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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

hattest. Was hatte ich dir gethan, daß du mich nicht in Frieden lassen konntest,
mich, die ich dir doch vor allen andern hätte heilig sein sollen? Tag für Tag
muß ich nun mit dem Schandfleck auf meiner Seele weiter leben, und niemals
werde ich jemand begegnen, er sei noch so gering, ohne mir sagen zu müssen,
daß ich noch weit geringer bin. Alle meine Jugenderinnerungen hast du ver¬
giftet. An was könnte ich auch jetzt noch zurückdenken, das rein und gut
wärel Du hast es besudelt, alles, alles! Nicht er allein ist gestorben, nein
alles, was je zwischen uns an Gutem und Lichten gewesen ist, ist jetzt tot
und verwest. Du großer Gott, hilf mir doch! Ist es etwa gerecht, daß ich
keine Rache an dir nehmen kann, trotz allem, was du mir zu leide gethan?
Mache mich wieder ehrlich, Ricks Lyhne, mache mich makellos und rein! Nein,
nein, aber es geschähe dir nur Recht, wenn du so lange gefoltert würdest, bis
du dein Unrecht wieder gut gemacht hättest. Kannst du, kannst du es wieder
zurechtlügen? Steh doch nicht so da und verkrieche dich unter deine eigne
Hilflosigkeit, leide hier vor meinen Augen, krumme dich vor Pein und Ver¬
zweiflung und sei elend! Mach ihn elend, mein Gott, laß ihn mir nicht anch
noch die Rache stehlen! Geh, du Elender, geh, ich stoße dich von mir, aber
ich schleppe dich mit mir, darauf kannst du dich verlassen, ich ziehe dich durch
alle Martern, die ich durch meinen Haß aus dich herabbeschwören kann!

Sie hatte den Arm drohend nach ihm ausgestreckt, jetzt wandte sie sich ab
und ging, und die Verandathür fiel hinter ihr ins Schloß. Ricks stand da
und verfolgte sie mit starren, fast ungläubigen Blicken; es war ihm, als stünde
sie noch vor ihm mit dem bleichen, rachgierigen Gesicht, das so wunderbar
niedrig und roh in seiner Leidenschaftlichkeit, völlig seiner sonstigen edelgeformten
Schönheit beraubt war, als hätte eine rohe, grausame Hand alle Linien des¬
selben aufgepflügt.

Er ging vorsichtig auf das Eis zurück und fing langsam an zu laufen in
der Richtung nach dem offnen Meere zu, den Mondschein vor sich, den Wind
im Rücken. Allmählich, je mehr die Gedanken seine Aufmerksamkeit von den
Umgebungen ablenkten, lief er schneller, und die Eisspalte, die seine Schlitt¬
schuhe ablösten, raschelten klirrend mit ihm über die blanke Fläche, von dem
stetig wachsenden Frostwind getrieben.

Das also war das Ende. So also hatte er diese Frauenseele erlöst, sie
gehoben und ihr das Glück verschafft! Wie schön doch sein Verhältnis zu dem
toten Freunde gewesen war, zu dem Kindheitsfreunde, für den er Zukunft,
Leben und alles hatte opfern wollen: er mit seinem Opfern und seinem Erlösen!
Himmel und Erde sollten auf ihn hinschauen, um einen Mann zu erblicken,
der sein Leben auf den Höhen der Ehre hielt, ohne Fleck und ohne Makel, der
keinen Schatten auf die Idee werfen wollte, der er diente, und die zu verkünden
er berufen war.

Und er sauste dahin.


Ricks Lyhne,

hattest. Was hatte ich dir gethan, daß du mich nicht in Frieden lassen konntest,
mich, die ich dir doch vor allen andern hätte heilig sein sollen? Tag für Tag
muß ich nun mit dem Schandfleck auf meiner Seele weiter leben, und niemals
werde ich jemand begegnen, er sei noch so gering, ohne mir sagen zu müssen,
daß ich noch weit geringer bin. Alle meine Jugenderinnerungen hast du ver¬
giftet. An was könnte ich auch jetzt noch zurückdenken, das rein und gut
wärel Du hast es besudelt, alles, alles! Nicht er allein ist gestorben, nein
alles, was je zwischen uns an Gutem und Lichten gewesen ist, ist jetzt tot
und verwest. Du großer Gott, hilf mir doch! Ist es etwa gerecht, daß ich
keine Rache an dir nehmen kann, trotz allem, was du mir zu leide gethan?
Mache mich wieder ehrlich, Ricks Lyhne, mache mich makellos und rein! Nein,
nein, aber es geschähe dir nur Recht, wenn du so lange gefoltert würdest, bis
du dein Unrecht wieder gut gemacht hättest. Kannst du, kannst du es wieder
zurechtlügen? Steh doch nicht so da und verkrieche dich unter deine eigne
Hilflosigkeit, leide hier vor meinen Augen, krumme dich vor Pein und Ver¬
zweiflung und sei elend! Mach ihn elend, mein Gott, laß ihn mir nicht anch
noch die Rache stehlen! Geh, du Elender, geh, ich stoße dich von mir, aber
ich schleppe dich mit mir, darauf kannst du dich verlassen, ich ziehe dich durch
alle Martern, die ich durch meinen Haß aus dich herabbeschwören kann!

