
Er ist zunächst eine merkwürdige Persönlichkeit an sich mit seiner polyhistorischen
Vielseitigkeit und seiner oft geradezu kindischen Musikantenuatur, seinen moralischen
Anschauungen und seiner grenzenlosen Lüderlichkeit, seiner Klopstockscher Religiosität
und seiner Wiclandschen Freigeisterei. Er giebt seinen etwas ältern Zeitgenossen
Rousseau in verjüngtem Maßstabe wieder. Den eigentlichen Schlüssel zum Be¬
greifen dieser litterarischen Erscheinungsform aber giebt der deutsche Schubart.
Als Deutscher gehört er in eine Reihe für Deutschland charakteristischer Geister,
die sich schon im Mittelalter ankündigen, in den neuern Zeiten in den
Hütten, Christian Günther, Heinrich von Kleist u. a. immer wiederkehren. Ihr
Grundzug ist Widerstandsunfähigkeit gegen die eignen Lebensformen, ein Durch¬
gehen des Kopfes mit dem Herzen, ein trotziges Sichselbstvergessen im Ge¬
fühl der eignen Überlegenheit, ein Sichberauschen im neuen Wissen, im jungen


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[0053] Litteratur. Dreikart mit zwei Trümphen; die Frau und die Töchter des Wirts sahen zu und sorgte» für die Bedienung dieses Tisches, nicht aber für sie. Einer der Kellner brachte ihnen endlich das Verlangte. Sie beeilten sich mit ihrem Ge¬ tränke, denn sie fühlten, daß sie störten, man sprach weniger laut, und der Wirt, der vorhin in Hemdsärmeln dagesessen hatte, hatte sich nicht überwinden können, sitzen zu bleiben, sondern war in seinen Rock gefahren. (Fortsetzung folgt.) Litteratur. Aus Schuberts Leben und Wirken. Von Eugen Nägele. Mit einem Anhang: SchubmtS Erstlingswerke und Schuldiktate. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1888. Diese reichhaltige, auf ihrem eignen Schauplatze entstandene und auf That¬ sachen und Ueberlieferungen fast peinlich beschränkte Lebensbeschreibung des ur¬ wüchsigsten der „Originalgenies" wird auch außerhalb seiner engern Heimat Schwaben, wo das Interesse für Schubart noch rege ist, auf die Aufmerksamkeit eines nicht bloß literarhistorisch fachmäßigen Leserkreises Anspruch machen dürfen. Der Geistersturm, der im vorigen Jahrhundert bis in die verlorensten Winkel des Vaterlandes wehte, kann nicht eigenartiger, für die deutschen Verhältnisse bezeich¬ nender dargestellt werden, als durch das brausende Dichterleben dieses Schulmeisters einer schwäbischen Unterstadt, dessen Phantasie und Pindarischer Versschwung sich in — Schuldiktaten und Festliedern austobt, der schon dem ersten Anhauch freiern Lebens moralisch erliegt und den ersten zahmen Versuch einer Erhebung über Amts- und Schulstaub mit dem Martyrium einer grünt- und zwecklosen elfjährigen Kerkerhaft bezahlen muß. Als der Gefangene auf dem Hohenasperg, als der Jo¬ hannes seines Landsmanns Schiller ist Schubart dem deutschen Volke meist bekannt. Strauß hat sein Lebensbild dazu benutzt, um den Zwiespalt der eignen Natur darin zu spiegeln. Aber Schubart ist weniger und mehr als ein litterarischer Frühlingsbote, sicherlich alles andre als ein versprengter, in der Welt und in sich selbst geirrter Ritter vom Geist, das zwiefache Opfer verknöcherter Lebensformen. Er ist zunächst eine merkwürdige Persönlichkeit an sich mit seiner polyhistorischen Vielseitigkeit und seiner oft geradezu kindischen Musikantenuatur, seinen moralischen Anschauungen und seiner grenzenlosen Lüderlichkeit, seiner Klopstockscher Religiosität und seiner Wiclandschen Freigeisterei. Er giebt seinen etwas ältern Zeitgenossen Rousseau in verjüngtem Maßstabe wieder. Den eigentlichen Schlüssel zum Be¬ greifen dieser litterarischen Erscheinungsform aber giebt der deutsche Schubart. Als Deutscher gehört er in eine Reihe für Deutschland charakteristischer Geister, die sich schon im Mittelalter ankündigen, in den neuern Zeiten in den Hütten, Christian Günther, Heinrich von Kleist u. a. immer wiederkehren. Ihr Grundzug ist Widerstandsunfähigkeit gegen die eignen Lebensformen, ein Durch¬ gehen des Kopfes mit dem Herzen, ein trotziges Sichselbstvergessen im Ge¬ fühl der eignen Überlegenheit, ein Sichberauschen im neuen Wissen, im jungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/53>, abgerufen am 26.06.2024.