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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung.

kein Bedenken haben, in Bezug auf den Prozeß und das Strafrecht sofort zu
einer Gesamtkodifikation zu schreiten. Was dagegen das Privatrecht betrifft,
so würde ich etwas derartiges durchaus nicht befürworten, sondern ich glaube,
wir müssen uns hier in die Lage eines Mannes versetzen, der einen Kultur¬
plan -- möchte ich mich ausdrücken -- wie für einen Forst entwirft. Bei
einem so großen Rechtsgebiete, wie es Deutschland ist, können wir nicht auf
einmal durch eine doktrinäre Kodifikation alle hierbei denkbaren Interessen wahren
und decken. Ich glaube, wenn man morgen eine Kommission niedersetzte mit
dem Auftrage, eine Gesamtkodifikation des deutschen Privatrechts zu machen,
sie würde ein Werk liefern, bei dem man uns höchst wahrscheinlich zwingen
müßte, darin einen Ausdruck des wirklichen deutschen Rechts zu verehren. Ich
meine, man müsse stückweise vorschreiten. Überall wo im Privatrecht bei einem
einzelnen Gebiete des wirtschaftlichen oder des gesellschaftlichen Lebens oder
sonstiger auf das Privatrecht wirkenden Interessen das Bedürfnis auftritt, etwas
Gemeinsames zu schaffen, da sollte unsre Bundesgewalt vorschreiten. So kommen
wir allmählich auf einem äußerst naturgemäßen Wege zu einem einheitlichen
Rechte, und unsre deutsche Jurisprudenz ist in der Lage, stückweise den Boden
zu ebnen und stückweise das Material vorzubereiten." In gleichem Sinne sprach
sich bei den spätern Verhandlungen die Mehrzahl der Redner aus; und selbst
diejenigen, welche die Schaffung eines allgemeinen Zivilgesetzbuches nicht ganz
ablehnten, wollten diese doch einer fernern Zukunft vorbehalten haben.

Es war daher höchst überraschend (wenigstens für alle die, welche nicht
schon insgeheim in den Plan der Regierungen eingeweiht waren), daß bei der
erneuerten Verhandlung am 2. April 1873 gleich eingangs Präsident Delbrück
erklärte: "Die Schwierigkeiten, welche bisher einer Ausdehnung der Zuständig¬
keit des Reiches entgegenstanden, sind nun im Bundesrate überwunden. Gleich¬
zeitig mit Verkündung der Verfassungsveränderung beabsichtigen die Regierungen,
eine Kommission zur Ausarbeitung eines bürgerlichen Gesetzbuches zu berufen,
indem sie davon ausgehen, daß die Einheit des bürgerlichen Rechtes das wesent¬
lichste Ziel des vorliegenden Antrages sei." Bei der sich anschließenden Be¬
ratung war nun von der Frage, ob Einzelgesetzgebung oder Kodifikation, gar
nicht weiter die Rede; sie bewegte sich bloß in politischem Gezänk. Nur der
Abgeordnete Laster erklärte als Antragsteller am Schlüsse, auch die Schritte
zur Herstellung eines Zivilgesetzbuches "aufs freudigste zu acceptiren." Jedoch
solle damit, wie er ausdrücklich betonte, auf das einstweilige Vorschreiten auf dem
Wege der Einzelgesetzgebung nicht verzichtet sein. "Man soll uns auch nicht
einmal eine Konnivenz durch Stillschweigen in Zukunft vorwerfen können."
Schon früher (am 29. Mai 1872) hatte Laster auf die Notwendigkeit eines
Vorschreitens mit Einzelgesetzen hingewiesen, "da wir von einem Gesetzbuche
kaum vor fünf Jahren den letzten Abschluß würden erhalten können." So eilig
hatte man es damals mit einer einheitlichen Zivilgesetzgebung.


Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung.

kein Bedenken haben, in Bezug auf den Prozeß und das Strafrecht sofort zu
einer Gesamtkodifikation zu schreiten. Was dagegen das Privatrecht betrifft,
so würde ich etwas derartiges durchaus nicht befürworten, sondern ich glaube,
wir müssen uns hier in die Lage eines Mannes versetzen, der einen Kultur¬
plan — möchte ich mich ausdrücken — wie für einen Forst entwirft. Bei
einem so großen Rechtsgebiete, wie es Deutschland ist, können wir nicht auf
einmal durch eine doktrinäre Kodifikation alle hierbei denkbaren Interessen wahren
und decken. Ich glaube, wenn man morgen eine Kommission niedersetzte mit
dem Auftrage, eine Gesamtkodifikation des deutschen Privatrechts zu machen,
sie würde ein Werk liefern, bei dem man uns höchst wahrscheinlich zwingen
müßte, darin einen Ausdruck des wirklichen deutschen Rechts zu verehren. Ich
meine, man müsse stückweise vorschreiten. Überall wo im Privatrecht bei einem
einzelnen Gebiete des wirtschaftlichen oder des gesellschaftlichen Lebens oder
sonstiger auf das Privatrecht wirkenden Interessen das Bedürfnis auftritt, etwas
Gemeinsames zu schaffen, da sollte unsre Bundesgewalt vorschreiten. So kommen
wir allmählich auf einem äußerst naturgemäßen Wege zu einem einheitlichen
Rechte, und unsre deutsche Jurisprudenz ist in der Lage, stückweise den Boden
zu ebnen und stückweise das Material vorzubereiten." In gleichem Sinne sprach
sich bei den spätern Verhandlungen die Mehrzahl der Redner aus; und selbst
diejenigen, welche die Schaffung eines allgemeinen Zivilgesetzbuches nicht ganz
ablehnten, wollten diese doch einer fernern Zukunft vorbehalten haben.

Es war daher höchst überraschend (wenigstens für alle die, welche nicht
schon insgeheim in den Plan der Regierungen eingeweiht waren), daß bei der
erneuerten Verhandlung am 2. April 1873 gleich eingangs Präsident Delbrück
erklärte: „Die Schwierigkeiten, welche bisher einer Ausdehnung der Zuständig¬
keit des Reiches entgegenstanden, sind nun im Bundesrate überwunden. Gleich¬
zeitig mit Verkündung der Verfassungsveränderung beabsichtigen die Regierungen,
eine Kommission zur Ausarbeitung eines bürgerlichen Gesetzbuches zu berufen,
indem sie davon ausgehen, daß die Einheit des bürgerlichen Rechtes das wesent¬
lichste Ziel des vorliegenden Antrages sei." Bei der sich anschließenden Be¬
ratung war nun von der Frage, ob Einzelgesetzgebung oder Kodifikation, gar
nicht weiter die Rede; sie bewegte sich bloß in politischem Gezänk. Nur der
Abgeordnete Laster erklärte als Antragsteller am Schlüsse, auch die Schritte
zur Herstellung eines Zivilgesetzbuches „aufs freudigste zu acceptiren." Jedoch
solle damit, wie er ausdrücklich betonte, auf das einstweilige Vorschreiten auf dem
Wege der Einzelgesetzgebung nicht verzichtet sein. „Man soll uns auch nicht
einmal eine Konnivenz durch Stillschweigen in Zukunft vorwerfen können."
Schon früher (am 29. Mai 1872) hatte Laster auf die Notwendigkeit eines
Vorschreitens mit Einzelgesetzen hingewiesen, „da wir von einem Gesetzbuche
kaum vor fünf Jahren den letzten Abschluß würden erhalten können." So eilig
hatte man es damals mit einer einheitlichen Zivilgesetzgebung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/405>, abgerufen am 22.07.2024.