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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Althans,

liberalen politisch-litterarische" Zeitbewegung war, wo die von I. Kuranda be¬
gründeten "Grenzboten" die österreichischen Zensnrflüchtlinge um sich sammelten,
wo in Kühnes "Europa" das junge Deutschland noch einmal das große Wort er¬
griff, wo das Leipziger Stadttheater unter I)r. Schmidts Direktion, Laubes und
Marrs dramaturgischer Mitwirkung, einen außergewöhnlichen Aufschwung nahm
und die wichtigsten Dramen der Zeit in Szene setzte, wo die Sehnsucht uach
neuen Zuständen noch als eine einheitliche erschien und die großen Gegensätze,
die sie in sich barg, erst für sehr scharfblickende zu Tage getreten waren. Der junge
Detmolder empfand die Macht wie das Bedenkliche dieses geräuschvollen, viel¬
seitig angeregten Lebens. "Man steht hier -- schrieb er seinem jüngern Bruder
Friedrich (dem Biographen) -- einer ernsten Wirklichkeit gegenüber, in der es
doppelt wohlthut, das ewige Sein festzuhalten und den innern Kern des Lebens
nicht zersplittern zu lassen. Man sagt sich wohl manches voraus, aber wenn
es als Gestalt entgegentritt, ist der Eindruck doch ein andrer; man kann gegen
ihn zwar nur dieselben Mächte aufbieten, aber man muß es in einer durch die
Wirklichkeit bestimmten Weise thun. Hier ist viel Bewegung, aber noch mehr
Konkurrenz; viel Umgang, aber noch mehr Egoismus; viel Anregung, aber noch
mehr Zersplitterung. Ich weiß, ich werde mich retten aus dem Strome und werde
meinen Weg gehen, wie ich ihn als notwendig erkenne; er ist fürerst nicht der
der Poesie, sondern der des Studiums und des Lebens mit Menschen. Aber
das sag' ich dir: trotzdem, daß ich die Pforten jenes Tempels hier wohl schließen
werde, trotzdem, daß ich vor mir fürs erste eine entschieden praktische, von den
wirklichen Verhältnissen bestimmte Bahn sehe, du kannst nichts Besseres thun,
als das Beste, was du erkannt hast, was du glaubst, und selbst dein Heiligtum
des Geistes und der unendlichen, schrankenlos fordernden Liebe und Freiheit in
dir bauen und pflegen, dein Leben darin finden, diese Flamme nähren und
reinigen zum kühnste" Ideal, sodaß dies dir ewig unverlierbar bleibt. Es ist
der einzige Halt in diesem Wirbel, und wer ihn nicht hat, wer nicht mehr in
schweigendem Lapidarstil das Wort: Entsagung, Selbstüberwindung, in diesem
Tempel schreiben kann, der geht unter, wie unendlich viele untergehen, weil Er¬
werb und Genuß sie locken."

In der That gemahnen die feste Sicherheit, mit der Theodor Althaus sich
unter den Schriftstellern des damaligen Leipzigs auf die eignen Füße stellte,
die Frugalität und kluge Ruhe, mit der er seine volle Unabhängigkeit wahrte,
etwas an den jugendlichen Lessing. Das Jahr 1847 ging nicht zu Ende, ohne
daß Althaus seine "Märchen aus der Gegenwart" veröffentlicht hatte, ohne daß
er es in fleißiger Arbeit unternahm, einen gedrängten Abriß der Weltgeschichte
unter neuen Gesichtspunkten zu schreiben, und den ersten Teil dieses Buches ab¬
schloß. Aber die Zeit war gewitterschwül, und das Jauchzen, mit dem im Vor¬
jahre Theodor Althaus gleich Millionen die Erhebung der Sicilianer gegen den
wirklich grausamen bourbonischen Despotismus begrüßt hatte, weissagte die


Theodor Althans,

liberalen politisch-litterarische» Zeitbewegung war, wo die von I. Kuranda be¬
gründeten „Grenzboten" die österreichischen Zensnrflüchtlinge um sich sammelten,
wo in Kühnes „Europa" das junge Deutschland noch einmal das große Wort er¬
griff, wo das Leipziger Stadttheater unter I)r. Schmidts Direktion, Laubes und
Marrs dramaturgischer Mitwirkung, einen außergewöhnlichen Aufschwung nahm
und die wichtigsten Dramen der Zeit in Szene setzte, wo die Sehnsucht uach
neuen Zuständen noch als eine einheitliche erschien und die großen Gegensätze,
die sie in sich barg, erst für sehr scharfblickende zu Tage getreten waren. Der junge
Detmolder empfand die Macht wie das Bedenkliche dieses geräuschvollen, viel¬
seitig angeregten Lebens. „Man steht hier — schrieb er seinem jüngern Bruder
Friedrich (dem Biographen) — einer ernsten Wirklichkeit gegenüber, in der es
doppelt wohlthut, das ewige Sein festzuhalten und den innern Kern des Lebens
nicht zersplittern zu lassen. Man sagt sich wohl manches voraus, aber wenn
es als Gestalt entgegentritt, ist der Eindruck doch ein andrer; man kann gegen
ihn zwar nur dieselben Mächte aufbieten, aber man muß es in einer durch die
Wirklichkeit bestimmten Weise thun. Hier ist viel Bewegung, aber noch mehr
Konkurrenz; viel Umgang, aber noch mehr Egoismus; viel Anregung, aber noch
mehr Zersplitterung. Ich weiß, ich werde mich retten aus dem Strome und werde
meinen Weg gehen, wie ich ihn als notwendig erkenne; er ist fürerst nicht der
der Poesie, sondern der des Studiums und des Lebens mit Menschen. Aber
das sag' ich dir: trotzdem, daß ich die Pforten jenes Tempels hier wohl schließen
werde, trotzdem, daß ich vor mir fürs erste eine entschieden praktische, von den
wirklichen Verhältnissen bestimmte Bahn sehe, du kannst nichts Besseres thun,
als das Beste, was du erkannt hast, was du glaubst, und selbst dein Heiligtum
des Geistes und der unendlichen, schrankenlos fordernden Liebe und Freiheit in
dir bauen und pflegen, dein Leben darin finden, diese Flamme nähren und
reinigen zum kühnste» Ideal, sodaß dies dir ewig unverlierbar bleibt. Es ist
der einzige Halt in diesem Wirbel, und wer ihn nicht hat, wer nicht mehr in
schweigendem Lapidarstil das Wort: Entsagung, Selbstüberwindung, in diesem
Tempel schreiben kann, der geht unter, wie unendlich viele untergehen, weil Er¬
werb und Genuß sie locken."

In der That gemahnen die feste Sicherheit, mit der Theodor Althaus sich
unter den Schriftstellern des damaligen Leipzigs auf die eignen Füße stellte,
die Frugalität und kluge Ruhe, mit der er seine volle Unabhängigkeit wahrte,
etwas an den jugendlichen Lessing. Das Jahr 1847 ging nicht zu Ende, ohne
daß Althaus seine „Märchen aus der Gegenwart" veröffentlicht hatte, ohne daß
er es in fleißiger Arbeit unternahm, einen gedrängten Abriß der Weltgeschichte
unter neuen Gesichtspunkten zu schreiben, und den ersten Teil dieses Buches ab¬
schloß. Aber die Zeit war gewitterschwül, und das Jauchzen, mit dem im Vor¬
jahre Theodor Althaus gleich Millionen die Erhebung der Sicilianer gegen den
wirklich grausamen bourbonischen Despotismus begrüßt hatte, weissagte die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/520>, abgerufen am 24.08.2024.