Sie hatte den Arm drohend nach ihm ausgestreckt, jetzt wandte sie sich ab
und ging, und die Verandathür fiel hinter ihr ins Schloß. Ricks stand da
und verfolgte sie mit starren, fast ungläubigen Blicken; es war ihm, als stünde
sie noch vor ihm mit dem bleichen, rachgierigen Gesicht, das so wunderbar
niedrig und roh in seiner Leidenschaftlichkeit, völlig seiner sonstigen edelgeformten
Schönheit beraubt war, als hätte eine rohe, grausame Hand alle Linien des¬
selben aufgepflügt.

Er ging vorsichtig auf das Eis zurück und fing langsam an zu laufen in
der Richtung nach dem offnen Meere zu, den Mondschein vor sich, den Wind
im Rücken. Allmählich, je mehr die Gedanken seine Aufmerksamkeit von den
Umgebungen ablenkten, lief er schneller, und die Eisspalte, die seine Schlitt¬
schuhe ablösten, raschelten klirrend mit ihm über die blanke Fläche, von dem
stetig wachsenden Frostwind getrieben.

Das also war das Ende. So also hatte er diese Frauenseele erlöst, sie
gehoben und ihr das Glück verschafft! Wie schön doch sein Verhältnis zu dem
toten Freunde gewesen war, zu dem Kindheitsfreunde, für den er Zukunft,
Leben und alles hatte opfern wollen: er mit seinem Opfern und seinem Erlösen!
Himmel und Erde sollten auf ihn hinschauen, um einen Mann zu erblicken,
der sein Leben auf den Höhen der Ehre hielt, ohne Fleck und ohne Makel, der
keinen Schatten auf die Idee werfen wollte, der er diente, und die zu verkünden
er berufen war.

Und er sauste dahin.


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[0483] Ricks Lyhne, hattest. Was hatte ich dir gethan, daß du mich nicht in Frieden lassen konntest, mich, die ich dir doch vor allen andern hätte heilig sein sollen? Tag für Tag muß ich nun mit dem Schandfleck auf meiner Seele weiter leben, und niemals werde ich jemand begegnen, er sei noch so gering, ohne mir sagen zu müssen, daß ich noch weit geringer bin. Alle meine Jugenderinnerungen hast du ver¬ giftet. An was könnte ich auch jetzt noch zurückdenken, das rein und gut wärel Du hast es besudelt, alles, alles! Nicht er allein ist gestorben, nein alles, was je zwischen uns an Gutem und Lichten gewesen ist, ist jetzt tot und verwest. Du großer Gott, hilf mir doch! Ist es etwa gerecht, daß ich keine Rache an dir nehmen kann, trotz allem, was du mir zu leide gethan? Mache mich wieder ehrlich, Ricks Lyhne, mache mich makellos und rein! Nein, nein, aber es geschähe dir nur Recht, wenn du so lange gefoltert würdest, bis du dein Unrecht wieder gut gemacht hättest. Kannst du, kannst du es wieder zurechtlügen? Steh doch nicht so da und verkrieche dich unter deine eigne Hilflosigkeit, leide hier vor meinen Augen, krumme dich vor Pein und Ver¬ zweiflung und sei elend! Mach ihn elend, mein Gott, laß ihn mir nicht anch noch die Rache stehlen! Geh, du Elender, geh, ich stoße dich von mir, aber ich schleppe dich mit mir, darauf kannst du dich verlassen, ich ziehe dich durch alle Martern, die ich durch meinen Haß aus dich herabbeschwören kann! Sie hatte den Arm drohend nach ihm ausgestreckt, jetzt wandte sie sich ab und ging, und die Verandathür fiel hinter ihr ins Schloß. Ricks stand da und verfolgte sie mit starren, fast ungläubigen Blicken; es war ihm, als stünde sie noch vor ihm mit dem bleichen, rachgierigen Gesicht, das so wunderbar niedrig und roh in seiner Leidenschaftlichkeit, völlig seiner sonstigen edelgeformten Schönheit beraubt war, als hätte eine rohe, grausame Hand alle Linien des¬ selben aufgepflügt. Er ging vorsichtig auf das Eis zurück und fing langsam an zu laufen in der Richtung nach dem offnen Meere zu, den Mondschein vor sich, den Wind im Rücken. Allmählich, je mehr die Gedanken seine Aufmerksamkeit von den Umgebungen ablenkten, lief er schneller, und die Eisspalte, die seine Schlitt¬ schuhe ablösten, raschelten klirrend mit ihm über die blanke Fläche, von dem stetig wachsenden Frostwind getrieben. Das also war das Ende. So also hatte er diese Frauenseele erlöst, sie gehoben und ihr das Glück verschafft! Wie schön doch sein Verhältnis zu dem toten Freunde gewesen war, zu dem Kindheitsfreunde, für den er Zukunft, Leben und alles hatte opfern wollen: er mit seinem Opfern und seinem Erlösen! Himmel und Erde sollten auf ihn hinschauen, um einen Mann zu erblicken, der sein Leben auf den Höhen der Ehre hielt, ohne Fleck und ohne Makel, der keinen Schatten auf die Idee werfen wollte, der er diente, und die zu verkünden er berufen war. Und er sauste dahin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/483>, abgerufen am 22.07.2024.